Manafonistas

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2019 26 Jan.

„Boo To You Too“ – Berlin 1979

von: Hans-Dieter Klinger Filed under: Blog | TB | 3 Comments

1979, wenige Wochen nach der Aufnahme von Fictitious Sports trat die Carla-Bley-Band bei den Berliner Jazztagen auf. Die Aufnahmen gibt es sicherlich noch im Archiv des SFB, nunmehr kulturradio rbb. Vielleicht muss man einfach wachsam sein, wenn man den kompletten Auftritt irgendwann hören möchte. Rundfunk rbb überträgt regelmäßig Konzerte der Berliner Jazztage aus alten Zeiten. Im Jahr 2015 hat eine italienische Bootleg Seite zugegriffen und das komplette Konzert – übertragen von rbb – mitgeschnitten. Das Download-Link ist leider vertrocknet. Michael Naura stellte die Band vor, und dann gab es diese Schmankerl zu hören:
 
 

Floater
Ida Lupino
Wrong Key Donkey
Dreams so real
Walking Batterie Woman
I’m a mineralist
Boo to you too
Musique Mecanique III

 
 

Aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des JazzFests Berlin veröffentlichten die Berliner Festspiele in Kooperation mit SWR2 und kulturradio rbb eine LP in limitierter Auflage, von einer exzellenten Pressqualität, wie ich sie noch nie auf dem Plattenteller hatte. Weil dem Globe Unity Orchestra eine LP-Seite eingeräumt wurde, ist der Auftritt der Carla-Bley-Band nur zur Hälfte auf der Schallplatte vertreten. Hier eine kleine Galerie des Gatefold Covers:
 
 
 

     
 
 
 

Im zweiten Bild steht links an den Tubular Bells Thomas Stöwsand. Das möchte ich für die Freunde der Gleichmannstraße 10 anmerken. Was es mit dem Titel Boo To You Too auf sich hat, beschreibt Bert Noglik im Cover Text. Auf dem Image ist das schwer zu entziffern. Hier, bitteschön, der Text in voller Lesbarkeit:
 

Es erschien reizvoll, bei dieser LP-Edition der europäischen eine unkonventionelle amerikanische Großformation gegenüber zu stellen. Auch bei der zweiten hier dokumentierten Konzertaufzeichnung handelt es sich um eine Erstveröffentlichung, diesmal aus der langjährigen Ära von George Gruntz als künstlerischem Leiter des JazzFest Berlin. Die Carla Bley Band betrat 1979 die Bühne der Berliner Philharmonie. Carla Bley präsentierte Stücke aus eigener Feder, in denen sich zwar etwas von der Tradition amerikanischer Großformationen des Jazz, zugleich aber auch ein europäischer Einfluss spiegelt. „Walking Batterie Woman“ zählt zu den frühen Kompositionen von Carla Bley, erstmals 1966 eingespielt mit dem von ihr und ihrem damaligen Ehemann Mike Mantler gemeinsam geleiteten Quintett (mit Steve Lacy) für die Platte „Jazz Realities“. Der musikalische Gestus des Themas ist prägnant und erinnert in seiner Kantigkeit ein wenig an Thelonious Monk. Mit der Musik und dem vom Schlagzeuger D. Sharpe vorgetragenen Songtext „l’m A Mineralist“ bezieht sich Carla Bley klang- und wortspielerisch auf die Minimal Music. „Erik Satie gets my rocks off“ heißt es da, „Cage is a dream, Philip Glass is a mineralist to the extreme“. Das Stück entstand für die Platte „Fictitious Sports“, die im Monat zuvor in New York aufgenommen und später unter dem Namen des Pink Floyd-Schlagzeugers Nick Mason veröffentlicht wurde, obwohl alle Kompositionen von Carla Bley stammten. Auch „Boo To You Too“ findet sich auf „Fictitious Sports“. Inspiriert wurde das Stück von den berühmt-berüchtigten „Berlin Booers“, denen Carla Bley das Stück auch gewidmet hat. 1979 war das Berliner Publikum allerdings nicht mehr so buhfreudig wie noch in den Jahren zuvor. Die Buhs wurden von George Gruntz, Mitarbeitern und Presseleuten in den Saal gerufen und von den gesitteten Konzertbesuchern argwöhnisch wahrgenommen. Das abschließende „Musique Mecanique III“ hatte Carla Bley ein Jahr zuvor für ihr 1979 veröffentlichtes Album „Musique Mecanique“ aufgenommen. Schon als Kind, bekannte sie, habe sie der Besuch eines Museums mit mechanischen Musikinstrumenten und Spielautomaten in San Francisco außerordentlich fasziniert. Aber auch ein undogmatischer Umgang mit Ausdrucksmitteln der Minimal Music, Einflüsse von Kurt Weill, Hanns Eisler, Gil Evans, Charles lves und vielen anderen haben Spuren hinterlassen. Dabei ist Carla Bleys Musik unverkennbar eigenwillig. Sie trotzt der Kategorisierung und kreiert, anders als Alexander von Schlippenbach, aber im Nonkonformismus wesensverwandt, ihre eigene Welt.

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3 Comments

  1. Hans-Dieter Klinger:

     
     
    Album Data @ discogs
     
     


    BOO TO YOU TOO SONGTEXT

    Just when we was startin‘ to play
    Someone yelled out take ‚em away
    Then we heard ‚em startin‘ to boo
    What did you do? What did you do?
    I reacted intelligently
    Here’s my method, try it and see
    When somebody’s runnin‘ you down
    You got to turn it around, turn it around
     

    So when they boo at me you know what I do?
    I tell ‚em boo to you too, boo to you too
    Boo to you too, boo to you too
     

    I don’t take it personally
    When somebody’s booin‘ at me
    Makes no difference if the music is fine
    I never pay it no mind, pay it no mind
    When you’re tryin‘ something that’s new
    You’ll have people booin‘ at you
    When we hear ‚em startin‘ to boo
    What do we do? What do we do?
     
    Well when they boo at us you know what we do?
    We tell ‚em boo to you too, boo to you too
    Boo to you too, boo to you too
     
    Keep your chin up, play what you feel
    Music’s always grand if it’s real
    Even if they’re cruel to you
    You got to do what you do, do what you do
    When they’re ready to tear you apart
    Use your noodle and try to be smart
    Don’t just stand there takin‘ abuse
    You got to put it to use, put it to use
     
    You make ‚em boo on cue, they say boo
    And you say boo to you too
    Boo to you too, boo to you too
     
    You make ‚em boo on cue, they say boo
    And you say boo to you too
    Boo to you too, boo to you too
     
    Boo to you too, boo to you too
    Boo to you too, boo to you too


     
     

  2. Michael Engelbrecht:

    Bert Noglik ist einer meiner nettesten Kollegen. Menschlich voll in Ordnung, und fachlich in der Lage, komplexe Zusammenhänge lebendig und verständlich darzulegen. Witzigerweise haben wir seit langem miteinander zu tun, getroffen habe ich ihn aber noch nie.

  3. Rosato:

    Bert Noglik schätze ich sehr und das schon sehr lange. Ich wohne 1 km von der Landesgrenze Thüringen entfernt. Vor 1989 waren Radiostationen der DDR gleichsam Ortssender.

    DDR2 bot ein ausgezeichnetes Kulturprogramm, u.a. die Reihe Klangwelt-Weltklang des Musikethnologen Erich Stockmann und gute Jazz-Sendungen, moderiert von Karlheinz Drechsel, dem Vater von Ulf Drechsel. Wahrscheinlich habe ich damals schon die Stimme von Bert Noglik vernommen.


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