Als ich kurz nach dem Mauerfall die Gelegenheit hatte, den Maler Wolfgang Mattheuer in Leipzig auf einer Fortbildung zu fragen, ob ihn die Wiedervereinigung als Maler inspirieren könnte, erhielt ich die sarkastische Antwort: „Wir ostdeutschen Künstler können auch ohne die Mauer malen.“ 1977 waren einige Maler aus der „Leipziger Schule“ auf der documenta 6 in Kassel ausgestellt. Ansonsten wurde die DDR Kunst eher stiefmütterlich als provinziell abgetan. In Düsseldorf gibt es jetzt eine großartige Ausstellung, die die hervorragende DDR Kunst zeigt. Käthe Kollwitz war die Lehrmeisterin von Elisabeth Voigt, deren Schüler waren Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke, die die Leipziger Schule mitbegründeten.
Werner Tübke habe ich in meiner Dresdner Zeit entdeckt und seitdem hat er mich nicht mehr losgelassen. Sicher kann man sagen, dass den Malern der DDR, auch Willi Sitte, Heisig, Neo Rauch das Leitmotiv, die komplizierte Syntax und die Kompositionsstrategie wichtig sind. Keiner ist aber so sublim, so extravagant mit Themen wie Leid, Schuld und Verstrickung umgegangen wie Tübke. Seine endlos erscheinenden Gemälde, wie das Bauernkriegspanorama oder „Arbeiterklasse und Intelligenz“, das in der neuen Uni in Leipzig hängt, zeigen sein ungeheuerliches Maltalent. Es ist nicht so, dass sich die Künstler der DDR nicht mit der Nachkriegszeit auseinandergesetzt hätten. Tübke’s Gemälde „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze III“, entstand nach dem Auschwitz-Prozess.
Die berühmteren DDR-Ķünstler, wie Gerhard Richter, Gunther Ücker und A.R. Penck waren früh geflüchtet und waren alle Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf. Penck hatte es in Dresden sehr schwer. Ihm wurde Ausbildung und Ausstellung verweigert. Zwei Jahre nach dem Mauerbau entwickelte er ein Zeichensystem, das auf Unverständnis der Kulturpolitiker stiess, aber seinen Stil prägte. Er versuchte noch in Dresden, auf das Medium Film auszuweichen. Sein Film Terror in Dresden (1978) zeigt ein düsteres Dresdner Stadtbild, zu dem er später in den Nullerjahren in den Babelsberger Filmstudios auf dem Piano für Stummfilme eine punkige Filmmusik komponierte.
Einige Maler stiegen auf Schmalkamerafilme um. Die Malerin Cornelia Schleime z.B. war ständig unter Beobachtung, trotzte aber mit ihrer provozierenden Kunst, in der Hoffnung, dass sie ausgewiesen würde. Lakonisch nennt sie ihr Bild: Im Osten ist alles grau, im Westen gibt es bisschen Farbe. Auch sie versuchte sich im Film, stieg dann auch in die Punkszene ein. Sie gründete die Band „Zwitscherkiste“ und benutzte ihre Lieder als direkte Kommunikation. Das führte dann endlich zur Ausreise.
Andere Punk Bands hatten es richtig schwer, landeten im Gefängnis oder wurden aus dem Stand direkt ausgewiesen. Namen der Bands zeigen die damals vorherrschende Atmosphäre: „Ambulante Hospitanten auf dem Weg zum Hospital“, „Planlos“, „Attentat“, Wutanfall“. Die Bands konnten auf Austellungseröffnungen in Ateliers auftreten oder in Gemeinderäumen der Kirche, besonders in Halle. Die Punkszene bildete sich hauptsächlich zwischen 1970 und 1980.
In der Düsseldorfer Ausstellung „Utopie und Untergang“ entdeckte ich einen ostdeutschen Künstler, den ich nicht kannte, der mich an Karl Jaspers denken liess, der ja gegen die Wiedervereinigung war. Jaspers forderte die Freiheit der Selbstbestimmung für die DDR Bürger. Diese Freiheit hielt er für wichtiger als die Wiedervereinigung. Jaspers war auch Psychiater. Es ging ihm um den einzelnen Mensch, der er selbst werden soll. Hätten die Ostdeutschen diese Möglichkeit 30 Jahre ausprobieren können, würden sie sich nicht bis heute als Anhängsel der BRD bezeichnen.
Zurück zu meiner Entdeckung. Der Künstler heisst Carlfriedrich Claus. Von ihm sind „Sprachblätter“ ausgestellt, in denen sich Schriftzüge zu Bildern verwandeln. „Skizze zur Anonymität des Subjekts“ nennt er dieses kleine Werk, das mich an den großen Denker Karl Jaspers erinnerte.