In einem meiner ersten Kommentare hier auf dem Blog (ich war noch kein „offizieller“ Manafonista) ging es auch um Herbert Vesely‘s Film „Der kurze Brief zum langen Abschied“ nach dem gleichnamigen Text und Drehbuch von Peter Handke. Damals deshalb, weil in diesem durchaus typisch deutschen Roadmovie die Musik Brian Enos zu der wunderbar surrealen Atmosphäre wesentlich beitrug und die Unbestimmtheit vieler Szenen auf ein neues Niveau hob. Leider ist dieser Film aus dem öffentlichen Repertoire völlig verschwunden.
Vor etwas über 40 Jahren wurden die Texte Peter Handkes durch den großen Bruder einer Grundschulklassenkameradin in unsere Familie gebracht. Genauer besuchte er öfters meine Mutter und führte lange Gespräche mit ihr, was insofern ungewöhnlich war, dass sie sonst eine eher zurückhaltende und kontaktvermeidende Person war. Eines Tages brachte er, der übriges heute eine exzellente Bassgitarrenmanufaktur führt, „Die Innenwelt der Aussenwelt der Innenwelt“ zu uns mit. Ein Büchlein mit Texten, die ich als damals Spätpubertierender verschlang und nach mehr verlangte.
So saß ich etwa ein Jahr später in der Oberstufe im Unterricht und las von den ewigen Redundanzen gelangweilt, Handke‘s „Kaspar“. Stille und unauffällig. Was meine Lehrerin nicht davon abhielt mich zur Ordnung zu rufen und mich scharf fragte, was ich denn da unter dem Tisch täte. „Lesen“ antwortete ich lakonisch und verkniff mir den Kommentar zum Stimulationsniveau ihres Unterrichts. „So, was denn? Dann lesen sie doch mal vor!“ legte sie nach. Doch der Moment ihrer vermeintlichen Überlegenheit weilte nur kurz, als ich ruhig begann einfach genau die Textstelle, an der ich mich gerade befand, vorzulesen. Wer mit dem Text vertraut ist, weiß, dass es sich fast nur um Ausführungen zum pädagogischen Frontalversagen handelt, klar im Inhalt und klar in den theaterreifen Aussagen. Desto weiter ich las, desto amüsierte zeigte sich der Kurs und desto stiller und verlegener wurde meine Lehrerin. Es war genau das letzte mal, dass ich beim Lesen in ihrem Unterricht gestört wurde.
Später trug ich lange Zeit meist eines seiner Journale, beginnend mit dem „Gewicht der Welt“ mit mir herum, weil sich diese kurzen, oft sehr präzisen Beobachtungen, die gerade die kleinen, leicht zu übersehenden Dinge fokussierten, hervorragend eigneten in den kleinen Momenten zwischendurch gelesen zu werden. Manchmal weckten sie mich auch einfach auf und zogen mich in eine Beobachterposition hinein, in der ich zum stillen Betrachter der Dinge werden konnte, die sonst nur zu schnell übersehen werden. Und genau diese feine Spur ist es, die ich an Peter Handke‘s Texten mag, so strittig sie vielleicht in anderer Hinsicht auch sein mögen und die nicht zuletzt auch zu etwas Doppelbödigem, wie dem „Versuch über den stillen Ort“ geführt haben.