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2018 22 Aug

Fragmente des Unheimlichen – ein paar Gedanken zu Boards of Canada

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 10 Comments

 

 
 
 

In einem Zeitraum von zwanzig Jahren veröffentlichte das schottische Duo Boards of Canada vier  Alben, in denen die Brüder Mike Sandison und Mark Eoin eine eigene Klangsprache erfanden, gespeist aus zahlreichen Quellen. Tomorrow‘s Harvest war ihr bislang letztes Album: ein strengerer Ton als auf den Vorgängern – das Erinnerungsselige, Verspielte, Melodientrunkene nicht mehr in Hülle und Fülle auffindbar, eher Mangelware. Die Stärke der beiden Schotten war immerzu das Verwischen der Grenzen von Verzauberung und Verstörung. Von reinem Staunen und, mitunter gar nicht so sanftem, Erschrecken. 

Tomorrow‘s Harvest ist das dunkelste Album der Brüder Mike Sandison und Marc Eoin, dystopisch, dysphorisch – man setzt bewusst Elemente aufs Spiel, welche die Band 1998 so schwebend ins öffentliche Bewusstsein gehoben haben. Ihr erstes und berühmtesttes Werk ist Music Has The Right To Children. Löst man man sich von verführerischen  Oberflächen, ist es kaum weniger unheimlich als  Tomorrow‘s Harvest. Es ist voller Gespenster.

Durch den Gebrauch vorzugsweise beschädigter Instrumente, ungestimmter Synthesizer, Stimmfetzen, und eines mitunter verwaschenen Klangbildes, – wurde auf jenem Klassiker die Empfindungswelt, der Sound von Nostalgie zum Thema gemacht. Jene Sehnsucht nach einem Zuhause, das nicht länger existiert, oder niemals existiert hat.

Boards of Canada verweigerten sich den Moden der Electronica ihrer Zeit. Sie liebten eine unstete, schwankende, verwackelte Textur, die an Uralt-Filmspulen erinnerte, an verstaubte Magnetbänder, an abgelagertes Vinyl, alles anfällig für Verfall, Verzerrung – und Wiederentdeckung. Bei manchen Stücken von „Music has the right to children“ springen einen Erinnerungen geradezu an – jeder kennt gebleichte Fotosammlungen, die Zeitreisen des Anschauens alter Super-8-Filme der Kindheit – und all die gespeicherten Emotionen. Aber dieses Cover: die Gesichter der Menschen – Leerräume. Wie sahen die Augen aus dieser Gestalten, die uns, gefiltert in fahlem Grün, eben nicht anschauen? Horror. 

 
 

Weisst du noch, damals. 

Nein. 

Weisst du noch.

War es schön, es war doch schön, manchmal, oder.

Ja ja, auch. Aber.

Aber.

Es war auch … anders.

Unheimlich.

Unheimlich. 

Manchmal unheimlich glücklich.

 
 

In diesem Osillieren von Erinnerungsverlusten und Erinnerungsschüben steht immer alles immer auf der Kippe. Der Nachfolger heisst Geogaddi und verschärft den Ansatz der Brüder Sandison und Eoin: die Zahlenmystik wird mysteriöser, ein Art nicht lineares Zählen und Erzählen voller Bewusstseinslücken, „Life is a history pf holes“. Die akustischen Schnappschüsse noch verwaschener, Bruchstücke wahrer Empfindungen, wahrer Unheimlichkeiten. 

 

Ein Stück wie „1969“: Anspielungen an die Waco-Sekte, das Aufflammen satanistischer Kulte in den USA in einer Zeit, als die Welt voller Hoffung war. The Greening of America. Das anbrechende Wassermannzeitalter Der „Summer of Love“ erst zwei Jahre vorbei. Und man hört eine vollkommen naive Stimme vor sich hin summ-singen: „sun is shinging in 1959“, „sun is shining in 1969“. Zeit zerfliesst. In einem einzigen Leben begegnet man genug Dämonen. 

Geogaddi: jede sanft-schlurfende Melodie kann von einem Dunkelbeat aufgesogen werden. Boards Of Canada lassen die Freiheit: man kann sich gepflegt wegschiessen, feinster Eskapismus – und die Sinne schärfen. Oder beides zusammen. Die Schotten kreieren immense Projektonsflächen. Ein Betriebsgeheimnis: allen Empfindungen ihre leichte Beschreibbarkeit auszutreiben, die Reise ins Vorsprachliche. 

Und dann Opus Nummer Drei: The Campfire Headphase. Da kamen die Gitarren hinzu, und manche rümpften die Nase. Aber die Musik blieb reichhaltig. Die Gepenster gingen auch nicht verloren. Nur anfangs wirkt die Musik zu eingängig, als wollte man der Sammlung Klang gewordener Sonnenuntergänge in den North Western Highlands noch den vollkommensten hinzufügen. Aber schon bald tauchen sie wieder auf, die Risse, die Löcher in der Musik.

 

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10 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Basierend auf den Texten der Themenstunde der letzten Klanghorizonte im Deutschlandfunk

    Am dritten Samstag im Oktober dann eine sehr persönliche Story zu den Lieder von Robert Wyatt.

  2. ijb:

    Schöner Text, macht neugierig, die Platten noch mal zu hören. Ich bin ja mit Boards of Canada nie so warm geworden, mochte bzw. mag lieber Seefeel und natürlich Autechre. Muss erstmal deine Sendung vom Wochenende zu Ende hören, speziell eben die Boards-Of-Canada-Stunde. Und dann leih ich mir die CDs aus.

