Mitte Januar las ich in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel über die britische Komponistin Rebecca Saunders, die 51-Jährige werde im Juni in München den hochdotierten internationalen Ernst von Siemens Musikpreis 2019 erhalten. Dieser Preis sei so etwas wie der “Nobelpreis für Musik“. Ich hatte noch nie etwas von Rebecca Saunders gehört, neugierig geworden, las ich weiter. Ihre Kompositionen seien komplex, kämen zumeist ohne Melodie aus, seien aber Werke von hoher Intensität. Und dann ließen mich zwei Bemerkungen hellwach werden:
„Molly’s Song 3 für Alt-Flöte, Bratsche und Gitarre etwa, bei dem plötzlich das mechanische Rauschen von vier Radios in das Stück hereinbricht, nur um von einer zarten Spieldose abgelöst zu werden. Der Schlussmonolog der Molly Bloom in James Joyce‘ Ulysses hat die drei „Songs“ inspiriert.“… „Yes“ bezieht sich ebenfalls auf den Schlussmonolog in Ulysses, auf die letzten Worte von Molly Bloom, bei Joyce ein nicht endender Gedankenstrom. Saunders lässt eine Sopranistin Textschnipsel singen, …“
Die andere Bemerkung bezieht sich auf die Stille in der Musik:
„Klang zum obersten Prinzip zu erklären und Stille zum Werkzeug zu machen, sind natürlich keine neuen Ideen. Sie durchziehen die „Neue Musik“ des 20. Jahrhunderts nicht erst seit John Cage und „4’33“. Bei Saunders aber trägt die Stille die Musik, „sie rahmt den Klang“, schreibt die Komponistin. Jede Pause bekommt durch die Musik vor und nach ihr eine Bedeutung.“
Nun war für mich klar, über diese Komponistin gilt es mehr zu erfahren: 1967 in London geboren, die Eltern und Großeltern Pianisten, bzw. Organisten, Studium der Komposition in Edinburgh und Karlsruhe (Wolfgang Rihm), Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern, viel Preise, inzwischen mehr als 60 Werke geschrieben, seit 2011 Professorin für Musik in Hannover. In Stuttgart war sie vor 14 Tagen während des Eclat-Festivals mit der Uraufführung von „Unbreathed“ für Streich-quartett (Quatuor Diotima) zu erleben.
Die Stuttgarter Zeitung fragte Rebecca Saunders nach den vielen stillen Momente in ihrer Musik, ihre Antwort:
„Der Moment des Wartens interessiert mich ungeheuer. Was passiert, wenn die Musik angehalten wird, sodass die Ohren sich neu fokussieren müssen? Die Stille ist ein Ideal, sie existiert eigentlich nicht, birgt aber ein enormes Potenzial, und damit zu arbeiten, indem man etwa unter der Oberfläche der Stille einen Klang herauszieht und dann langsam wieder zurückgehen lässt, das finde ich allein schon faszinierend. Was für eine Spur hinterlässt so ein Klang, den die Stille einrahmt? Stille ist wie eine Leinwand, sie steht immer hinter dem Klang.“
Mich erinnern diese Aussagen natürlich auch an Paul Bley, auch so ein Meister der Stille.
Gefragt, welches nun mein Lieblingmusikstück von der neu entdeckten Komponistin sei, ist die Antwort klar, das zwanzigminütige … Of Waters making Moan für Akkordeon. Ja, und das wäre auch überhaupt meine derzeitige Lieblingsplatte.