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2019 11 Aug

T.C. Boyle: Outside Looking In

von: Jan Reetze Filed under: Blog | TB | 1 Comment

 
 
Da ist er wieder bei seinem Lieblingsthema, der Mr. Boyle: der Gruppendynamik, wie auch schon in „Drop City“ oder in den „Terranauts“. Der Titel bezieht sich auf eine Zeile des Songs „Legend of A Mind“ der Moody Blues: „Timothy Leary’s dead / No, no, he’s outside looking in“ aus dem Album In Search of the Lost Chord von 1968. Während allerdings der Song Leary bescheinigt: „He’ll take you up, he’ll bring you down / He’ll plant your feet back firmly on the ground / He flies so high, he swoops so low / He knows exactly which way he’s gonna go“, so zeigt der Roman sehr deutlich auf, dass Letzteres wohl kaum der Fall war.

In einer Art Vorgeschichte schildert Boyle, wie der Pharmazeut Albert Hofmann bei der Sandoz AG in Basel eine Droge synthetisierte, die er LSD-25 nannte (25, weil es noch 24 weitere Varianten gab). Testweise applizierte er sich 1943 eine Dosis der Droge, die er für minimal hielt, die aber, wie sich herausstellte, bereits einer etwa zehnfachen Überdosierung entsprach. Das liest sich im Roman amüsanter als es für Hofmann vermutlich war. Hofmanns Fahrradfahrt nach Hause wird von allen Späthippies der Welt noch heute am 19. April als „Bicycle Day“ begangen (womit auch immer).

Nach diesem Präludium erfolgt ein Sprung an die Harvard-Uni des Jahres 1962. Der Dreh, den Boyle hier jetzt anwendet, besteht darin, dass er erfundene Protagonisten (den Doktoranden Fitz, seine Frau Joanie und deren Teenagersohn Corey) in die Forschungsgruppe um Timothy Leary, Richard Alpert und seine Compagnons einbaut. Die meisten dieser Personen erscheinen mit ihrem wirklichen Namen; im Impressum des Buches wird sehr gewunden darauf hingewiesen, dass diese Personen fiktiv sind, mit der Namensnennung jedoch eine Anmutung von Authentizität erzeugt werden soll. Wer mal eine Leary-Biografie gelesen hat, wird das einordnen können; die Abfolge der Ereignisse in der Geschichte entspricht weitgehend der Realität, und der Roman folgt der Realität bis ins Jahr 1964. (Lassen wir mal außen vor, dass Leary hier stets als Professor bezeichnet wird, der er tatsächlich nie war. Er war Assistenzprofessor in Berkeley, in Harvard war er „Lecturer“. Irgendwann wäre er sicherlich Professor geworden, aber dazu kam es nicht.) Learys und Alperts Rausschmiss aus der Uni wird ebenso geschildert wie die Entstehung der Gruppe um diese beiden herum, die Learys Experimente mit der Droge auf privater und Stiftungsebene weiterführt. Teil I und III werden aus Fitz‘, Teil II wird aus Joanies Sicht erzählt.

Leary besaß offensichtlich das Talent, Geldgeber und Unterstützer von seinen Vorhaben zu überzeugen, und so trifft sich diese Gruppe — etwa 20 Personen — zunächst zum regelmäßigen Samstagabendtrip in der Villa eines befreundeten Professors, verwüstet sie dabei, bemalt die Wände mit Mandalas und fliegt achtkantig raus. Was aus der Klage des Besitzers gegen Leary wird, erfahren wir leider nicht.

Es gelingt Leary, für ein halbes Jahr ein komplettes Hotel in Zihuatanejo, Mexiko, zur Verfügung gestellt zu bekommen. Die Gruppe genießt die „summer seminar“ genannte Reise wie Urlaub mit allen Annehmlichkeiten bei freier Versorgung mit Cocktails aller Art und LSD, wobei diese Trips zunächst noch per Fragebogen nachgearbeitet werden — es ist ja Wissenschaft, was man hier betreibt. Im zweiten Jahr (wir sind dann in 1963) wiederholt sich das Spiel, bis die mexikanische Polizei der Sache ein Ende macht — ohne dass die Gruppe, die sich inzwischen als „Family“ sieht, als „Brothers and Sisters“, überhaupt bemerkt, was für wilde Gerüchte über sie inzwischen im Dorf und der Presse kursieren. Fitz, Joanie und Corey geraten in erhebliche Schwierigkeiten, da sie für die Reise sowohl ihre Wohnung und Joanie ihren Job als Bibliothekarin aufgegeben hatten.

