Die Linder Ebene kennt hier niemand – da bin ich mir sicher. Aber die Po Ebene kennt man bestimmt, und die Norddeutsche Tiefebene auch.
Die Linder Ebene ist etwas Besonderes, nicht absolut, aber in Relation zu ihrer Umgebung. Meine fränkische Heimat ist reich an Hügeln, Bergen und sogar Gebirgen. Hoch oben – in Presseck etwa – hat man einen weiten Blick auf eine wellige Hochebene. Man sieht die tiefen, manchmal klammen Täler nicht, die von den Schmelzwassern des Frühlings hineingefräst wurden. Wo die vielen nach Süden abfließenden Bäche des Frankenwaldes und des Thüringer Waldes von größeren Flüssen wie dem Main geschluckt werden, sind die Täler begleitet von steilen Bergen.
Die Linder Ebene ist etwas Besonderes, weil sie im engräumigen fränkisch-thüringischen Bergland nicht ihresgleichen hat. Dieser weite, flache, von Bergen gesäumte Kessel fasziniert mich durch seine Offenheit und den rätselhaften Muppberg, der von allen Seiten wie ein Sarg aussieht. Lange konnte ich – unwissend – mir vorstellen, mich in einer Caldera zu befinden. Der Muppberg ein alter Vulkanschlot? Falsch.
Der Muppberg ist ein sog. Zeugenberg. Er erhebt sich aus der Ebene, weil er ein harter Brocken ist, welcher der Erosion widerstanden hat. Er scheint im Wesentlichen aus Sandstein zu bestehen. Das Umland wurde in langer Zeit von Wind, Wetter und Wasser zugerichtet, weggespült und aufgebaut.
Das ist die Steinach, kurz hinter dem Dorf Mupperg. Dieses Bächlein und ein paar andere haben die Linder Ebene hergestellt mit Sedimenten, die seit Hunderttausenden von Jahren aus dem Thüringischen Schiefergebirge angeschwemmt werden. Der Flussname drückt es aus: Stein-Ache bedeutet Steinfluss. Wegen der Trockenheit dieses Sommers ist es ein harmloses Rinnsal. Aber wenn die Schneemassen des Thüringer Waldes im Frühling dahin schmelzen und starker Regen mithilft, wird der Bach zum Ungeheuer. Besonders in früheren Zeiten, als die Winter strenger und die Flüsse noch kaum reguliert waren, geschah dies häufig. Eine Chronik von 1763 aus Oberlind berichtet:
Neujahr sind wir mit großer Mühe bis an die Kirche gekommen, haben zum Turm hinausgesehen und sind sehr erschrocken. Bei vielen Häusern lief das Wasser zum Fenster hinein, so daß viel Morast mit hineingebrauset. Drei Tage lang konnte kein Nachbar dem andern Hilfe leisten.
In meinen ersten Jahren in der Drei-Flüsse-Stadt Kronach habe ich ein solches Frühlingshochwasser gesehen. Da stand das Wasser an der Schwelle des Hotels Sonne.
Bevor der Mensch hier eine Kulturlandschaft schuf, war es ein nordisch anmutendes Feuchtgebiet. Sümpfe (Müß, wie sie in der Gegend heißen), Torfmoore und ein Artenreichtum an Wasservögeln und des Fluges nicht mächtigem Getier gaben der Gegend ihren früheren Charakter. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann die Trockenlegung des Areals. Diesen Teich hat man wohl vergessen.
Die Linder Ebene ist etwas Besonderes. Es ist mein Fahrradparadies, flach, die Wege mit gutem Belag und extrem wenig Autoverkehr, mit zwei zu Radwegen mutierten alten Bahnlinien. Doch wenn man Lust hat, kann man auch in die Gebirge hochfahren, welche die Ebene einkesseln. 500 Höhenmeter liegen zwischen Heubisch und Neuhaus am Rennweg. Immerhin 180 Meter Höhendifferenz sind es von Heubisch hinauf auf den Muppberg.
Um die Ebene zu überblicken, segelt man am besten mit dem Gleitschirm darüber hinweg. Zu fotografieren in der Totalen fällt nicht leicht. Man müsste in einem Haus am Südhang des Thüringer Waldes wohnen. Dort ist die beste Wohnlage Sonnebergs – gemessen an der Aussicht …
Jedoch am unmittelbarsten erlebt man das Gebiet mit den Füßen oder den Reifen auf dem Boden. Heute war ich zum zweiten Mal in meinem Leben auf dem Muppberg, dieses Mal mit dem Fahrrad. Bewegt man sich in der Linder Ebene, sind fotografisch nur kleine Teilbereiche erfassbar.
Der Fahrweg hinauf zum Muppberg beginnt an seiner Nordseite in Neustadt / Coburg an der Straße nach Ebersdorf. Für Kfz ist der geschotterte Weg gesperrt. Nur zur Versorgung der Arnoldhütte und anderer Einrichtungen dürfen Autos hochfahren. An einer Stelle – bei einer Haarnadelkurve – zweigt ein breiter Weg ab. Hier musste ich rasten. In der Kurve geht es ein paar Meter in Direttissima-Linie aufwärts. Auf dem Schotter drehte mein Hinterrad durch. Ich habe leider kein Allradrad. Ein E-Bike habe ich auch nicht, denn ich radle beyond mainstream. Deshalb musste ich ein paar Steilstücke schieben. Oben gibt es einen Aussichtsturm, von dem ein Blick in die Linder Ebene möglich sein sollte. Leider war die Türe verschlossen. Aber ein Bild des Muppbergs von oben, wie ein Gleitschirmflieger ihn sieht, kann ich am Ende doch noch anbieten.
Zum Schluss zeige ich den letzten Berg, den ich an diesem Tag in Angriff genommen habe. Trotz der Höhen kann ich mir vorstellen, dass Norddeutsche-Tiefebene-Radler Gefallen finden an der Linder Ebene.