Manafonistas

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2018 17 Okt

Bilder, wie sie nur in Träumen möglich sind

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 7 Comments

Vor ein paar Wochen erzählte Michael hier über einige Kinoerlebnisse während seiner Würzburger Studienzeit. Er schrieb: „Jeden Mittwoch ein Filmereignis im Audi Max, eingeleitet von kundigen Worten eines Filmbesessenen. Werde nie die Magie vergessen, das erste (und bislang nie wiederholte, weil Enttäuschung fürchtende) Sehen von Werner Herzogs „Fata Morgana“.“ Michael hatte eine Abbildung einer von der Sonne verblichenen DVD- (oder VHS-Video?) Hülle vor seinen Beitrag gesetzt und es war der Charme dieses Fotos, aber auch die Schlagworte (Magie / das nie wiederholte, weil Enttäuschung fürchtende), die mich dazu veranlassten, den Film sofort und ohne jede Recherche zu bestellen. Von Werner Herzog hatte ich bis dahin nur einen Teil des Filmes „Stroszek“ gesehen, auf den ich wiederum durch Anton Corbijns Filmportrait über Ian Curtis aufmerksam geworden war, Control. („Stroszek“ war der letzte Film, den Ian Curtis sah.) „Fata Morgana“ kam im Jahr 1970 in die Kinos und vermutlich bald darauf in den Audimax der Uni Würzburg. Man könnte sagen, es ist ein sehr eigenwillig gedrehter Reisefilm mit Bildern vor allem aus der Sahara (und wie es gemacht ist – das ist die Magie!), musikalisch unterlegt mit Musik u.a. von Leonard Cohen und Mozart und sprachlich unterlegt mit Texten zur Schöpfungsgeschichte aus einem heiligen Buch der Maya, gelesen von Lotte Eisner, – und es sind diese Texte, die das Potenzial einer Enttäuschung bergen. Während mich die Bilder in ihren Bann zogen, sind die Texte völlig an mir vorbeigerauscht, ich empfand sie als behäbig und belehrend, und ich dachte sogar daran, den Ton abzustellen oder eine selbst gewählte Musik aufzulegen, fand die Idee jedoch respektlos und so schaute ich den Film ein erstes Mal. Das Foto unten zeigt die Aufnahme einer Fata Morgana. Im Unterschied zu einer Halluzination zeigt eine Fata Morgana Gegenstände, die es tatsächlich gibt, sie werden durch extrem heiße Luftschichten gespiegelt. Allerdings befinden sich die Gegenstände, hier zum Beispiel der Bus, ganz woanders, als es scheint.

 
 
 

 
 
 

