The guitar is multilingual
Habt Ihr das Sommerloch schon einmal gesehen? Nein? Ich auch nicht. Ich habe einmal das Denkloch gesehen, gemalt von einem französischen Künstler. Da steht ein Mann und denkt ein Loch in den Boden. Beeindruckendes Gemälde. Ich will heute darüber nachdenken, weshalb ein vegan-non-smoking-antialcohol Festival wie das Fusion in Müritz genauso gut eine Bombenstimmung hervorzaubern kann, wie Woodstock; dass Bob Dylan nach Hamburg tourt; und warum Neil Young eine schlechte Performance in Mannheim lieferte; dass ich am Rhein sitzen kann und mit Tausenden ein great party feeling bei freiem Eintritt haben kann; dass ich es toll finde, dass Leute zusammen Musik aus ihren mitgebrachten Blockbustern hören und das im Spotify Zeitalter …
And nobody is watching you
Ich denke an früher, wie wir zusammen saßen, unsere neu erworbenen Schallplatten anhörten und über die Marke des Schallplattenspielers oder über die richtige Gramzahl beim Auflagegewicht der Nadel – Kristall oder Diamant – diskutierten.
And nobody was watching us
Neben mir steckt sich die Frau im leichten Sommerkleid ihre winzigen earphones rein, neben ihr der Freund mit gelben grossen headphones.
And they are all watched
Ich habe das Buch von Shoshanna Zuboff dabei: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus (Campus). Darin geht es um die einseitige Beanspruchung menschlicher Erfahrung als Rohstoff zur Umwandlung in Verhaltensdaten. Und um die allgegenwärtige Frage: Beherrschen wir noch die Maschinen? (The Big Other / Lacan). Die Harvard Ökonomin findet eine plausible Herleitung vom Massenprodukt Auto (Ford) bis hin zum vermeintlich individualisierenden Produkt iPhone. Sie erklärt sehr anschaulich, wie die Ökonomie geschickt das Verhalten der User von iTunes, iPod und iPhone ausnutzt, spricht gar von „Verhaltensterminkontrakten“. Ihre etwas sperrig daherkommenden Wortschöpfungen machen durchaus Sinn, wenn man bereit ist, mit ihr die Vorstellung zu teilen, was wir eigentlich sprachlich und denkerisch für Mittel haben, für das, was Facebook und Google mit uns macht. Sie nennt es noch: Das Beispiellose. Sie gibt uns zum besseren Verständnis das Beispiel des Pferdewagens, der plötzlich ohne Pferd in Bewegung geriet – und man auch nicht wusste, wie man das nennen sollte. Zuboff arbeitet auch mit vorhandenem Wissen und zieht Skinner (Behaviorismus) und Hannah Arendt (Totalitarismus) hinzu, um fortzuführen und aufzuklären, wie sehr uns die großen digitalen Unternehmen im Griff haben. Auf dem neuen Album Talk To Me von der Bostoner Band Editrix,werden wir schon am Anfang Zeuge der menschlichen Veränderung: „I did it for the Instagram.“ Wendy Eisenberg singt diese Lyrik. Ich kenne sie aus dem Country-Umfeld. Nun hat sie anscheinend ihr Banjo zur Seite gelegt und konzentriert sich voll auf ihre Gitarre. Ihre Riffs sind phänomenal. Zusammen mit Steve Cameron am Bass und Josh Daniel am Schlagzeug spielt das Trio von Free Jazz bis yet unnamed music. Wer denkt da nicht an die nicht zu kategorisierende Musik von Captain Beefheart. Also – give it a shot.