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2019 1 Dez

R.E.M.: Monster (25th Anniversary Edition)

von: ijb Filed under: Blog | TB | Comments off

 

 

Als Jugendlicher habe ich mit Vorliebe und Hingabe, viele Jahre lang, für wahrscheinlich alle meine Freunde und Freundinnen (und auch solche, die dies dann doch nie wurden) Kassetten mit unterschiedlichsten Zusammenstellungen von Musik aufgenommen, üblicherweise immer spezifisch auf den Empfänger zugeschnitten. Ich liebte es, überraschende Wendungen und Brüche einzubauen, Leute mit etwas zu konfrontieren, das sie sonst wohl nie angehört hätten, und ich glaube, ich kann mit einer gewissen Selbstsicherheit sagen dass ich über die Jahr das dramaturgisch ausgefeilte Zusammenstellen von Musik in unterschiedlichsten Gesamtlängen zu einer komplex vollendeten Form geführt habe.

Die Zeit der Musikkassetten ist lange vorbei. Später habe ich oft noch CDs zusammengestellt; tatsächlich ist das noch gar nicht so lange her. Meine Musiksammlung ist über die Jahrzehnte enorm gewachsen, und so war es mehr und mehr eine Herausforderung, aus tausenden von Alben und Quellen Musik zu wählen, die sich dann zu einer dramaturgischen Zusammenstellung von maximal 80 Minuten (der Länge einer CD) — manchmal wurden es natürlich auch zwei CDs – fügten, etwa mit einem „Best of“ des zu Ende gegangenen Jahres.

Seit es Spotify und „Playlists“ gibt, scheint das, was früher Musikkassetten waren, im Internet zu passieren, doch da ich nur sporadisch über iTunes und noch viel seltener per Streaming Musik höre, geht das weitgehend an mir vorbei. Die DJ-Mixes und „Podcasts“ von Musikern und DJs interessieren mich zwar, und da gibt es enorm viel Spannendes, aber eben auch bei weitem zu vieles für die wenige Zeit, die ein Tag, eine Woche, ein Monat, ein Leben zur Verfügung stellt. Man müsste eigentlich komplett aufs Sammeln verzichten und Alben nurmehr ein, zwei Mal anhören, um irgendwie ansatzweise dem hinterherzukommen, was es an spannender Musik und hörenswerten Zusammenstellungen in der großen, weiten Welt der Internets gibt. Immerhin kaufe ich manchmal DJ-Mix-CDs, speziell wenn mich ein/e DJ interessiert – oder wenn ich aufgrund der vertretenen Genres, einzelner Namen im Mix, aufgrund von Empfehlungen, einer bestimmten geschätzten Mix-Reihe oder anderer Attraktivitätsfaktoren neugierig werde.

Leider ist mein potenzielles Publikum für solche Zusammenstellungen geschrumpft. Ebenso wie meine Zeit. Dennoch kommt es noch immer, von Zeit zu Zeit vor, dass mich etwas dazu veranlasst, einen Mix zu erstellen. Erzählt etwa ein (in England aufgewachsener) Freund, dass er zum Konzert der Einstürzenden Neubauten gehen wird, aber die Musik der Band gar nicht kennt und möchte meine Meinung hören, bekommt er ungefragt eine zweieinhalbstündige Zusammenstellung quer durchs Werk der Band von mir zugeschickt. Kommt im Kino, in dem ich zur Berlinale arbeite, ein Film mit / über PJ Harvey, und die anfang-20jährigen Mitarbeiterinnen wissen eigentlich gar nicht, wer PJ Harvey ist, komme ich nicht umhin, einen repräsentativen Querschnitt aus allen Alben der Künstlerin in iTunes zu erstellen, inklusive allerhand „Nebenwerken“ wie etwa ihren Zusammenarbeiten mit Marianne Faithfull oder wunderbaren Cover-Interpretationen von Caroline Henderson und Ane Brun. Meine alternativen, zweitstündigen „Deep Cuts“ aus dem Œuvre von Elton John (als Entgegnung auf die von ihm selbst hinter den Möglichkeiten zurückgebliebene Liste) hatte ich vor wenigen Jahren ja hier kundgetan.

Natürlich gebe ich mir mit solchen Zusammenstellungen sehr viel Mühe, höre sie selbst mindestens einmal komplett durch, bevor ich sie aus der Hand gebe — und verbessere dann oft noch vieles, bevor (und nachdem) ich sie weitergebe.

