Wie ich geahnt hatte, war keine Chance, die ECM-Sendung noch vor meiner Abreise nach Iran zu hören. Also kommt sie in die Unterwegs-Schatulle. Gelegenheit wird sein.
In Tehran ist just ein Jazz-Festival. »Show of Hands« heiß das und bietet eine Woche lang Soloimprovisation, in diesem Jahr auf Blasinstrumenten. Europäische Musiker und ein paar iranische. Von Hakon Kornstad über Yuri Honing bis Markus Stockhausen. Manche Namen kennt man. Aber das wussten wir, mein Freund und ich, nicht, als wir beschlossen, den Reisetermin mit dem des Festivals zu koppeln. So kompliziert es auch scheint, wir versuchen, dabeizusein.
Einer der großartigsten Zufälle der letzten 20 Jahre führte uns vor kurzem in Rudolstadt beim diesjährigen dortigen Festival ausgerechnet den Chef, den Organisator der »Show of Hands« vor die Nase, der uns – dann schon wieder aus Iran mailend – prompt ein paar Karten reservierte. Zahlbar in Tehran. Dort treffen wir ihn wieder, den sehr sympathischen und hilfsbereiten Herrn, und im Gespräch stellte sich heraus, dass sein eigenes iranisches Label HermesRecords eng liiert ist mit einem gewissen deutschen Label, dessen Chef Manfred Eicher heißt. Die Welt ist groß, doch sind – in aller Winzigkeit – wir durch unsichtbare Brücken mit Allen und Allem verbunden.
Außerhalb der Großstädte ist die Szenerie, zumindest auf dem riesigen, fast die ganze Landfläche bedeckenden Iranischen Hochplateau, eine endlose, staubige und staubtrockene, steinig-geröllige, wüstenleere oder kargbewachsene flache bis hügelige Mondlandschaft, ausgenommen nur die Niederungen der Flusstäler, gerade genug Gras ist vorhanden für die Schaf- und Ziegenherden, die die Hirten übers Land treiben. Eingegrenzt wird das Plateau im Norden entlang der kaspischen Küste vom Elburzgebirge und im Süden vom mächtigen Zagrosgebirge.
Mein Freund und ich. Auf der dritten Reise durch das Land erkunden wir zu zweit neue Gegenden Irans und haben eben Tehran verlassen, sind auf dem Weg nach Rascht an der Kaspi-Küste, fahren mit dem Überlandbus unterhalb des Elburz an Karaj vorbei, das ist die direkt angrenzende Trabantenstadt Tehrans mit ebenfalls Millionen Einwohnern. Dahinter kommt eine Weile nichts mehr.
Nur hier, in diesem dürren Land, kann man den Wortsinn erfassen, wenn man sagt, eine Stadt wird aus dem Boden gestampft. Kann man erahnen, was es bedeutet, wenn sich Millionen Menschen neuen Lebensraum erobern, urban mit Annehmlichkeiten wie Verkehrsadern, Wasserleitungen, Appartments mit Teppich und Kühlschrank füllen und Ressourcen beanspruchen.
Die Fahrt jedenfalls durch die sandige Tristesse in hell-umbra und grau kontrastiert beruhigend – möchte man sagen – die visuelle Reizüberflutung in den farbenfrohen Städten. Nichts gegen Farben. Doch nimmt das Auge den Entspannungsmoment einer Fahrt von Stadt zu Stadt – was wegen der Dimensionen Irans gern fünf bis neun Stunden dauern kann – mit Wohlwollen auf.
