Das Alltagsleben durchschnittlicher spätmoderner Subjekte in den Zonen, die der sogenannten »entwickelten westlichen« Welt zugerechnet werden, konzentriert sich und erschöpft sich mehr und mehr in der Abarbeitung von explodierenden To-do-Listen, und die Einträge auf dieser Liste bilden die Aggressionspunkte, als die uns die Welt begegnet: der Einkauf, der Anruf bei der pflegebedürftigen Tante, der Arztbesuch, die Arbeit, die Geburtstagsfeier, der Yogakurs: erledigen, besorgen, wegschaffen, meistern, lösen, absolvieren.
(H. Rosa, Unverfügbarkeit)
Es gab eine Zeit, da war das Thema „Beschleunigung“ in aller Munde und stand auf Tages-Ordnungen von Soziologen, die etwas auf sich hielten. Warum auch nicht? Gab es nicht zu jeder Epoche ihr passendes phänotypisches Verdachtsmoment, quasi als zwillingshafter Urbegleiter, um mit Sloterdijk zu sprechen? Paul Virilio („Geschindigkeit“) kommt mir in den Sinn oder Helga Novotny mit ihrem Buch Eigenzeit. Ging es dabei nicht immer auch um Entfremdung und um das Unbehagen in der Kultur? Des einen Marx ist des anderen Freud. Die Kritik an Auswüchsen des preußisch-protestantischen Arbeitsethos hat sich heute allerdings gründlich gewandelt und andere Schwerpunkte treten in den Vordergrund. Autoren wie Byung-Chul Han behandeln sie, oder Hartmut Rosa in seinem hitverdächtigen „Resonanz“- Buch, das ganz oben steht auf meiner To-do Liste abzuarbeitender literarischer Verlockungen. Nun aber zunächst dessen vermeintliche „Kurzfassung“ Unverfügbarkeit, die ich mir ausnahmsweise mal als E-Book besorgte. Da fehlt doch entschieden das sinnlich Haptische und mit Bleistift ankreuzen kann man hier auch nichts! Wie gesagt, jede Zeit hat ihre wunderlichen Wunden.