Vor ein paar Wochen erzählte Michael hier über einige Kinoerlebnisse während seiner Würzburger Studienzeit. Er schrieb: „Jeden Mittwoch ein Filmereignis im Audi Max, eingeleitet von kundigen Worten eines Filmbesessenen. Werde nie die Magie vergessen, das erste (und bislang nie wiederholte, weil Enttäuschung fürchtende) Sehen von Werner Herzogs „Fata Morgana“.“ Michael hatte eine Abbildung einer von der Sonne verblichenen DVD- (oder VHS-Video?) Hülle vor seinen Beitrag gesetzt und es war der Charme dieses Fotos, aber auch die Schlagworte (Magie / das nie wiederholte, weil Enttäuschung fürchtende), die mich dazu veranlassten, den Film sofort und ohne jede Recherche zu bestellen. Von Werner Herzog hatte ich bis dahin nur einen Teil des Filmes „Stroszek“ gesehen, auf den ich wiederum durch Anton Corbijns Filmportrait über Ian Curtis aufmerksam geworden war, Control. („Stroszek“ war der letzte Film, den Ian Curtis sah.) „Fata Morgana“ kam im Jahr 1970 in die Kinos und vermutlich bald darauf in den Audimax der Uni Würzburg. Man könnte sagen, es ist ein sehr eigenwillig gedrehter Reisefilm mit Bildern vor allem aus der Sahara (und wie es gemacht ist – das ist die Magie!), musikalisch unterlegt mit Musik u.a. von Leonard Cohen und Mozart und sprachlich unterlegt mit Texten zur Schöpfungsgeschichte aus einem heiligen Buch der Maya, gelesen von Lotte Eisner, – und es sind diese Texte, die das Potenzial einer Enttäuschung bergen. Während mich die Bilder in ihren Bann zogen, sind die Texte völlig an mir vorbeigerauscht, ich empfand sie als behäbig und belehrend, und ich dachte sogar daran, den Ton abzustellen oder eine selbst gewählte Musik aufzulegen, fand die Idee jedoch respektlos und so schaute ich den Film ein erstes Mal. Das Foto unten zeigt die Aufnahme einer Fata Morgana. Im Unterschied zu einer Halluzination zeigt eine Fata Morgana Gegenstände, die es tatsächlich gibt, sie werden durch extrem heiße Luftschichten gespiegelt. Allerdings befinden sich die Gegenstände, hier zum Beispiel der Bus, ganz woanders, als es scheint.
Die DVD bietet die Möglichkeit, während des Films einem Gespräch zwischen Werner Herzog und Laurens Straub aus dem Jahr 2004 zuzuhören. Dies verwandelt den Film in ein zeitgemäßes essayistisches Format. Ich liebe dieses lockere Daherreden in Audiokommentaren, die wie nebenbei mit Zahlen, Daten, Fakten und Hintergrundinformationen gespickt sind, und ich weiß, dass es genderpolitisch nicht korrekt ist, zu sagen, dass es Männer einfach verdammt gut können, weil sie es von Kindesbeinen an eintrainieren. Werner Herzog hat eine vollkommen unprätentiöse, in sich ruhende Art und seine Stimme ist so angenehm, dass es in seinem Wikipediaeintrag sogar eine Hörprobe gibt. „Fata Morgana“ beginnt mit einer Art Mutprobe fürs Kinopublikum: Fünf Minuten lang werden Aufnahmen landender Flugzeuge am Flugplatz München-Riehm an einem heißen Julitag gezeigt, die Luftschichten erwärmten sich, die Bilder wurden immer befremdlicher und wirken fast wie eine Fata Morgana. Wer das durchhält, so Herzog, wird im Kino sitzen bleiben und den Film zu Ende schauen. Einige Sequenzen hatte Herzog Anfang der 60er Jahre gedreht, als er nach dem Abitur nach Afrika reiste. Seine Motivation war eine „physische Neugier“, eine Welt ohne