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2019 28 Aug

Entschuldigen Sie Lieber Leser 1948

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | 4 Comments

„Entschuldigen Sie,

dass ich mich in der Form eines Gedichts

bei Ihnen einschlich

aber ich konnte Sie anders

nicht erreichen

Hätten Sie wohl einen Moment

Es handelt sich um Entscheidendes.

Ich habe nämlich vor

Sie zu bessern.

Bitte hören Sie doch zu …“

 
 

Eigentlich war der Verlauf meiner Reise ganz anders geplant. Ich wollte zunächst nach Hamburg, um im ehemaligen Hans Henny Jahnn Haus meinen Geburtstagstermin festzumachen. Bereits bei der Hamburger Morgenpost Lektüre beim Frühstück im Hotel wurden meine Pläne durchkreuzt. Direkt auf der anderen Straßenseite würde heute eine Peter Rühmkorf Ausstellung eröffnet werden. Was für eine Freude! Ich ließ mich sofort verführen und besuchte das Altonaer Museum gegenüber. Ich kannte Peter Rühmkorf aus meiner Studentenzeit,  aber eher als öffentliche, politische Person, weniger seine poetische Stimme. Ich betrat die Ausstellung ganz im Sinne von Hans Henny Jahnn, der einmal in einem frühen Brief an Rühmkorf schrieb: „Sie mir einmal anzuschauen, mit Ihnen zu sprechen, um gleichsam zu beriechen, ob so viel an Ihnen ist, wie Ihre Verse versprechen …“ Peter Rühmkorf war, wie ich auch, von H.H. Jahnn begeistert, angeblich zog er wegen des Romans Das Holzschiff nach Hamburg. Komisch, dass mir ausgerechnet beim Eintreten in die Ausstellung eine Zeichnung von Horst Janssen zuerst auffiel.

 
 

 
 

Peter Rühmkorf hatte eine lange, fast zehnjährige Schaffenskrise. Schon als Gymnasiast neigte er zu depressiven Stimmungen. Er hat in seinem Leben viele Medikamente ge-/verbraucht, behauptete aber auch, im Rausch besser schreiben zu können.

 
 

„Unter Stoff ins Off“(III)

 
 

Erst als er sich mit der mittelhochdeutschen Literatur beschäftigte, er überträgt sie ins Hochdeutsche, beendet dies sein Tief. ich habe meine Magisterarbeit auch in der Mediavistik geschrieben.

Während ich die Fotos seiner Kindheit betrachte, denke ich an den Verlauf meiner Weiterreise.  Meine nächste Station ist Otterndorf, dort, wo die Rühmkorfs lebten. Peter ging dort zur Schule und schrieb erste Gedichte. Als ich in Otterndorf mit meiner Freundin, die dort lebt, in der Stadtbibliothek nach Zeugen der Familie nachfragte, sagte man mir, dass gar nichts vorhanden sei. Peter verließ nach seinem Abitur diese Provinz und gründete mit seinem Schulfreund Klaus Rainer Röhl in Hamburg den Keller „Anarche“. Von dort gingen die ersten „Jazz und Lyrik Performances“ aus, vor allem die berühmten Auftritte mit Michael Naura und dessen Quartett.

In der Ausstellung stieß ich noch auf eine gemeinsame Bewunderung: Wolfgang Borchert. Ich schrieb meinen Abituraufsatz über ihn, Rühmkorf schrieb eine Monographie über ihn.

Soll ich noch etwas über die Liebe schreiben? Über seine Eva, die ich damals sehr bewunderte („Einer Frau würde ich immer raten, selber die Strippen zu ziehen“). Ja man muss seine Liebesgedichtsammlung hervorheben:

 

„Ich aber nenne diesseits und jenseits der Stirn/ ausser der Liebe nichts / was mich hält und mir bekommt.“ (Ausser der Liebe nichts, 1962)

 

Es sind nicht seine Liebesgedichte, die mir nahe gehen, es ist vor allem das Gedicht  Bleib erschütterbar und widersteh!

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4 Comments

  1. Lajla Nizinski:

    Die Ausstellung zum 90. Geburtstag von Peter Rühmkorf ist im Altonaer Museum bis zum 20.7.2020! zu sehen.