Dann, wiederum mit Hilfe reicher Gönner, schafft es Leary, ein Anwesen mit 64 Zimmern und riesigem Garten in Millbrook bei New York zu ergattern. Dort lässt sich die Family dauerhaft nieder, ergänzt nun allerdings um einige Leute, deren Herkunft niemandem so ganz klar ist und die zum Teil als Störfaktoren wirken. Die örtliche Polizei behält das Anwesen ständig im Auge und nervt mit kleinkarierten Kontrollen; auch die „Merry Pranksters“ mit Ken Kesey statten dem Haus einen (ungebetenen) Besuch ab und hinterlassen Chaos.

In Teil III des Buches, Millbrook 1964, zeichnet sich dann zunehmend der Verfall der Gruppe ab. Dabei ist Boyle ein einerseits guter Beobachter, der sehr wohl in der Lage ist, gruppendynamische Prozesse und auch die Beziehungen zwischen einzelnen Personen auszuloten, aber andererseits zeigt sich spätestens hier auch der große Schwachpunkt: Charaktere tauchen auf und verschwinden wieder. Sie sind oberflächlich, oft in sich widersprüchlich, handeln beliebig oder kaum nachvollziehbar und sind zum Teil überhaupt nur deshalb erfunden (etwa Corey), weil sie eine bestimmte Funktion im Handlungsablauf übernehmen müssen, nicht, weil sich Boyle wirklich für sie interessiert. Konflikte gibt es jede Menge, alle auf dem Niveau von Daily Soaps, furchtbar aufgeregt, aber nicht aufregend, sexuelle Eskapaden gesellen sich hinzu. Dass die Beziehung von Fitz und Joanie/Corey zu Bruch geht, ahnt man von Anfang an, wenn man den Ton hört, in dem sie miteinander reden, und dass Fitz zunehmend psychotisch handelt, wird auch schnell deutlich. Leider gibt es trotzdem keinen einzigen Protagonisten in der gesamten Geschichte, dessen Schicksal mir nahegehen würde, es ist auch niemand dabei, den oder die ich gern kennenlernen würde. Selbst Leary bleibt eine blasse, irgendwie unmotivierte Erscheinung. Boyle hat zwar drauf, wie man Plotpoints setzt, aber sie führen zu keiner Dynamik, und, was noch unangenehmer ist, man bemerkt jedesmal sofort, wie er sie setzt. Angenehm immerhin, dass Boyle auf längliche Tripschilderungen verzichtet. Es ist ihm offensichtlich klar, dass das zwecklos wäre — man kann natürlich schildern, wie Musik farbig durch den Raum fliegt, wie sich die Wände biegen oder sich der Himmel auftut, aber es ist sinnlos, weil sich das eigentliche Triperlebnis nicht darstellen lässt. (Vielleicht könnte das ein wirklich erstklassiger Autor, aber der ist Boyle nicht. Boyle ist ein brauchbarer Autor. Immerhin.)

Das Buch endet irgendwo nach knapp 390 Seiten, ohne Auflösung, ohne Höhepunkt, ohne wirklichen Schluss. Nur eines wird deutlich: Während noch alle Family-Mitglieder sich selbst gegenüber vorschieben, als Gemeinschaft, als Experiment, als Pioniere wissenschaftlicher Forschung zu agieren, ist dem Leser klar, dass schon längst die Droge die Regie übernommen hat. Dass es den Leuten tatsächlich um nichts anderes mehr geht als um den nächsten Trip, der dann aber natürlich auch nichts löst. Wenn es Boyle darum ging, dies zu zeigen, dann ist es ihm gelungen. Im übrigen ist „Outside Looking In“ kein schlechtes Buch, es liest sich ohne große Schwierigkeiten weg, man langweilt sich nicht. Aber mit wichtigen oder sonstwie klugen Erkenntnissen rechnet man besser nicht, es kommen keine.

Diese Besprechung bezieht sich auf die Originalausgabe, die deutsche Übersetzung kenne ich nicht.
 
 

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1 Comment

  1. Michael Engelbrecht:

    Ich habe vor langem einige seiner Bücher gerne gelesen. Aber mittlerweile habe ich ihn satt. Er liebt es, immer wieder seine Figuren wie am Nasenring durch die Manege zu führen, und der Lächerlichkeit Preis zu geben. Die Muster wiederholen sich.

    HART AUF HART ist vielleicht das schlechteste seiner Bücher, pure Klischees, vorhersehbar ohne Ende, und vollkommen langweilig.

    LSD hat sicher ein enormes Potential, auch in der Psychotherapie, wenn man es auf reflektierte Weise einsetzt, und nicht, um auf einen Ego-Trip zu gehen. Was dieses Thema angeht, ist Michael Pollans Buch CHANGE YOUR MIND, mittlerweile hervorragend ins Deutsche übersetzt, trotz des doofen Obertitels, tatsächlich, im Vergleich, bewusstseinserweiternd.

    Die zwei Romane, die ich richtig gut fand:

    WORLD‘S END
    TALK TALK


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