Wenige Dinge sind so nervend wie die klassisch angehauchten Klimperstudien, die Unbegabte auf leidlich gestimmten Klavieren in grossen Buchhandlungen feilbieten. Und die Stirn legt sich durchaus in Runzeln, wenn ein Pionier des wilden Undergrounds der frühen Jahre, im hoffentlich langwährenden Lebensabend angekommen, zum Konzertflügel findet, und „Schubert“ sagt. Er sagt auch „Cage“, er sagt auch „Gagaku“, und als letztes verweist er, angesichts seiner „spontanen Meditationen“, darauf, dass natürlich auch der wilde Underground zum emotionalen Gedächtnis zähle, welches diese 5 Klavierstücke mitgeformt habe, also sagt er auch „Can“. Ernst Jandl war es schon immer suspekt, in welche Wallungen „Kulturbetreiber“ geraten, wenn sie sich salbungsvoll geben. In seinem Gedichtband „Die Bearbeitung der Mütze“ bekam der gute alte Rilke-Kult sein Fett weg, und, wenn man das im Vorfeld liest, was hier nun an kulturellem Gepäck abgeladen werde, könnten „böse Zungen“ dichten: „Schubert schubst einen Stuhl um / Cage sitzt auch am Tisch herum / Alles ein wenig gaga und Gagaku / eins, zwei, drei / und dann noch Can, auwei.“ Nun kommen sie also bald heraus, die „5 Klavierstücke“ von Irmin Schmidt, die er auf zwei Flügeln gleichzeitig darbietet, wir haben einen Pleyel-Flügel vor uns, präpariert a la Cage, und einen Steinway (gerne möchte der Pressetext damit punkten, dass es ein hundert Jahre alter Steinway ist). Und dann höre ich also in aller Ruhe diese CD, die letzthin vollkommen unaufgefordert in meinem Briefkasten lag, und von der ich mittlerweile auch wusste, und bald bestätigt fand, dass sie im Süden Frankreichs an einem belebten Badestrand der Cote D‘Azur aufgenommen wurde, so dass also Kindergeschrei und Wellenrauschen einen steten Klangteppich bilden, und der Pianist vergeblich versucht, mit manchem Schnack aus Kinderlied und französichem Evergreen die Lauf- und Badekundschaft etwas ruhiger zu stimmen. Mehr gaga als Gagaku. Ab und zu schneit etwas von Schuberts Winterreise herein, und der Herr am Piano, der nun vollends vom Bar- zum Badepianisten mutiert, hellt die beim alten Franz herrschende Tottraurigkeit mit recht munteren Kapriolen und Triolen auf. Nehmen diese wertvollen Konzertflügel nicht Schaden, wenn man sie komplett in den Sand setzt? Nun, das mit dem Süden Frankreichs stimmt tatsächlich, ansonsten hat ein gewisser Gareth Jones in einem Tonstudio (oder einem zum Tonstudio umfunktionierten Wohnzimmer) das alte Handwerk von „close miking“ perfekt umgesetzt: jeder Pianoton hyperrealistisch, gestochen scharf, und das gesamte Werk spannend entspannend, eine wahre fesselnde Freude. In manchen Repetitionen könnte man tatsächlich ferne Echos der auch heute noch seltsam rituell wirkenden Musik von Can ausmachen, aber das Betörende an dieser Aufnahme ist, dass eben nichts „heilig“ und „hehr“ wirkt, alles so herrlich „gepäckbefreit“ daherkommt. Klar, dass man nicht ständig im reinen Jetzt lauscht, und so kam mir, in einem dieser subtilen Can-Momente, eine Erinnerung an mein erstes Hören von „Tago Mago“, ein Kumpel fand es am Heiligabend auf seinem Gabentisch, und restlos begeistert an einem der Tage danach (umgeben von Weihnachtsgebäck und Kerzen im Dunkeln), wurden wir fortgetragen an einen fernen, fernen Ort, von den gnadenlosen Rotationen des Schlagwerks, und all den rätselhaften Sounds ringsum.
1 Comment
-
Jan:
Mir wurde per Email bedeutet, diese Scheibe erscheine erst Mitte Dezember. Ich bleibe gespannt bis dahin.