Die DVD bietet die Möglichkeit, während des Films einem Gespräch zwischen Werner Herzog und Laurens Straub aus dem Jahr 2004 zuzuhören. Dies verwandelt den Film in ein zeitgemäßes essayistisches Format. Ich liebe dieses lockere Daherreden in Audiokommentaren, die wie nebenbei mit Zahlen, Daten, Fakten und Hintergrundinformationen gespickt sind, und ich weiß, dass es genderpolitisch nicht korrekt ist, zu sagen, dass es Männer einfach verdammt gut können, weil sie es von Kindesbeinen an eintrainieren. Werner Herzog hat eine vollkommen unprätentiöse, in sich ruhende Art und seine Stimme ist so angenehm, dass es in seinem Wikipediaeintrag sogar eine Hörprobe gibt. „Fata Morgana“ beginnt mit einer Art Mutprobe fürs Kinopublikum: Fünf Minuten lang werden Aufnahmen landender Flugzeuge am Flugplatz München-Riehm an einem heißen Julitag gezeigt, die Luftschichten erwärmten sich, die Bilder wurden immer befremdlicher und wirken fast wie eine Fata Morgana. Wer das durchhält, so Herzog, wird im Kino sitzen bleiben und den Film zu Ende schauen. Einige Sequenzen hatte Herzog Anfang der 60er Jahre gedreht, als er nach dem Abitur nach Afrika reiste. Seine Motivation war eine „physische Neugier“, eine Welt ohne Zivilisation und ohne Rechtssicherheit zu erleben. Verbunden damit war die Frage – typisch für Herzogs Generation – wie der Faschismus in Deutschland möglich sein konnte. Der Film wurde im Jahr 1969 gedreht, und ein zentrales Anliegen war, in einer Zeit der Heimatfilme und Western eine neue Weltbetrachtung und Bildsprache mit eigenen Darstellern und Erzählformen zu entwickeln. Es gibt lange Kamerafahrten, die ihren Atem suchen, quer durch die Sahara, über Flamingobrutstätten, vorbei an herumliegenden Fässern (Überbleibsel französischer Atomversuche), verdurstetem Vieh und verlassenen Militäranlagen, dem Gerüst einer Fabrikhalle. Es ist ein Film ohne Handlung, fast hypnotisch. Die Menschen sind so rätselhaft wie die Landschaften. Männer, in weite, helle Kleidung gehüllt, sitzen im Schatten einer Mauer. Kinder stehen in kleinen Gruppen in einstudierten Posen da. Ein Junge zeigt mit ausgestreckten Armen auf eine Schleifspur, als wäre es für einen Lehrfilm. Es ist der Rhythmus des Filmschnitts, das Verweilen, der Bruch. Wasserschildkröten bewegen sich in einem Hotelpool auf Lanzarote, plötzlich sehen wir Bilder von Touristen, die wirkten, als seien sie in Trichtern aus schwarzem Sand gefangen und ruderten mit ihren Armen ins Licht. Ein junger Mann, der bei der französischen Fremdenlegion und im Algerienkrieg wahnsinnig geworden war, liest einen Brief vor, den er seit fünfzehn Jahren in der Tasche trägt. Die Geheimnisse stehen für sich. Es ist eine Art Traumlogik, die den Zuschauer ergreift und ihm immer wieder ein anderes Zeitgefühl vermittelt zwischen archaischer und europäischer Zeit, afrikanischer Zeit und Filmzeit. Werner Herzog sagte, er hätte mit diesem Film etwas aufgegriffen, was Ende der 60er Jahre in der Luft lag und von Künstlern verschiedener Sparten gespürt und umgesetzt wurde. Die Gedichte hatten sich verändert, sie waren nicht mehr hermetisch, sondern im Alltag angesiedelt und erreichten ein großes Publikum. Peter Handke trat mit seiner Publikumsbeschimpfung auf. In seiner Filmsprache knüpfte Herzog an die experimentellen Filme des New American Cinema an, aber auch an experimentelle Filme von Edgar Reitz. Herzog sagte, die Zeit für diese Art der Weltbetrachtung sei abgebrochen. Das will ich nicht glauben. Das Bedürfnis, dominante Wahrnehmungs- und Weltdeutungsmuster zu hinterfragen und ihnen eigene Sichtweisen entgegenzustellen, halte ich für eine Konstante. Schon in den frühen Zeiten des Kinos gab es nicht nur handlungsorientierte Filme, sondern offene Formen und Arbeiten mit vorgefundenen Materialien, zum Beispiel in Joris Ivens „The Bridge / De Brug“ (1928) und dem zauberhaften Kurzfilm „Regen“, von Joris Ivens und M. H. K. Franken. (Beide Filme sind leicht im Internet zu finden.) Mit „Fata Morgana“ ist Werner Herzog einer der Pioniere des Essayfilms, es ist ein sprunghaftes, subjektives, sich selbst reflektierendes Werk, unabgeschlossen in seinen Suchbewegungen zwischen Realität und Fiktion. Jean-Luc Godard, Alexander Kluge, Chris Marker und andere finden ihre eigenen Interpretationen des essayistischen Films. Das Genre entwickelt sich weiter. Die Erzählungen von Werner Herzog im Audiokommentar machen „Fata Morgana“ auch heute noch zu einem unbedingt sehenswerten und wunderbar eigenwilligen Film.

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7 Comments

  1. a.h.:

    Faszinierendes Bild der Fata Morgana – ich frage mich spontan, ob ich auch vielleicht bei irgendwelchen Tätigkeiten auf der Straße „gespieget“ werde – und somit an Orten auftauche, wo ich niemals war & sein werde?

    Die Weltbetrachtung heute ist sicher anders als früher. Auch die Fragen, die Menschen beschäftigen, haben sich verändert. Durch die omnipräsente virtuelle Welt des WWW wird sicher viel entzaubert. Aber es entstehen auch neue Dinge. Die aufzuspüren und zu kanalisieren ist heute Aufgabe der Kunst, Pädagogik und Kulturschaffenden.

  2. Uli Koch:

    Danke Martina, das ist eine sehr neugierig machende Besprechung dieses Films. Habe viel von Werner Herzog gesehen, weil er mich durch seine Betrachtungsweise und seine Bildersprache immer wieder aufs neue in den Bann gezogen hat. Oft baut er ja Widerstände, wie hier gleich am Anfang ein, irgendetwas, das das Zuschauen zumindest für kurze Zeit fast unertraglich macht. Glaube auch nicht, dass die Zeit für diese Art der Weltbetrachtung vorbei ist, es gibt nur heute halt eine andere Welt zu sehen und andere Fragen zu stellen. Und seine Frage nach der ursächlichen Entstehungsmöglichkeit des Faschismus ist ja aktueller als in den vergangenen Jahrzehnten.

