2009 wurden alle Liebhaber seiner Erzählungen und Romane ganz heftig in Aufregung versetzt. Aus Paris erreichte uns die Nachricht, dass in Julio Cortázars Nachlass stapelweise „papeles inesperados“ (unverhoffte Papiere) gefunden worden sind. Ein vollkommen unbekanntes Kapitel aus Rayuela – Himmel und Hölle habe man gefunden, Erzählungen, Kritiken, Aufsätze. Nach dieser Meldung warteten wir … vergebens. Der Suhrkamp-Verlag, der seine Werke verlegt, schien kein Interesse an den “Papieren“ zu haben, es geschah einfach nichts. Einmal las ich, dass in Spanien wohl recht bald eine Auswahl aus den “Papieren“ erschienen war, immerhin, ein Buch, 472 Seiten schwer: Papeles inesperados nannte der spanische Verlag Alfaguara das Buch. In Deutschland warteten wir weiterhin, bis sich im Sommer 2018 etwas bewegte. Im Rahmen eines Übersetzungsschwerpunktes der Kunststiftung NRW hatten sich Henriette Terpe und Frank Henseleit eine Erzählung aus den Papeles inesperados vorgenommen und zwar Los gatos („Die Katzen“) und sie ins Deutsche übersetzt. Der Lilienfeld-Verlag brachte dann eine liebevoll gestaltete zweisprachige Ausgabe (mit Lesebändchen) heraus, sodass jetzt auch hierzulande aus dem Nachlass Julio Cortázars wenigstens eine Erzählung auf Deutsch erscheinen konnte. Und was für eine!
1948 hatte Julio Cortázar Los gatos geschrieben. Zwei Kinder, Marta und Carlos Maria, wachsen miteinander als Cousine und Cousin wie Geschwister auf.
„Als Carlos María acht Jahre alt war, reizte er an seiner Cousine gerne alle Möglichkeiten eines gnadenlosen, ausgeklügelten Spiels aus, um damit die Stunden der Siesta zu füllen. Marta zögerte, bevor sie in die Rolle des Häuptlings der Sioux schlüpfte, denn sie fürchtete das knallende Lasso, das sie unter der Weide in die Enge trieb, die gefesselten Knöchel, den selbstgerechten Blick Buffalo Bills, wenn er sie vor das Gericht der Bleichgesichter zerrte. Lieber spielte sie Fangen, weil sie darin ihrem weniger wendigen Cousin überlegen war, oder stromerte durch das Brachland, um Heuschrecken zu fangen.“
Die beiden werden miteinander älter und entdecken im jugendlichen Alter ganz neue Interessen aneinander. Als sich eines Tages ein gewisser Rolando für Marta interessiert, erwacht in Carlos Maria rasende Eifersucht:
„ … und er hatte sie geküsst … Es war wohl nicht das erste Mal, dachte Carlos Maria, während er sie beide finster anstarrte, und diese Gewissheit brachte ihn vollends durcheinander, so, als hätte ein Fausthieb die gewohnten, unbewussten Wahrnehmungen jäh beendet und im schrecklichen Moment des Auftreffens einen unerträglichen Tumult von Schmerz, Gerüchen, Geschmack, Sternen und Übelkeit hervorgerufen, als prasselte ein wütender Bienenschwarm gegen eine Windschutzscheibe. Er starrte Rolando unverändert an, ohne etwas sagen zu wollen, nicht einmal anstarren wollte er ihn …“
Als Carlos Maria eines Tages im alten Sekretär seines Vaters einen rätselhaften Brief findet, kommt alles noch viel schlimmer. Leider endet die Lektüre viel zu schnell, man möchte, dass dieses wunderbare Büchlein bitte nicht so schnell endet.
Was für eine Freude: Julio Cortazar – Die Katzen/Los gatos!