Es war ein langer Weg (ein Buch, eine Radiosendung, Pläne, Zufälle, dieselbe Leidenschaft, eine Freundschaft, eine kleine Provokation und viel Mut), der dahin führte, dass in diesen Tagen der zweisprachige Gedichtband Wörterbücher | Diccionarios als zweites Buch in der feinen Heidelberger Dependance des Hochroth Verlages erschien. Es begann vor etwa dreieinhalb Jahren, als ich über ein Poesieportal eine Mail von Geraldine Gutiérrez-Wienken erhielt, die fragte, ob sie zwei Gedichte aus meinem Band in ihrer spanisch-deutschen Radiosendung Poesía beim Bermudafunk Mannheim veröffentlichen könnte. Einige Zeit später trafen wir uns zum ersten Mal, an einem sonnigen Spätsommertag, an der Treppe zum Architekturmuseum, am Main. Menschen, die man ohne Personenbeschreibung, ohne Foto erkennt. Nach unserer ersten Begegnung schrieb mir Geraldine: „Ich denke, wir werden viele Projekte zusammen auf die Beine stellen und darauf freue ich mich.“ Wir übersetzen gemeinsam Gedichte aus dem Spanischen. Nun spreche ich zwar weder Spanisch noch verstehe ich es, ich habe jedoch durch einen Übersetzungsworkshop in Istanbul den Mut mitgenommen, mich vom wortwörtlichen, peniblem Übersetzen, wie ich es aus den alten Sprachen in der Schule kannte, zu lösen. Da Sprache sowieso nichts abbilden könne, hatte Kurt Drawert in seinem Einführungsvortrag gesagt, könne der Dichter allenfalls eine Ahnung von dem haben, worüber er im Gedicht spreche. Der Nachdichter müsse eine Ahnung von der Ahnung des Dichters haben. Das klang nach Freiheit und das gefiel mir. Bei der Frage, ob die Übersetzung im Hinblick auf den Originaltext verantwortet werden kann, hat Geraldine immer das letzte Wort.
Die spanische Lyrikerin Trinidad Gan stellt »Wörterbücher« des Lebens aus nächster Nähe zusammen. Ob auf Europas Straßen, beim Betrachten eines zerbrochenen Spiegels oder der Anrufung eines Belastungszeugen, in ihren Gedichten lodert die starke Flamme des Verlangens und der Wirklichkeit, ganz in der Lyriktradition eines Luis Cernuda oder Federico García Lorca.
Hier ist das Titelgedicht:
DICCIONARIOS
Al enfrentar lenguajes construimos
un muro para apartar las sombras
y trazamos, llevados por el pánico,
fronteras que contengan la vida y su avalancha.
Mas, cuando ella nos toca,
con su borde afilado, con su frágil belleza,
es tarea perdida.
Si restalla en los labios,
¿qué muralla podremos alzar entre los hombres?
Era tu noche triste, la mía de abandono.
En aquel alfabeto que yo no conocía
me hablabas, extranjero,
de los años pasados: deseo y literatura.
Bajo la lluvia fría vi mezclarse
las raíces comunes de nuestros diccionarios
y ya sólo escuché arder un eco:
dos voces conjugando la soledad vencida.
WÖRTERBÜCHER
Wenn wir uns mit Sprachen beschäftigen,
ziehen wir eine Mauer um uns, um Dunkles auszulöschen.
Wir bauen, aus Panik, Grenzen,
hinter denen das Leben mit seinen Lawinen liegt.
Aber wenn das Leben uns packt
mit seiner scharfen Kante,
seiner zerbrechlichen Schönheit,
wenn es zuckt oder zittert in unseren Lippen,
wie könnten wir dann an eine Mauer denken?
Era tu noche triste. Meine Nacht war Mutlosigkeit.
In einem Alphabet, das ich nicht kannte,
sprachst du zu mir, Fremder,
über die vergangenen Jahre: Sehnsucht und Literatur.
In einem kalten Regen erkannte ich
die gemeinsamen Wurzeln unserer Wörterbücher,
ich spürte, wie sie sich vermischten, und es glühte
ein Echo: die Einsamkeit zweier Stimmen
aufgehoben in ihrer Verbindung.
Hier ist der Link zum Buch.
Auf der Titelseite findet sich eine Zeichnung von Juan Luis Landaeta, einem Venezolanischen Dichter und Künstler, der in New York lebt.