Mittlerweile, seit ich iTunes für unterwegs, etwa für lange Autofahrten nutze, mache ich gerne auch mal solche Zusammenstellungen für mein mobiles Gerät, um diese Kompilationen dann unterwegs zu hören, etwa “Twenty Years in the Life of Robert Anthony Plant, CBE“, als ich Lust hatte, das Beste aus den streckenweise großartigen Alben der letzten 20 Jahre von Herrn Plant zu kompilieren, mit dem Bemühen, nicht länger als 120 Minuten zu werden. Oder „5 Years of R.E.M.“ – was eigentlich ein Schreibfehler war; aus dem Ziel, meine Lieblingslieder von allen R.E.M.-Alben inkl. B-Seiten, Raritäten, Alternativ-, Demo- und Live-Versionen (Star me Kitten mit William Burroughs als „Sänger“, eine Adaption von Leonard Cohens First We Take Manhattan, World Leader Pretend als ergreifendeUnplugged-Version…) zu kompilieren, wurden auch nach strenger Auswahl noch immer fünf volle Stunden. Letztlich ist so eine Zusammenstellung auch eine gute Option, um das Beste von R.E.M. / PJ Harvey / Einstürzende Neubauten / Robert Plant etc. in der Tasche parat zu haben, ohne von der Qual der Wahl, sich für ein einziges Album entscheiden zu müssen, erschlagen zu werden.

R.E.M. also. Auch wenn ich nie ein „Über-Fan“ der Band war, so habe ich doch zuverlässig alle Alben mit Hingabe verfolgt, gehört und im Detail lieben gelernt, so dass ich mir durchaus zutrauen darf, Around The Sun den Status eines zu Unrecht geringgeschätzten Spätwerks anzuheften, Up zum großen, mit Konventionen brechenden Werk der dritten Phase der Band zu erklären oder einige Hits als vernachlässigbar und „generic R.E.M.“ abzustempeln (Imitation of Life, Leaving New York), andere allgemein als Banalitäten und Selbstkopien abgetane Singles wie Überlin hingegen als kluge Perlen aufzuwerten.

Als R.E.M. 1994 Monster veröffentlichten, wollten sie nach den zweieinhalb sensiblen American-Folk-Alben im Millionenseller-Bereich wieder als Alternativ-Rock-Band gesehen und gehört werden. Daher wurde Monster laut, schmuddelig, voll von verzerrten Gitarren und klanglich wenig ausgefeilt rausgehauen. Ihr Produzent und Mixer Scott Litt war mit dem Ergebnis nie so recht glücklich und hat nun, im Zuge der Jubiläumsausgaben, die bislang alle R.E.M.-Alben seit dem Debüt Murmur erfahren haben, die Chance bekommen, eine „Remix“-Version des gesamten Albums zu erstellen, die dann auch ohne Veto oder Änderungswünsche der Band herausgebracht wurde, natürlich nicht ohne den Zusatz, dass diese Versionen keineswegs die alte ersetzen könne, aber eine legitime eigene Lesart darstelle.

Man muss das Originalalbum zum größten Teil recht gut kennen, um die Unterschiede zu hören; das ist erst einmal nichts Schlechtes, meine ich. Litt sagte beispielsweise selbst, dass etwa What’s the Frequency, Kenneth? zu den paar Stücken des Albums zähle, die bereits 1994 sehr gut gemischt wurden; er lässt daher nur ein paar Effekte weg, die ihm zu zeittypisch und selbstverliebt schienen. (Das Entfernen des charakteristischen Tremolo-Overdubs bringt die Aussage „legitime alternative Lesart“ besonders markant zur Geltung, wenngleich man es eh kaum jemandem, der ein Album über 25 Jahre oft und gerne gehört hat, recht machen kann.) Beim folgenden Crush with Eyeliner (schon auf dem Originalalbum eines von zahlreichen persönlichen Lieblingsliedern) aber hat man, nach einem kurzen Schreck über den komplett veränderten, auf den ersten „Blick“ albernen neuen Einstieg („Lalalalala, la“), das Gefühl, eine bislang unentdeckte Aufnahme aus R.E.M.s Schatztruhe zu hören. Nicht nur klingt die neue Version, als sei endlich eine Art matschiger Schleier weg geputzt worden, Litt hat  zudem eine alternative Gesangsspur eingesetzt, die aus dem Song neue, ungehörte Qualitäten herauskehren. Ähnlich ging er bei Tongue vor, einem der wenigen Stücke des Albums, die ich all die Jahre nie so recht mochte. Mit anderer Mischung, anderer Gewichtung der Elemente, vor allem der subtilen Verbesserung der Präsenz von Michael Stipes Gesang ist Tongue nun das Lied geworden, als das andere Hörer es immer beschrieben, was ich indes nie nachvollziehen konnte. Die Veränderungen der Gesangsspuren sind fast durch das ganze Album  hindurch formidabel – und Litt beweist Vielseitigkeit und Klugheit in den meisten seiner Entscheidungen; ich verweise nur mal auf I took your Name (mit der Textzeile „I wanna be Iggy Pop“), dessen Gesang (wie auch die Gitarrensounds) durch den neuen Mix sehr aufgewertet wird. Bei King of Comedy gibt es nun am Ende einen heiteren Ausklang mit einem bewusst unperfekten Background-Chor; I don’t sleep, I dream hat plötzlich einen gut 30 Sekunden längeren Schluss, wo früher ein harter Schnitt den nun zusätzlichen Akzent grob abgeschnitten hatte.

