Als ich den Pianisten erstmalig anschrieb, hatte ich mich gründlich auf „Lucent Waters“ eingelassen, und wunderte mich, dass ich diese Musik trotz des kulturellen Rucksacks von ECM- und Klavierhistorie immer noch so staunend erleben kann, ohne ständig in den Gedanken zwischen gut gespeicherten Wissensbeständen hin- und herzuspringen. Ich mochte die unheimlichen Stimmungen, die wechselnden Atmosphären, alles, was hier transparent aufleuchtet, aber nie in den letzten Winkel ausgeleuchtet wird. Das Cover würde bestens in die Ingolstädter Ausstellung „Der Wind, das Licht – ECM und das Bild“ passen, die übermorgen eröffnet wird. Zwischen dem 7. und 12. November tritt Florian Weber mit seinem Quartett in Osnabrück, Berlin, Aalen und Köln auf. Am Schlagzeug spielt, anders als auf der Cd, Dejan Terzic.
Michael: Was mir sehr gefällt, ist, dass LUCENT WATERS keinen einheitlichen lyrischen Ton hat, und jede Komposition einen Eigencharakter besitzt.
Florian: Ich hatte vor der Produktion, neben den Proben, intensive Gespräche mit den Musikern. Es war mir sehr wichtig, dass ich meinen Mitmusikern, die ich alle aus einer großen Bewunderung ihrer Musikalität und Kreativität heraus zu diesem Projekt eingeladen hatte, gerade nicht meine Vision aufzwinge, sondern ihnen ein Gefühl der Freiheit und Fokussierung vermittle. Es war für mich von Bedeutung, dass sie sich zu nichts gedrängt fühlten, und betrachte es als besonders wertvoll, dass so musikalische Gedanken nicht ausformuliert werden mussten, sondern oft nur der Duft der nächsten Note zu erahnen ist.
Wenn ich mich an meine Schulzeit erinnere, habe ich ferne Bilder von Storms Erzählung „Der Schimmelreiter“, da kam doch auch eine Meeresküste vor, oder? Die ersten drei Stücke haben alle diesen Bezug zum Wasser, etwa „From Cousteau‘s Point of View“. Und der Albumtitel. Eine programmatische Idee?
Gleichzeitig mit der dreidimensionalen Erfahrung des Tauchens kam in mir der Wunsch nach Mehrdimensionalität in meiner Musik auf. Einer Musik, die sich sowohl auf der zeitlichen als auch auf der klanglichen Ebene mit weiteren unentdeckten Territorien verbinden kann. Eine Musik, die überhaupt Verbindungen in alle Richtungen, vom kleinsten Wassertropfen bis zur größtmöglichen Ausdehnung, findet.
Die CD kann demgemäß wie eine stückeübergreifende Geschichte, mit Querverweisen und Referenzen gehört werden. Z.B. ist der Zielton des Motivs des ersten Stückes auch der letzte Ton der CD. Vielleicht die Sehnsucht nach Verbindung und Zusammenhalt in einer zerstückelten Zeit.
Der Schimmelreiter ist meiner Mutter „Elke“ gewidmet und ist gleichzeitig der Name der weiblichen Hauptperson der Novelle.
Die düstere und mysteriöse Stimmung der Erzählung prägte sich mir sehr früh ein. Der Zauber des Nichtwissens liegt über den Naturgewalten und regte mich schon damals zum Träumen, zum kreativen Visualisieren an.
Das Nichtwissen war es auch, dass meine ersten Improvisationen, Phantasie und Neugierigkeit anregte. Ich hatte eine Melodie von z.B. Mozart im Ohr und wusste nur noch, dass es eine für mich besonders magische Begleitung dazu gab. So erfand ich meine ersten Akkorde, und dort, wo ich die Tonfolge nicht so genau kannte, meine ersten Melodien.
Vor Kurzem kehrte ich zu diesem ersten Gefühl wieder zurück und spielte ein Konzert mit der Musik von Mozart in Belgien in dieser Weise improvisiert.
Der Bassist meines ersten Trios „Minsarah“ Jeff Denson schrieb einmal ein Stück für mich und nannte es „like water“. Er meinte in dem Element Wasser meine Persönlichkeit zu erkennen. (Es könnte allerdings auch daran liegen, dass mich in den USA alle „Flow“ nennen, meinem abgekürzten Vornamen ins englische umgedeutet.)
