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2019 13 Aug

Impressioni e emozioni di Locarno Film Festival

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | 5 Comments

„I heard a great deal of music: music produced by Manfred Eicher. I can well imagine how musicians are inspired and influenced by these sounds. And I too have immersed myself in this music and have felt in my work, like a musician.“

 

Der Eröffnungsfilm des 72. Locarno Filmfestivals war ein 11 minütiges Werk von Jean-Luc Godard aus dem Jahr 1982: Lettre à Freddy BuacheFreddy war ein Schweizer Filmkritiker und guter Freund von Godard. Im Mai 2019 ist Buache gestorben. Ihm zu Ehren und Gedenken wurde dieser „Brieffilm“ auf der Piazza Grande in Locarno vor 8000 Zuschauern gezeigt. Das war ein Kunstgriff der neuen Festival Leiterin aus Frankreich. Was für ein intellektuelles Vergnügen! „Mein lieber Freddy,“ sagt Godard am Anfang des Films, in dem er erklärt, warum er nicht für Lausanne zum 400. Geburtstag einen Film dreht, sondern für seinen Freund. Man sieht Godard vor einem Plattenspieler sitzen, es läuft Ravel’s Bolero. Seine Stimme erzählt über die Farben der Stadt Lausanne, woher Buache stammte. Er selbst kommt nicht vor in dem Film. Dafür sieht man vollkommen normale Bürger durch die Stadt laufen, immer auf der Suche nach kairos. Das kleine Meisterwerk ist so dicht und intensiv gedreht, dass ein zweites Ansehen zu empfehlen ist. 2007 hatte Buache einen 6 minütigen Brieffilm an Godard gerichtet. Hier nun konnte man die geniale Antwort als tiefste Verbeugung vor dem grossen Filmmann miterleben.

Weniger anspruchsvoll und ganz auf der femininen Linie der neuen Festival Leiterin Lili Hinstin, folgte der Film Magari von Ginevra Elkann. Der jungen, italienischen Filmregisseurin gelingen – trotz des problembeladenen Plots – drei Kinder versuchen über die Trennung der Eltern hinwegzukommen – durchaus sonnige, humorvolle, optimistische Filmsequenzen. Das Publikum klatschte begeistert.

Ganz im Themenbereich „Frauen und Familie“ bleibend, sind drei Filme zu erwähnen, die später im Jahr in die Kinos kommen werden:

 
 

Wir Eltern

„Ein Zürcher Elternpaar glaubt, alles richtig gemacht zu haben. Doch die halbwüchsigen Kinder blockieren das Familiensystem. Bis die Eltern ausziehen. Eine autofiktionale Groteske aus dem Hause Schweikert-Bergkraut.“

 

Das freiwillige Jahr

… von Ulrich Köhler und Henner Winckler. Das ist der deutsche Beitrag im Wettbewerb von Locarno. Ein Vater versucht, seiner Tochter ein freiwilliges Jahr in Costa Rica schmackhaft zu machen. Diese ist jedoch nicht gerade begeistert von den unerfüllten Projektionen ihres Vaters.

 

Die fruchtbaren Jahre sind vorbei

… von der Schweizerin Natascha Beller. Der Filmbeitrag bekam im Vorfeld sehr viel gute Kritik. Er sei superschlau und superlustig. Drei Dreissigjährige versuchen schwanger zu werden. Dass man dieses Thema auch humorvoll behandeln kann, zeigt diese Komödie.

 
 

Für mich war der interessanteste Film Ralfs Farben von Lukas Marxt (74 min, 2019). Der Film wurde auf Lanzarote gedreht. Klischees erwartende Panorama Freunde werden von diesem Film enttäuscht sein. Marxt zeigt zwar einsam gelegene Lavafelder, stellt sie aber brutal hässlichen Bildern von Staudämmen und endlos ins Leere laufenden Staubstrassen gegenüber. Wenn der Protagonist seine inneren Ansichten nach aussen kehrt, hält der Kameramann minutenlang einen Ort im Focus, solange bis der Text zuende gesprochen ist.Das ist zuweilen anstrengend, aber für experimentelles Kino sehr gut gemacht.Die wirren, kreisförmigen Gedanken des Protagonisten über eine Vorstellung von neuer Welt auf einem anderen Planeten, bekommen so die Chance, vom Zuschauer / Hörer verstanden bzw einortbar zu werden. Vor der Aufführung wurde ein Textheft verteilt. Daraus der Prolog:

 
 

Dunkelheit / verbrannte sich drehende Computerhardware

 

Ralf: Dieser Stift wird in Planetenarbeiten verwendet, um einen Körper zu aktivieren oder zu deaktivieren … der Körper vorhanden, und unsere geistige Form, nicht präsent …

 
 