Im Kopfhörer nun endlich die ECM-Sendung. Sie entwickelt sich zum genialen Soundtrack für diese herrliche Bildkulisse. Immer und immer wieder. Man könnte meinen, der Müßiggang der Augen schärfe die Wahrnehmung der Ohren. Welch schöne Gelegenheit, in die Musik abzutauchen, viel mehr Details als sonst klar wahrzunehmen und zu entdecken. Ich liebe die Musik von ECM. Länger als ich überhaupt um das Label dahinter weiß. Gedanken und Erinnerungen irren durch den Kopf, pendeln hin und her. Und bald bemerke ich, dass in dem Maße, wie die Konzentration den Hörsinn sensibilisiert, auch die Augen mit der Zeit beginnen, mehr und mehr Nuancen, Feinheiten, Kleinigkeiten in der Welt der arg begrenzten Farbpalette zu sehen.
So eintönig ist die Landschaft eben doch nicht. Bild und Ton. Die perfekte Symbiose. Das Eine befördert das Andere. Viele Musikstücke höre ich zum ersten Mal, wunderbare Empfehlungen werden zur späteren Vertiefung in der Kladde vermerkt. Von Tibbetts habe ich zwei frühe Alben auf einer Kassette, weiß garnicht mehr, wer mir das in die Hände spielte. Insgesamt sind mir die 70er und 80er am wichtigsten, stelle ich fest. Ich schaue aus dem Fenster des Busses und höre. Und höre und schaue. Wer immer nach Iran reisen möchte, sollte sich ECM-Musik einpacken. Das ist mein Tip.
So ist nun auch ECM unmittelbar mit meiner Liebe zu Iran verbunden, ebenso wie Iran meiner ECM-Rezeption neue Facetten hinzugefügt hat. Danke Herr Engelbrecht, für diese phantastische Inspiration. Diese kurze Einlassung muss genügen. Ich könnte die »Feder« freilich endlos weiter übers Papier ziehen. Über ECM. Über Iran. Aber ich hatte noch eine üble Geschichte versprochen zu Hiroshi Yoshimura: Nicht die »Nine Postcards«, sondern »Greens« und eigentlich gar nicht Yoshimura selbst betreffend.
Vor zwei Jahren wars. Ich kam von einem Kaitlyn-Aurelia-Smith-Konzert in Berlin aus dem Funkhaus Nalepastraße. Jan Jelinek war der Appetizer und der Sendesaal des Funkhauses als »akustische Offenbarung« versprach ein schönes Erlebnis. Mit zerfetzten Ohren trabte ich nach dem Konzert zur Straßenbahn. Wirklich wirklich schade – es hätte so schön sein können. Aber wie beim Jelinek mit seinen Klangspielereienndie Lautstärke schon so ohrenbetäubend, geradezu schmerzend war, ging es gleicherweise bei Frau Smith weiter. Keine Chance, die schönen bunt perlenden Töne zu genießen, nichtmal richtig zu hören waren sie, im Lärm ging alles unter. Vertan.
Gute Raumakustik nützt bei Krach auch nix. Es war kein Klang- sondern ein Lärmbad. Eine Unverschämtheit! Goethe sagte dazu: »Vom Handwerk kann man sich zur Kunst herheben. Vom Pfuschen nie!« Schön fand ich immerhin das Vorspielband, welches überraschenderweise Hiroshi Yoshimuras »Green« von 1986 war. Das DAS noch jemand ausgräbt … Aber auch das war krass zu laut.
Und Frau Smith selber zu sehen war – ich traue mich das zu sagen – eine große Freude. Mit eigenen Monitoren im Ohr ausgestattet war sie ganz in ihrer Welt. Elfengleich tänzelte diese zierliche und eigentlich recht kleine Person während des Kabel-hin-und-her-steckens an ihrem Buchla zu der Musik, leichtfüßig mit Ballettschühchen, fröhlich, beglückt über ihr eigenes Tun. Bei dieser Gelegenheit ist mir auch der Gedanke an Virginia Astley gekommen, die in den 90ern mit ähnlicher Stimme und ähnlich naiven Melodien arbeitete. So ist es also lediglich dieses hübsche Bild, das ich mitnahm von dem »Konzert«.
Herzlich grüßend ins Wochenende
Olaf (Ost)