„Oh, what did you see, my blue-eyed son?
And what did you see, my darling young one?“
(Bob Dylan)
„Oh, Bern!“
(Ingo)
In ein zum Teil deutschsprachiges Land zu reisen, kann schwieriger sein, als sich in einem fernen, exotischen Land zu bewegen. Über die Schweiz wissen wir viel und sind deswegen schon beeinflusst. Ich war für meinen Aufenthalt in Bern bestens präpariert durch das Buch Fremdheit von dem Schriftsteller und Ethnologen Hans-Jürgen Heinrichs.
Eigentlich ist die Schweiz bei mir negativ konnotiert: zu teuer, zu eng, ihre Sprachintonation ist auch nicht gerade meine Lieblingsmelodie. Ihre direkte Demokratie schätze ich, habe aber noch meine Entrüstung Claus Leggewies Aussage im Sinn, die Schweiz sei vorbildlich. Ich vergesse die Bilder nicht, wie südländische Arbeiter über die winterlichen Pässe zurück in ihre Herkunftsländer geschickt wurden.
Bei Ankunft in Bern wurde ich von einem Verkehrspolizisten harsch auf Schwyzerdütsch informiert. Der erste städtebauliche Eindruck war: du bist in einer offenen Kaserne gelandet. Ähnlich düster empfing mich Edinburgh. Die Erinnerung an die schottische Stadt war es, die mir Mut machte und meine Augen unbenommen öffnete. „Immer war ein emotional unmittelbar aktiver Teil von mir ganz Ort, in der Situation – ein anderer emotional von Sehnsüchten geprägter Teil woanders.“( H.J.H.). Ich mag Edinburgh sehr.
Bern muss man, wie Edinburgh, vertikal erfassen. Eine Zwei-Etagen-Stadt bringt per se immer Spannung mit sich. Geh ich in die Oberstadt oder treibe ich mich am Fluss entlang? Ich flanierte unter den endlosen Arkaden, trank hier und da ein Käfli und siehe da, erste Korrektur in der Fremde, er kostete nur 3 Fränkli. Auch das Hotel nebst Restaurant waren normal im Preis, die junge Personalcrew sprach Hochdeutsch. „Der Blick auf den Fremden ist immer ein kulturell und emotional begrenzter Blick.“(H.J.H.). Auf dem Bärenplatz in der Stadtmitte sah ich eine Weile dem gemeinsamen Schachspiel von Einheimischen und (vermeintlichen) Ausländern zu.
Am Nachmittag gehe ich in eine Ausstellung im Historischen Museum Bern. „Homo Migrans“ ist das Thema. Zuvorderst werde ich mit der Frage konfrontiert: „Wie viel Migration steckt in dir?“ Meine Mutter kam aus Nürnberg, ihre Vorfahren aus Flandern. Mein Vater stammte aus Polen, seine Vorfahren aus Litauen. Aus welchen Gründen waren sie unterwegs? Ich weiß es leider nicht. Warum bin ich so viel unterwegs? Heinrichs stellt in seinem Buch die Frage: „Ist das Ereignis des Unterwegsseins auch jetzt noch als selbstbestimmtes Abenteuer denkbar?“ Ich bejahe unbedingt und bin dankbar dafür, dass ich nicht zu der „neuen Odyssee“ gehöre, von der der Migrationskorrespondent des Guardian spricht.
In Bern gehe ich sehr gern spazieren. Trotz der baulichen Geschlossenheit fühle ich eine offene Stadtatmosphäre, die sich in den Bühnenstücken widerspiegelt, auf den Plätzen, wo HipHopper für die Rechte der Kinder rappen und in der umfangreichen Zeitungslandschaft. Man hat aufgrund dessen gute Gelegenheit, „in den Gedanken und Gefühlen der Anderen spazieren zu gehen.“(H.J.H.)
In einer Schweizer Zeitung lese ich über das Jazztrio „The Bad Plus“, wie es sich über die Genregrenze hinwegsetzte und in der Jazzwelt ihre Pop-Coverversionen kleine Erdbeben auslõsten. Auf dem derzeit stattfindenden „Unerhört-Festival“ wird darüber nachgedacht, ob „diese Tabubrüche nur Lockerungsübungen für eingefleischte Jazzfans sind oder, ob The Bad Plus eine Entwicklung angestoßen hat, die den Jazz aufgebrochen hat.“
Wechselbäder sind bekanntlich anstrengend, Wechselströme sind abenteuerlich erfrischend. Look, I am a foreigner, dance with me.