Mich lässt der Fim nicht los. Dieser Bildermix aus Landschaftsformen, Computerspielen und Fantasy Welten unterlegt mit passender Musik von Temple Solaire, Schluppiepuppie, Holzenklotz, Robbie Basho und youtube exzerpt: (Black midi) Ogge Kuk extreme 26 million notes, made by: Snake Bit, Carlos S.M … beteiligen alle Sinne. Die Welt von Ralf hat ihre eigene schizophrene Sprache, die nach Strukturen sucht und paradoxerweise in den Standbildern findet. Durch den Film streunt ein Hund, der soll jetzt überleiten zu dem nächsten Film, den ich mir nicht antun wollte, nämlich Space dogs von Elsa Kremser und Levin Peter: „How a Moscow street dog was send into space and returned as a ghost.“ Bedauerlicherweise wird der Film Diego Maradona erst nach meiner Abreise gezeigt. Ein Filmplakat hat mich sehr neugierig gemacht und bekam von mir ungesehen den Prix du Public:

 
 

 
 

Wie immer besuchte ich den hervorragenden Buchladen an der Piazza Grande und will gerne meinen neusten Kauf vorstellen: Kate Tempest – Brand New Ancients. Für alle, die „Howl“ von Alan Ginsberg mögen, sei dieses lange Gedicht empfohlen.

 
 

This entry was posted on Dienstag, 13. August 2019 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

5 Comments

  1. ijb:

    Sehr interessant, wieder einmal, persönliche Eindrücke aus Locarno zu lesen. Sehr gerne würde ich „Ralfs Farben“ irgendwo zu sehen bekommen.

    Überraschend der nicht filmbezogene Schluss … Kate Tempest ist großartig, ich habe „Brand New Ancients“ als CD, von ihr selbst gelesen, mit kleinen Musik-Zwischenspielen, habe ich mir damals direkt aus England mitbringen lassen; auch eine jüngeren CD mit Gedichten, „Running Upon The Wires“. Nachdem ihre ersten beiden (Hip-Hop-)Alben, „Everybody Down“ und „Let Them Eat Chaos“ bei uns über die Jahre rauf und runter gehört wurden – sehr empfehlenswert!! – zieht Ihr neustes Album, „The Book of Traps and Lessons“, den Bogen zwischen vorgetragenen Gedichten und Musik noch enger und ist wieder eines der besten Alben des Jahres. Es wurde übrigens von Rick Rubin produziert, der, wie einige hier wissen, u.a. dafür bekannt ist, Musikern bei der Verdichtung, Entschlackung, Reduzierung ihrer Projekte zu helfen. Bei jemandem wie Kate Tempest, die schon zuvor eine Könnerin des Fokussierten war, führte das nun dazu, dass es auf dem neuen Album z.T. nur minimalistische musikalische Begleitung zu ihren Texten gibt (hier ein Stück des Albums).

    Das erste Album ist übrigens eine Art „Hip Hop Novel“ junger Londoner um die Hauptfigur Becky, sehr mitreißend, das zweite eine von politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen getragene, ins Surreale gehende Erzählung um sieben Personen, die in der gleichen Straße leben. Die jüngste CD ist nun eine persönliche, biografische Bestandsaufnahme und insgesamt ruhiger und auch intimer.

  2. Lajla Nizinski:

    Ingo, dass du Kate Tempest so begeistert vorstellst!! Ich war müde auf der Rückreise und wollte heute noch Ergänzungen zu dem heftigen, zeitgenössischen Gedicht posten. Das hast du mir jetzt „abgenommen“, danke.

  3. Martina Weber:

    Sehr interessante impressioni e emotioni! „Ralfs Farben“ wäre auch für mich der Favorit.

    Kate Tempest steuert mit etwas bearbeiteter Stimme auch einen Textpart bei im Track Nr. 4 meines bisher immer noch unangefochten auf Platz 1 der Jahresliste stehenden Albums „Trust in the Lifeforce of the deep Mystery“ von „The Comet is Coming“. Der Track heißt „Blood of the past“, voilá:
    https://www.youtube.com/watch?v=G1J8R3rS2k0

  4. Martina Weber:

    Von Ulrich Köhler mochte ich den Film „Schlafkrankheit“ sehr.

    Ulrich Köhler lebte in den 70er Jahren mit seinen Eltern in einem Dorf im damaligen Zaire. In einem Interview mit der TAZ (14.02.2011) sagte er: „Ich hatte eher lange Zeit Angst, mich damit [gemeint sind die Kindheitserfahrungen, M.W.] auseinanderzusetzen, und vielleicht ist „Schlafkrankheit“ mein therapeutischster Film.“

  5. Lajla Nizinski:

    Es kann gut sein, dass Köhler Filmkenner vollkommen genervt aus dem überraschend hektischen Filmbeginn flüchteten. Das Thema des Films, danke Martina für den biografischen Hinweis, wird trotzdem familientherapeutisch bearbeitet.


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