In einem Zeitraum von zwanzig Jahren veröffentlichte das schottische Duo Boards of Canada vier Alben, in denen die Brüder Mike Sandison und Mark Eoin eine eigene Klangsprache erfanden, gespeist aus zahlreichen Quellen. Tomorrow‘s Harvest war ihr bislang letztes Album: ein strengerer Ton als auf den Vorgängern – das Erinnerungsselige, Verspielte, Melodientrunkene nicht mehr in Hülle und Fülle auffindbar, eher Mangelware. Die Stärke der beiden Schotten war immerzu das Verwischen der Grenzen von Verzauberung und Verstörung. Von reinem Staunen und, mitunter gar nicht so sanftem, Erschrecken.
Tomorrow‘s Harvest ist das dunkelste Album der Brüder Mike Sandison und Marc Eoin, dystopisch, dysphorisch – man setzt bewusst Elemente aufs Spiel, welche die Band 1998 so schwebend ins öffentliche Bewusstsein gehoben haben. Ihr erstes und berühmtesttes Werk ist Music Has The Right To Children. Löst man man sich von verführerischen Oberflächen, ist es kaum weniger unheimlich als Tomorrow‘s Harvest. Es ist voller Gespenster.
Durch den Gebrauch vorzugsweise beschädigter Instrumente, ungestimmter Synthesizer, Stimmfetzen, und eines mitunter verwaschenen Klangbildes, – wurde auf jenem Klassiker die Empfindungswelt, der Sound von Nostalgie zum Thema gemacht. Jene Sehnsucht nach einem Zuhause, das nicht länger existiert, oder niemals existiert hat.
Boards of Canada verweigerten sich den Moden der Electronica ihrer Zeit. Sie liebten eine unstete, schwankende, verwackelte Textur, die an Uralt-Filmspulen erinnerte, an verstaubte Magnetbänder, an abgelagertes Vinyl, alles anfällig für Verfall, Verzerrung – und Wiederentdeckung. Bei manchen Stücken von „Music has the right to children“ springen einen Erinnerungen geradezu an – jeder kennt gebleichte Fotosammlungen, die Zeitreisen des Anschauens alter Super-8-Filme der Kindheit – und all die gespeicherten Emotionen. Aber dieses Cover: die Gesichter der Menschen – Leerräume. Wie sahen die Augen aus dieser Gestalten, die uns, gefiltert in fahlem Grün, eben nicht anschauen? Horror.
Weisst du noch, damals.
Nein.
Weisst du noch.
War es schön, es war doch schön, manchmal, oder.
Ja ja, auch. Aber.
Aber.
Es war auch … anders.
Unheimlich.
Unheimlich.
Manchmal unheimlich glücklich.
In diesem Osillieren von Erinnerungsverlusten und Erinnerungsschüben steht immer alles immer auf der Kippe. Der Nachfolger heisst Geogaddi und verschärft den Ansatz der Brüder Sandison und Eoin: die Zahlenmystik wird mysteriöser, ein Art nicht lineares Zählen und Erzählen voller Bewusstseinslücken, „Life is a history pf holes“. Die akustischen Schnappschüsse noch verwaschener, Bruchstücke wahrer Empfindungen, wahrer Unheimlichkeiten.
Ein Stück wie „1969“: Anspielungen an die Waco-Sekte, das Aufflammen satanistischer Kulte in den USA in einer Zeit, als die Welt voller Hoffung war. The Greening of America. Das anbrechende Wassermannzeitalter Der „Summer of Love“ erst zwei Jahre vorbei. Und man hört eine vollkommen naive Stimme vor sich hin summ-singen: „sun is shinging in 1959“, „sun is shining in 1969“. Zeit zerfliesst. In einem einzigen Leben begegnet man genug Dämonen.
Geogaddi: jede sanft-schlurfende Melodie kann von einem Dunkelbeat aufgesogen werden. Boards Of Canada lassen die Freiheit: man kann sich gepflegt wegschiessen, feinster Eskapismus – und die Sinne schärfen. Oder beides zusammen. Die Schotten kreieren immense Projektonsflächen. Ein Betriebsgeheimnis: allen Empfindungen ihre leichte Beschreibbarkeit auszutreiben, die Reise ins Vorsprachliche.
Und dann Opus Nummer Drei: The Campfire Headphase. Da kamen die Gitarren hinzu, und manche rümpften die Nase. Aber die Musik blieb reichhaltig. Die Gepenster gingen auch nicht verloren. Nur anfangs wirkt die Musik zu eingängig, als wollte man der Sammlung Klang gewordener Sonnenuntergänge in den North Western Highlands noch den vollkommensten hinzufügen. Aber schon bald tauchen sie wieder auf, die Risse, die Löcher in der Musik.