1
Hier spricht das Cover Bände über die Musik, die zu erwarten ist. Und es ist, neben „Magico“ von Garbarek, Gismonti, und Haden, ein weiteres meiner Lieblingscover des Labels. Zudem werde ich dieser Musik nie überdrüssig. Auf kuriose Weise führte einst eine Art „Hörspielkassette“ von Steve dazu, dass ich überhaupt bei Radiostationen vorstellig wurde. Dass ich mich später weiterhin für die Alben dieses „guitar outlaw“ begeisterte, hatte nichts mit Dankbarkeitsbekundungen zu tun. Und wie im letzten Jahr „Life Of“ bei mir einschlug – ich komme bei diesem Album bis heute nicht aus dem Staunen heraus. Steve Tibbetts hat sein Feuer nie verloren. Selten ist es vorgekommen, dass ein Musiker seine fertige Aufnahme einpackt, zu einem anderen Raum fährt, sie dort abspielt und zugleich über diverse Mikrofone neu aufzeichnet, so dass ein leicht verwandelter Sound entsteht, die andere Raumakustik als subtiler Gewinn betrachtet wird. Verblüffend, die Aktion, positiv „klangverrückt“, auch wenn ich die zwei Fassungen nicht vergleichen kann. Ich hoffe, der eine oder andere Leser dieser Zeilen macht sich auf den Weg zum Punktfestival nach Kristiansand, dort spielen Steve und Mark in einer Kirche. Nicht mein Lieblingsort für Konzerte – ich fürchte stets ein Übermass an Echo – aber sie werden sich schon etwas einfallen lassen, die Akustik zu nutzen.
2
Man nenne dies nicht Fusion Music und auch nicht Crossover. Die Musik des 1954 in Madison, Wisconsin, geborenen Steve Tibbetts erzählt Reisegeschichten über elektrische Wildnis und akustische Kulturlandschaften. Mit sechs Jahren hatte Steve begonnen, die Ukulele zu erforschen, und griff zur akustischen Gitarre, sobald seine Hände sie fassen konnten. Später spielte er in Rockbands und richtete sich im Laufe der Zeit in St. Paul, Minnesota, ein eigenes Studio ein, das bald zum zweiten Instrument wurde – Klangmanipulationen gehörten zum Handwerk eines Musikers, der Tag und Nacht Tomorrow Never Knows von den Beatles und Ege Bamyasi von Can hörte.
Der Globetrotter aus Passion hielt Abstand zu jedem drohenden Mainstream, vermied die mechanische Griffbrettartistik mancher Kollegen und kämpfte gegen den üblichen Etikettenschwindel: „Folkmusik vom Mars“ nannte ein Journalist Tibbetts‘ Klanggebräu. Seine erste große Reise führte nur nach Oslo: Unter der Klangregie Manfred Eichers entstand die karge, leicht pulsierende Gelassenheitskunst von Northern Song. Seitdem mischte der Gitarrist die Höhen- und Breitengrade seiner Musik nach den Gesetzen des freien Falls von Mikadostäbchen und produzierte brillante Werke, mit Titeln wie Safe Journey (1984), Big Map Idea (1990) oder The Fall Of Us All (1994) – eine konstante Verletzung des Orientierungssinnes. Manchmal sind da Geräuschspuren der Fernstraßen um Minneapolis zu hören, der Rocky Mountains oder eines Mönchschors aus Tibet.
Und so finden sich auch Fetzen eines fremden Alltags auf seiner neuesten Arbeit, A Man About A Horse, wenn beim Sampeln Natur- und Tierlaute zusammen mit den bronzenen Sounds von Gongs gespeichert werden (ECM 1814). Fasziniert ist Tibbetts von der Kebyar-Schule der Gamelan-Musik, ihren explosiven Attacken, kühnen Synkopen und verwickelten Läufen aus Blockakkorden. Bali, Indonesien und Nepal wurden bald zum ständigen Reiseziel. Er hört zu, wenn ein Einheimischer von den Geistern der Bäume spricht, und lässt sich vom endlosen Klingklang indonesischer Puppenspiele in den Schlaf wiegen. Kehrt Steve Tibbetts von seinen Reisen zurück, arbeitet er mit frei schwebenden Erinnerungen, nicht mit akustischen Abziehbildern.
Asien wird hier zu einer Welt, von der ein später Jimi Hendrix geträumt haben könnte. Komplexe Texturen, die, allem Gitarrenfeuer, aller Perkussionsdichte und Basswucht zum Trotz, eine seltsam beglückende Klarheit verströmen – als könnte man der Musik beim Luftholen zuhören!