Nicht überall sind Litts Änderungen ein Zugewinn – das als Reaktion auf den Tod von Kurt Cobain entstandene Noise-Stück Let me in im Neil-Young-&-Crazy-Horse-Stil büßt mit herausgeputzter und effektbefreiter Gesangsspur sowie massiv reduzierten Gitarreneffekten und eliminierter Orgel den Großteil seiner Eindringlichkeit ein. Das (im Original) als hingeschludertere Kreuzung aus It’s the End of the World as we know it und Iggy-Pop-Glam-Rock gespielte Star 69 wird mit einem saubereren Mix auch nicht plötzlich zur Perle, wenngleich man sich hier wie in vielen anderen Songs freut, dass Michael Stipe nicht mehr ganz so im „murky mix“ untergeht. Anders schon Strange Currencies: Zwar wird die Nummer nun ein typischerer R.E.M.-Song, aber auf einmal ist da Luft im Mix, Klarheit in der Interpretation, ein schönes bewegendes Schweben, da die seltsam verstimmte Orgel und die verzerrte Gitarre sich besser umspielen, die Zäsur prägnanter gesetzt ist und Stipes Gesang sich besser entfalten kann. Anderswo, z.B. in Bang and Blame, taucht nun gut gesetzte Perkussion auf, die zuvor irgendwo im Mix vergraben war.

Normalerweise finde ich es Quatsch, ein Album, das ich bereits in einer hervorragenden CD-Version besitze, als LP zu kaufen. Allerdings ist das Bonus-Material der (auch zu teuren) 5-Disc-Deluxe-Ausgabe wenig reizvoll – CD3 enthält 15 (vorwiegend instrumentale) Skizzen unterschiedlicher Qualität, die wirklich allenfalls für „Die-Hard-Fans“ interessant sind. Der einzige bekannte, halbwegs fertige Song Revolution zählt ohnehin zu den vernachlässigbaren, schwächsten Stücken der Band; und das Konzert auf CD4 und 5 kann man sich ebenfalls schenken, besonders wenn man das sehr ähnliche Konzert aus dem selben Jahr auf der im letzten Jahr veröffentlichten „R.E.M. at the BBC“-Box kennt. R.E.M. waren eine wirklich intensive Live-Band (ich habe sie selbst in den 1990ern erlebt), doch abgesehen von den „Unplugged“-Konzerten (inklusive einiger ähnlich gelagerter Aufnahmen in der BBC-Box) vermittelt dies kaum der zahlreichen Live-CDs, speziell nicht die der späteren Jahre, eben ab 1994/95.

Die Doppel-LP in nun blauem statt wie früher orangenem Gewand ist für diese Neo-Glamrock-LP also die ideale Form zum Weihnachtsgeschäft, speziell wenn man die Original-CD noch im Regal stehen hat. Die Seiten A und B bieten ein unaufdringlich, aber effektiv verbessertes Remastering des originalen Monster-Albums. Und die Seiten C und D bieten eben die beschriebene Alternativversion, die sowohl Fans als auch Gelegenheitshörern einen Klassiker der mittleren 1990er neu ans Herz legt. So kann man nach Lust und Laune zwischen den beiden Optionen wechseln.

Demnächst werde ich also meine mobile R.E.M.-Playlist überarbeiten müssen. Sie wird wieder dazugewinnen.

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