Das Schöne an Serien ist ja immer das Lesen der Reviews danach: man will jetzt wissen, wie es die Anderen sahen. Bei Amazon, diesem schamlosen Einzelhandelskonkurrenten und wundersamen Steuerdieb mit seinen verführerischen Qualitäten des Productplacements las ich eine Kundenrezension. Dort schrieb jemand, The Affair sei die beste Serie aller Zeiten. Das freute mich, entsprach es doch haargenau meinem Bauchgefühl. Seit Fassbinders Acht Stunden sind kein Tag sah ich selten etwas, das sich so dicht am eigenen Wirklichkeitsempfinden bewegt, ungeschminkt real und doch auch märchenhaft. Wobei „Angst essen Seele auf“ es in Momenten auch trifft. Ähnliches vollbrachten in der Literatur Max Frisch und auch Milan Kundera, dessen Buch Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins philosophisch wesentlich tiefer ging als seine Verfilmung, trotz grandioser Schauspieler. Die guten Darsteller sind es auch hier, dazu die exquisite, klare Bildästhetik, die an sich schon viel erzählt. Sie führt dich an der Hand, permanent am gegenwärtigen Moment entlang, der spannend ist und voller Raffinesse. Bilderpracht, schöne Menschen, tiefe Charaktere – man will nicht davon absehen. Nicht die Drogen sind berauschend, sondern frische Luft – die Cyclisten unter uns werden es wissen. In other words: reality does it. Im Kern aber war es das Grundthema der Serie, das mich persönlich so berührte: die Wirkung von Traumata, teilweise über Generationen hinweg vererbt, wie sie in Menschen wirken, in ihren Beziehungen, in ihrer Destruktivität. Auf einer fluchtartigen, geradezu apokalyptischen Wanderung fragt Helen Solloway ihren Ex-Mann Noah, warum er trotz grosser Empathie und Liebesfähigkeit manchmal so verletzend sein könne zu Menschen. Er habe sich das auch gefragt, es müsse an seiner Kindheit liegen. Seine Mutter sei immer sterbenskrank gewesen und der Vater entweder abwesend oder wütend. Sie habe ihn damals als Tochter der Oberschicht, die an seine kreativen Fähigkeiten glaubte, aus einer „Unterwelt“ ans Licht gezogen. Seinen Schatten aber wollte er ihr verheimlichen. Serienkenner fanden Ähnliches bei Mad Men. Heidegger soll gesagt haben, was der Leib des Menschen sei, wäre noch gar nicht gedanklich erschlossen – von Traumata aber schwieg der Mann ganz. Und als der jüdische Dichter Paul Celan nach einem Schlichtungsversuch gefragt wurde, wie es gewesen sei mit dem urdeutschen Meisterdenker, meinte der: „Es kam nur krudes Zeug.“ Vielleicht die essentielle Crux von The Affair: der Mensch kann sich ändern, aber es ist harte Arbeit an sich selbst. Manche schaffen es, die meisten aber stürzen ab. Die bezaubernde Alison hat es versucht. „I have only one thing to do and that’s: to be the wave that I am and then sink back into the ocean …“. Fiona Apples kongenialer Eröffnungssong gab ihrer Seele Klang.
2019 1 Dez
Eine endlose Affaire
von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Tags: The Affair | 4 Comments
4 Comments
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Martina Weber:
Wenn das Grundthema von „The Affair“ die transgenerationale Traumatisierung ist, scheint dies aber erst in der letzten Staffel deutlich zu werden. Auf die warte ich noch, weil ich sie im Original sehen bzw. hören möchte. Ich bin sehr gespannt, wie´s weitergeht. Und auf den Schluss.
Die Serie, die mich von allen, die ich gesehen habe (und das sind nicht so viele) am meisten beeindruckt hat, ist LOST. Ich habe einen Faible für raffinierte Strukturen, Traumlogik. – Und was für ein feiner Humor!
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Jochen:
Dear Martina, I appreciate everyone who shares my enthusiasm for good Tv shows – even if he or she got lost in Lost (sorry, old running gag, I know). In Season Five of the The Affair a new figure shows up making clear what transgenerational trauma means.
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Martina:
As for me I´m surely not lost on the island.
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Martina:
Ich gebe zurzeit SOA eine zweite Chance. Bin aber noch ganz am Anfang und noch nichtmal da, wo ich vor geraumer Zeit abgebrochen habe weiterzuschauen.