Ich liebe den Flow-Zustand, den Moment wo man sich innerlich im Fluss befindet und habe für mich Techniken entwickelt, um diesen Geisteszustand auch während eines Konzertes zu erreichen.
Mir fällt im Moment (ich sitze in einem Cafe mit Blick aufs Meer) nicht ein, wo das Duo mit Markus Stockhausen entstand, ich kenne die Studios in Oslo und Lugano. Das eine mit den einzelnen Kabinen, Kopfhörer für alle, das andere mit der natürlichen Raumakustik, direktem Blickkontakt, und „all together“. Wie war deine Erfahrung in La Buissonne, vom Raum, von der Atmosphäre her?
In La Buissonne gibt es Einzelkabinen für Bass und Schlagzeug. Trompete und Flügel standen gemeinsam im größten Raum des Studios. Durch erdtönige Teppichböden und einer aus Einzellichtquellen bestehenden gedeckten Beleuchtung, entsteht eine warme wohnzimmerähnliche Atmosphäre. Dieser geschützte und fokussierende Raum wird unterstützt durch den herzlichen Gérard de Haro.
Als die Aufnahme entstand, gab es da eine besondere Situation, an die du dich erinnnerst, was deine Mitspieler betrifft? Mir als Hörer fallen einzelne Momente ein, wo der Drummer eine immense Energie verströmt, sie allerdings sehr pointiert bündelt, statt aus dem Gruppenklang auszubrechen …
Die Schlagzeugbecken von Nasheet gingen der Airline auf seiner Reise von New York nach Paris verloren und kamen erst nach Abschluss der Aufnahme im Studio an. Zum Glück gab es im Studio einige Becken zur Auswahl.
Als erstes Stück nahmen wir Honestlee auf. Für mich entsteht nun eine sehr besondere Atmosphäre dadurch, dass Nasheet seinen neuen Beckenklang erforscht und die Klangmöglichkeiten entdeckt. Ich finde es wunderbar zu hören, wie Nasheet sich diese Möglichkeiten im Verlauf des Stückes zu eigen macht und es sich dann anhört, als wäre es schon immer sein eigenes Instrument gewesen.
Und gab es ein, zwei, drei Momente der Interaktion mit Manfred, an die du doch erinnerst. Mitunter assoziiert er ja, in kleinen Kommentaren, en passant, Stimmungen der Musik mit bestimmten Momenten/Soundtracks alter Filme.
Ein wunderbarer Moment war es, als Manfred beim Abhören zu Tanzen begann. Er tanzte keinesfalls zu einem rhythmischen Stück, er tanzte zu dem rein agogischen Beginn von „melody of a waterfall“. In diesem Moment konnte ich besonders stark spüren, wie sehr dieser Mensch in der Musik und durch die Musik lebt, was ihn im wahrsten Sinne des Wortes bewegt.
„Time Horizon“ ist, wiederum in meiner Erinnerung, ein Stück, das hochdynamisch ist. Wenn „Honestlee“ sicher auch eine Hommage für Lee Konitz, war, welche Ideen spielten in den „Zeithorizont“ hinein?
Der Zeithorizont soll hier nicht als eine Art Fristigkeit oder Endpunkt verstanden werden, vielmehr als Startpunkt und Aufbruch zu einer neuen, spannenden Welt. Z.B. entwickeln sich hier, ausgehend von einem 4/4 Takt, verschiedene weitere Taktarten.
Ja, Honestlee ist meinem Mentor Lee Konitz gewidmet. Er verkörpert für mich besonders ehrlich und wahrhaftig mit dem musikalischen Moment umzugehen. Etwa sogenannte Fehler als Teil der Musik und des menschlichen Ausdrucks zu verstehen und somit nicht mehr als Fehler, sondern als Inspiration und Geschenk zu begreifen.
Das Cover, ist das für dich einfach ein typisches ECM-Cover, oder reflektiert es auch etwas von der Musik?
Es handelt sich bei dem Cover um eine verfremdete Fotographie der Brücke zwischen den beiden Ländern Dänemark und Schweden. So gibt es viele Parallelen zu Gedanken, die in diese CD einflossen. Eine Brücke über Ländergrenzen hinweg. Wasser, welches in diesem Fall gleichzeitig das trennende und das verbindende Element ist, Klangwellen, die einem irregulären aber wiederkehrenden Rhythmus folgen.