    Es gibt eine wissenschaftliche Tagung dazu vom 27.-28.9.2019. Anmelden unter crehdars@ndl-medien.uni-kiel.de

    Am 21.9.2019 eröffnet Jan Wagner eine VortragsReihe

    Am 23.02.2020 Jazz und Lyrik mit dem Leslie-Meier-Trio

  2. Michael Engelbrecht:

    25. Juli 2015.

    Das Auto bleibt auf dem Festland. Langeoog kann kommen, nur mein Hund Sancho und ich. Sancho singt besser als ich. Er kann heulen wie ein Wolf. Das Wetter bewegt sich konstant um 20 Grad herum, der Leuchtturm ist nicht so entlegen, wie ich es am liebsten habe, ich kenne ihn seit meinem achten Lebensjahr. Die Insel ist mir so vertraut, überall Dejavues mit jüngeren Ausgaben meines Ichs, und all jenen, die lange fort sind, fast aus dem Sinn.

    Hier ist die Buchhandlung, in der ich Peter Rühmkorfs Gedichtband „Haltbar bis Ende 1999“ kaufte, dort ist das Cafe, deren Tortengrösse sich wohl seit den ersten Wallungen der Wirtschaftswunderzeit nicht verkleinert hat. Rumtorte, riesig, reine Nostalgie. Die Sandorntorte im Leiss. Pflaumenkuchenorgien. „Banana Split“ war in der alten Bundesrepublik mal so exotisch wie ein afrikanischer Klangtraum von Les Baxter in einem lang versunkenen Amerika.

    Der erste Stau auf der Fahrt in den Norden. Morgen der erste Sprung in die Wellen. Auf der Fahrt in den Norden: Im Auto läuft „Eine Olive des Nichts“. Sancho liebt das Autofahren. Er träumt, wie ich herausfand, meistens in Farbe. Ein psychedelischer Hund. Ich würde mich jetzt gerne mit Ray Davies unterhalten. Ich bin träumendes Mitglied der „Village Green Preservation Society“. Es gibt einen kleinen Dschungel auf der Insel, mit Teestube. Die Dämmerung der Kindheit darf nicht verloren gehen.

  3. Lajla:

    Jetzt habe ich das Langeoog feeling und keine Sanddorntorte ;(

    Hat jemand mal Peter Rühmkorf auf einem Marktplatz mit Jazzmusikern auftreten sehen? Er reiste ja damals durch die ganze Republik.

  4. Rossignol:

    Zur Ehrenrettung der Stadt Otterndorf sei gesagt:

    Peter Rühmkorf wuchs in Hemmoor-Warstade auf, also 30 km vor Otterndorfs Toren, als Sohn einer Mutter, die ihre Kindheit in Otterndorf erlebt hatte. Er besuchte dort und in Stade die frühen Schulen seines Lebens. Aber zu Otterndorf hatte er eine eigentümliche Verbindung, die „wohl im erinnerungsseligen Rückblick auf gewisse Bildungstraditionen im Hause Rühmkorf (begründet ist), die sich nicht ganz von ungefähr mit der Stadt Otterndorf verbinden. Zwar stand hier nicht gerade mein Vaterhaus. Ein solches im eigentlichen Sinne gab es für mich nicht, aber im Pastorat am Himmelreich residierte doch immerhin mein Großvater, der Herr Supperndent, wie er im Volksmund hieß, eine patriarchalische Gestalt, die ich in Ermanglung einer greifbaren Vaterfigur bis zu meinem 9. oder 10. Lebensjahr Vati nannte.“ (aus seiner Rede bei der Verleihung des Voß-Preises, nachzulesen hier …)

    Er erhielt den Johann-Heinrich-Voß-Preis der Stadt Otterndorf im Jahre 2000 (siehe hier)
    In der Otterndorfer Stadtbibliothek hat man wohl tatsächlich NICHTS von ihm. Aber sicher in der wunderbaren Altstadt-Buchhandlung!

    Bekannt ist Rühmkorf, wie sollte es anders sein!, natürlich nur in einschlägigen Kreisen.


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