Ein Neurowissenschaftler sagte mal, kurz nach der Pubertät sei der Mensch im Wesentlichen festgelegt. Dieses vor Jahren wahrgenommene Statement kam vor ein paar Tagen in Erinnerung, zum einen aufgrund der Neuausgabe des legendären Albums Abbey Road, zum anderen weil mich die Betrachtung von gemachten Fotos an einen Künstler erinnerten, der mich in jungen Jahren auf geradezu ekstatische Weise beeindruckte und beeinflusste. Könnte man Ekstase und Verzauberung messen, das „Twin Peaks Level“ wäre wohl noch um einige Dezibel überschritten gewesen. Es war genau in jener Umbruchzeit, der Stimmbruch schon vollzogen, als Jemand nassforsch-fordernd fragte, was denn meine Vorbilder seien. Ohne zu zögern schoss es heraus: „Max Ernst und die Beatles!“ Jahre später nochmals diesselbe Frage, diesmal war die Antwort, ebenso spontan wie selbstgewiss: „Die Sonne!“ Rückblickend kann ich heute sagen: alle drei prägenden Instanzen hatten mein Leben lang Bestand. Was auch immer gewisse Glaubensbrüder und -schwestern unter „Gott“ verstehen (ein für unsereins relativ unklarer Begriff): die Sonne stand zu allen Zeiten höher. Aufgrund eines Verkehrsunfalls lag ich zwei Monate im Krankenhaus, elfjährig und schwer verliebt in eine Krankenschwester. Ein Event tröstete mich am Tag der Entlassung über den Abschied hinweg: Abbey Road erschien. Noch schnell am Plattenladen vorbei, bislang besaß ich ja nur Singles („Crimson and Clover“, „Hey Jude“, The Troggs, The Rattles). Zuhause gleich aufgelegt (der Dual Plattenspieler wurde über Diodenstecker an das Telefunken Bajazzo Transistorradio angeschlossen). Ein neues Ich begann, tiefgreifende Identifikation: man hörte das Album nicht, man war es selbst. Ähnlich ging es mit Max Ernst, dessen Einfluss sogar die Aufnahme in die Kunsthochschule zu verdanken war. Bei ihm kamen verschiedene Momente ins Spiel: das poetische Moment, in altmeisterlicher Technik vorgetragen; die Schockeffekte von Dada und Surrealismus; und die Hinwendung zu Traumwelt und Psychoanalyse (hier besonders die Collagen). „Ein Zauberer der kaum spürbaren Verrückungen“, so wurde er genannt, der gleichzeitig urdeutsch und völlig undeutsch war. Wie gesagt, als ich im Sommer diese Fotos machte, dachte ich, der Ernst steckt irgendwie noch drin, mit all seiner Heiterkeit.