Zivilisation und ohne Rechtssicherheit zu erleben. Verbunden damit war die Frage – typisch für Herzogs Generation – wie der Faschismus in Deutschland möglich sein konnte. Der Film wurde im Jahr 1969 gedreht, und ein zentrales Anliegen war, in einer Zeit der Heimatfilme und Western eine neue Weltbetrachtung und Bildsprache mit eigenen Darstellern und Erzählformen zu entwickeln. Es gibt lange Kamerafahrten, die ihren Atem suchen, quer durch die Sahara, über Flamingobrutstätten, vorbei an herumliegenden Fässern (Überbleibsel französischer Atomversuche), verdurstetem Vieh und verlassenen Militäranlagen, dem Gerüst einer Fabrikhalle. Es ist ein Film ohne Handlung, fast hypnotisch. Die Menschen sind so rätselhaft wie die Landschaften. Männer, in weite, helle Kleidung gehüllt, sitzen im Schatten einer Mauer. Kinder stehen in kleinen Gruppen in einstudierten Posen da. Ein Junge zeigt mit ausgestreckten Armen auf eine Schleifspur, als wäre es für einen Lehrfilm. Es ist der Rhythmus des Filmschnitts, das Verweilen, der Bruch. Wasserschildkröten bewegen sich in einem Hotelpool auf Lanzarote, plötzlich sehen wir Bilder von Touristen, die wirkten, als seien sie in Trichtern aus schwarzem Sand gefangen und ruderten mit ihren Armen ins Licht. Ein junger Mann, der bei der französischen Fremdenlegion und im Algerienkrieg wahnsinnig geworden war, liest einen Brief vor, den er seit fünfzehn Jahren in der Tasche trägt. Die Geheimnisse stehen für sich. Es ist eine Art Traumlogik, die den Zuschauer ergreift und ihm immer wieder ein anderes Zeitgefühl vermittelt zwischen archaischer und europäischer Zeit, afrikanischer Zeit und Filmzeit. Werner Herzog sagte, er hätte mit diesem Film etwas aufgegriffen, was Ende der 60er Jahre in der Luft lag und von Künstlern verschiedener Sparten gespürt und umgesetzt wurde. Die Gedichte hatten sich verändert, sie waren nicht mehr hermetisch, sondern im Alltag angesiedelt und erreichten ein großes Publikum. Peter Handke trat mit seiner Publikumsbeschimpfung auf. In seiner Filmsprache knüpfte Herzog an die experimentellen Filme des New American Cinema an, aber auch an experimentelle Filme von Edgar Reitz. Herzog sagte, die Zeit für diese Art der Weltbetrachtung sei abgebrochen. Das will ich nicht glauben. Das Bedürfnis, dominante Wahrnehmungs- und Weltdeutungsmuster zu hinterfragen und ihnen eigene Sichtweisen entgegenzustellen, halte ich für eine Konstante. Schon in den frühen Zeiten des Kinos gab es nicht nur handlungsorientierte Filme, sondern offene Formen und Arbeiten mit vorgefundenen Materialien, zum Beispiel in Joris Ivens „The Bridge / De Brug“ (1928) und dem zauberhaften Kurzfilm „Regen“, von Joris Ivens und M. H. K. Franken. (Beide Filme sind leicht im Internet zu finden.) Mit „Fata Morgana“ ist Werner Herzog einer der Pioniere des Essayfilms, es ist ein sprunghaftes, subjektives, sich selbst reflektierendes Werk, unabgeschlossen in seinen Suchbewegungen zwischen Realität und Fiktion. Jean-Luc Godard, Alexander Kluge, Chris Marker und andere finden ihre eigenen Interpretationen des essayistischen Films. Das Genre entwickelt sich weiter. Die Erzählungen von Werner Herzog im Audiokommentar machen „Fata Morgana“ auch heute noch zu einem unbedingt sehenswerten und wunderbar eigenwilligen Film.