    Mein Lieblingsfilm ist aber immer noch „Herz aus Glas“ v.a. Wegen der schleppenden, unbestimmten Atmosphäre, wo ich lange gebraucht habe sie zu verarbeiten bis ich erfuhr, dass Herzog alle Schauspieler in etlichen Schlüsselszenen hypnotisiert hatte und sie dann wie Fremde, bland Zombies spielen liess. Von der wunderbaren Musik von Popol Vuh, die zum Besten gehört, dass sie je gemacht ahben, ganz zu schweigen.

  3. Martina Weber:

    Es freut mich, Uli, dass dich die Besprechung vielleicht dazu verleiten wird, den Film anzusehen. Ich habe meinen Text eben noch etwas ergänzt. Mein Eindruck ist der, dass „Fata Morgana“ aus dem Werk Werner Herzogs heraussticht, allein schon deshalb, weil es überhaupt kein handlungsorientierter Film ist. Es klingt ziemlich interessant, was du über „Herz aus Glas“ schreibst. Werner Herzog sagte im Audiokommentar, ohne „Fata Morgana“ hätte es in seinem Film „Kaspar Hauser“ die Traumvisionen nicht gegeben und sein Film „Lektionen der Finsternis“ sei ohne „Fata Morgana“ nicht denkbar. Am Ende des Films erzählt Kaspar Hauser eine Geschichte, von der er jedoch nur den Anfang weiß. In der besonderen Situation, in der er sich befindet, darf er auch eine unabgeschlossene Geschichte erzählen, obwohl sich das im Jahr 1828 nicht schickt. Die Geschichte oder der Taum spielt in der Wüste. Eine Karawane ist unterwegs, sie wird von einem blinden Mann geführt. Plötzlich sind Berge sichtbar, die Karawane hält an und ist verunsichert, welches der richtige Weg ist. Ein Kompass wird herausgeholt. Der blinde Führer der Karawane nimmt etwas Sand und fühlt ihn zwischen seinen Fingerspitzen, er schmeckt die Körner ab, als wäre es Salz. Dann sagt er, die Berge seien keine Berge und er deutet die Richtung an, den Weg. Die anderen folgen ihn und sie erreichen die Stadt.

  4. Michael Engelbrecht:

    Auch ohne Audiokommentar ein ergreifendes zweites Sehen. Jede der Erzählstimmen aus dem Off bereichert den Film, Lotte Eisners von Alter gezeichnete Sprache allemal. Die Kommentare sind eine gute Ergänzung, aber am tiefsten geht der Blick auf einen Film ohne die Hintergrunderhellungen eines Regisseurs. Fantastisch auch der Soundtrack. Dass der Sound so bescheiden ist, macht gar nichts.

  5. Wolfram:

    Es gibt Dinge aus der Kindheit, die hat man ein für alle mal als Lüge entlarvt. Weihnachtsmänner, Osterhasen, Fegefeuer gehören dazu. Und dass Gott alles sieht (stimmt nicht), außer im Keller (stimmt). Am spannendsten waren die Dinge dazwischen, bei denen man skeptisch war,aber doch auch hoffnungsvoll, zum Beispiel Außerirdische, UFOs, das Beamen, das alle Verkehrsprobleme löst. Nur bei einem Phänomen war ich immer sicher, dass es dies nicht gibt: eine Fata Morgana. Davon bin ich bis heute überzeugt. Dass nach langem Karawanenmarsch ein Bus fatamorgiert wird, ist nachvollziehbar, ebenso wenn bei Durst die heimische Eckkneipe erscheint. Alles Einbildung, die Projektion der inneren Eckkneipe nach außen, in den Sand gesetzt … Es gibt eine Psychotherapie-Methode, das „Sandspiel“, wo alle möglichen Figuren und Gegestände im Sand plaziert werden, wie sie aus dem Unbewußten auftauchen. Inzwischen fühle ich mich bei diesen Bildern sicherer im Verstehen als bei sprachlichen, angeblich objektiven Informationen. Es wird Zeit, über das Misstrauen der Fata Morgana gegenüber selbstkritisch nachzudenken. Vielleicht gibt es sie ja doch, vielleicht kann man sie sogar fotographieren.

  6. Michael Engelbrecht:

    Am leichtesten fotografiert man eine Fata Morgana mit dem inneren Auge. Und was Werner Herzogs beste Jahre angeht, hat das British Film Institute ganze Arbeit geleistet, hier schreibt einer unserer Freunde vom Diabolique Magazine darüber:

    https://diaboliquemagazine.com/werner-herzog-collection-uk-blu-ray-review/

  7. Michael Engelbrecht:

    Manches klang nach Popol Vuh, und überhaupt bin ich anders als Uli und einige Manafonisten kein Freund der Popol Vuh-Musik, nur in den Herzog Filmen gefällt mir Popol Vuh.
    Vielleicht auch mal kurz vor sechs in der Nachtsendung.

    Und dieser Operngesang in Fata Morgana – grossartig. Sonst meide ich das wie die Cholera.

    Und Cohens Songs am Ende der Welt, das ist dann doch wieder meins :


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