Sprechen Sie den Titel halblaut vor sich hin. Überlegen Sie vielleicht vorher kurz, oder überlegen Sie besser nicht. Diese drei Worte, jeweils anders betont, und die Bedeutung verschiebt sich. Es ist der Titel des einzigen Romans von Rolf Dieter Brinkmann, der im Jahr 1968 bei Kiepenheuer & Witsch erschien. Am 21. November 1967 las Brinkmann im Studio des Deutschlandfunks aus dem Manuskript und sprach anschließend mit dem damaligen Literaturredakteur Wolfgang Pehnt. Eine Wiederholung dieser Aufnahme habe ich heute gehört. In Brinkmanns Buch gibt es keine klassischen Handlungsstränge, dafür Beschreibungen, Erzählungen und Eindrücke des männlichen Protagonisten über das, was Brinkmann „die Schwierigkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen“ nennt. Es ist der Beginn der Popliteratur in Deutschland. Im Gespräch sagt Brinkmann: „Ich glaube, dass ein Roman in manchen Passagen sehr grob geschrieben sein muss, um sich zu sträuben gegen eine schnelle und voreilige Aufnahme des Themas und des Dargestellten. Es muss im Leser selbst Widerstand hervorrufen.“ Brinkmann diagnostiziert ein Erstarren der Menschen in „Sachzusammenhängen und in der Fremdbedeutung von Sachen, die nicht von ihnen selbst geschaffen wurden.“ Das Jahr 1968 mit seinen Umwälzungen stand erst noch bevor. Es war ein souveränes Interview. Es ist lange her, dass ich mir das Buch gekauft habe und mich dann aber doch nicht hineinvertiefen konnte, weil es mich nicht gepackt hat. Nun, da ich Brinkmann zugehört habe, fasziniert mich der Rhythmus in seiner Sprache, die Genauigkeit der Beobachtung und die Art des sprachlichen Geflechts: intelligent, komplex und unkalkulierbar. „Keiner weiß mehr“ – so wurde der Titel eines Films von Jacques Rivette im Abspann auf der DVD übersetzt: „Va Savoir“. Es ist eine Redewendung. „Keiner weiß mehr“ ist eine poetische Übersetzung, korrekt wäre auch „Keine Ahnung“, „Was weiß ich“ oder „Weiß der Kuckuck (Teufel, Geier, etc.)“ gewesen. Der Film zählt zum Spätwerk Rivettes. Ein wichtiger Teil des Lebens spielt sich hier auf einer Bühne ab, deren Grenzen verwischen. Wie immer bei Rivette sehen wir von Paris nur ein paar Nebenstraßen, Hauseingänge, Dächer von Häusern. Wir erfahren von einem ungewöhnlichen Detail in der Organisation des französischen Bibliothekswesens und wie man die Regeln des Duells ins frühe 21. Jahrhundert übertragen kann. Am meisten erstaunt hat mich hier die Unberechenbarkeit der Charaktere. Und wie sie sich von dem, was ihnen am wichtigsten erscheint, befreien.