Es begann ja alles zwei Monate vor Weihnachten, rückblickend betrachtet, als ich den, zum Meeressaum hin, schiefen Strand auf einer Nordseeinsel ablief, was schon bescheuert war, orthopädisch betrachtet, und mich seitdem kleine Meldungen vom Knie begleiteten. Als es doch auf Dauer lästig wurde, besprach ich mit meinem Hausarzt, der bei mir fast immer richtig liegt, zwei, drei kleine Baustellen, und er beruhigte mich wegen des Knies, was voreilig war. Ganz kurz vor Weihnachten schwoll es jetzt an, und nur noch humpelnd ging es über kleinste Strecken. Eine führte ins Badezimmer, ich richtete mir ein Schaumbad her, stellte eine kleine Box auf, und hörte, in aller Ruhe, und zum ersten Mal, das ganze Album Drift Code von Rustin Man aka Paul Webb, einem einstigen Mitstreiter von Talk Talk. Der legale Download kam von Domino, das Werk erscheint am 1. Februar. Nun sind meine Musikoffenbarungen in Badewannen Legende, ich erinnere an meine allerliebste, und hier schon mit viel Schaum ausgebreitete, Erzählung, wie einst mein alter Freund David Webster mir aus London die Schallplatten The Plateaux of Mirror von Harold Budd und Brian Eno und Possible Musics von Jon Hassell und Brian Eno per Päckchen in meine WG nach Würzburg schickte (ich konnte es nicht abwarten, und in Deutschland waren sie noch nicht herausgekommen), und ich den beiden Platten zu Kerzenschein Stunden lang in der Wanne lauschte, wieder und wieder aus dem Wasser sprang, um die Plattenseiten zu wechseln. Und auch wenn ich jetzt nur einmal zuhörte, war die Wirkung ähnlich tiefgehend, und Grund genug, aus dem Staunen nicht mehr rauszukommen. Wäre das Album von Rustin Man in diesem Jahr erschienen, es wäre mein Album des Jahres geworden. Ich habe keine Erinnerung, ihn je singen gehört zu haben, den Job auf dem bislang einzigen Rustin Man-Opus hat Beth Gibbons erledigt, aber nun dies: eine gewisse, gelegentliche, einfach in der Natur seiner Stimme liegende Verwandtschaft mit Robert Wyatts Gesangsorgan, pure Koinzidenz, und auch nicht des Pudels Kern – variabel ist die Stimme ohnehin, einmal kam ich mir kurz vor wie in einer Parallelwelt von David Bowies Station to Station. Sechzehn Jahre habe er an diesen Songs gearbeitet, daheim, im Hinterland von Stanstead, erzählt er. Und ich glaube es gerne, obwohl sich nichts gedrechselt und überdreht anfühlt, eher wie aus dem Ärmel geschüttelt, Schicht für Schicht. Drift Code unterläuft konventionelle Formate, ich kam mir vor wie in einem Theater der Träume, jederzeit konnte sich die Szenerie wandeln, es gab keinen schwachen Moment, Paul Webb ist bestimmt, man kann es an manchen, ins Unwirkliche treibenden, Atmosphären erkennen, ein passionierter Kinogeher oder Filmeschauer. Es ist mir komplett egal, wie die versammelten Kritikerstimmen lauten werden. In meiner Welt ist Drift Code ein Meisterwerk, und eines der ergreifendsten Songalben der ersten neunzehn Jahre des 21. Jahrhunderts. Verzaubert, glücklich und ergriffen stieg ich aus der Badewanne, und bereitete mir eine Quarkwickel fürs Knie.