  3. Michael Engelbrecht:

    Ich habe Boards of Canada auch erst mit der Zeit für mich entdeckt. Autechre war nie meins, dafür war ich stets seltsam ergriffen von Pan Sonic.

  4. ijb:

    Ah ja, Pan Sonic sind mir natürlich die allerliebsten von allen Elektronik-Bands/Duos. Auch die Solo- und sonstigen Werke von Mika, weniger die weiteren Projekte von Ilpo.

    Von Autechre gibt es auch einige sehr interessante Ambient-Stücke, speziell epischer Natur auf den jüngeren Veröffentlichungen.

  5. Martina Weber:

    Das ist ja phantastisch, dass es den Moderationstext hier zu lesen gibt. Ich wollte nämlich die Aufnahme nochmal hören und mir sogar Elemente des Moderationstextes abtippen, weil er mich so umgehauen hat und so poetisch und auch poetologisch ist.

    In dieser Stunde ging es mir ähnlich wie bei der Labradford-Stunde vor vielen Jahren, als die Klanghorzonte noch um 1.05 Uhr liefen, und bei der Stunde zu Flying Saucer Attack: Grenzenlose Begeisterung und der Wunsch, alle noch nicht vorhandenen Alben zu hören.

    Bisher hatte ich nur „Tomorrow´s Harvest“ hier, aber die Titel, die du, Michael, aus den früheren Alben gespielt hast, fand ich noch interessanter, weil sperriger. Heute lag „Music has the right to children“ im Briefkasten. Das Stimmung, die das Cover verbreitet. Das Album ist von 1998, aber der Kleidungsstil der Figuren aus den 70ern.

  6. ijb:

    Apropos Boards Of Canada / Autechre:

    Im Verlauf der achtstündigen Reise über insgesamt 36 Tracks zeichnen sich immer wieder Reminiszenzen zu anderen Klangkünstlern und Musikern ab. […] Der Track »g 1 e 1« (NTS Session 3) könnte durchaus auch aus dem Studio der geschätzten Labelkollegen Boards Of Canada stammen. Man vergleiche hier etwa den Mini-Track »Kaini Industries« auf Boards Of Canadas »Music Has The Right To Children« (1998). Interessanterweise entwickelt sich beim Marathonhören der aktuellen Autechre-Releases eine gewisse Art von Leichtigkeit, die man beim ersten Vorkosten nicht vermuten würde. Die stetige Komplexität, die auf Autechres Eigenständigkeit zurückzuführen ist, entwickelt relativ schnell ihre eigene Logik und über kurz oder lang eine gewisse Vertrautheit. […]
    Ernsthafte negative Kritikpunkte zu finden ist schwierig, denn leicht machen es sich die beiden ambitionierten Herren trotz oder gerade wegen des stetigen Sponsorings des einflussreichen Labels Warp sicher nicht. […]
    Die NTS Sessions 1–4 sind zusammengefasst eine lange, partiell durchaus fordernde aber äußerst lohnende Entdeckungsreise, die uns aus einer verbrauchten Romantik hinein in eine Welt frischer und ursprünglich erfahrbarer Sinnlichkeit trägt, welche von Emotionen aller Couleur, Kraft und Überraschungen nur so strotzt. Hier werden unfassbar virtuose, dichte und detailreiche Bilder gezeichnet, kein Stein bleibt auf dem anderen, kein Muster erfährt je eine exakte Wiederholung. Das zunehmende Spiel mit der Ästhetik von künstlich gesprochener Sprache ist in dieser Form und Qualität neuartig und äußerst spannend. Dem überaus beeindruckenden Œuvre von Booth und Brown wird damit ein weiterer Meilenstein hinzugefügt.

    https://skug.at/entromantisierung-im-sinne-der-sinnlichkeit/

  7. ijb:

    Und apropos Ambient:

    If you’ve been skeptical of Autechre, you’d best check the fourth session. Once we course through „frane casual“ we’re hit by „mirrage,“ one of the most concise and beautiful ambient pieces Autechre have ever produced. It seeps perfectly into „column thirteen,“ which is sublimely bizarre, warm and enveloping. There’s something strangely suggestive here. Perhaps it’s the melodic synth arps that seem to so faintly echo Amber’s inquisitive hues. „shimripl casual“ deserves paragraph for itself, but „all end“ manages to outstrip it. Almost an hour long yet somehow brisk, it’s like a cathedral filled with billions of vibrating light particles, ebbing and convulsing in great waves. 

    https://www.residentadvisor.net/reviews/22429

  8. Olaf:

    Der Text und die Sendung sind ein willkommener Boards of Canada primer, ich glaube ich fang mit dem Lagerfeuer an. Mit Autechre konnte ich früher nie etwas anfangen, vielleicht höre ich da auch noch mal rein. Aber erst probiere ich Boards of Canada aus.

  9. ijb:

    Autechre haben sehr unterschiedliche Alben (plus einige EPs mit oft Albumlänge und Kollaborationen) gemacht in ihrer langen Karriere. Wenn einem manche nicht zusagen, lassen sich durchaus auch andere Facetten und Aspekte auf anderen Alben finden. Ich habe alle CDs und kann ggf. Tipps geben und vieles empfehlen. Ein oft übersehenes, aber großartiges, das zudem vielleicht für Leute, die den Ae-Sound nicht so mögen, eine Empfehlung verdient hat, ist Oversteps (2010), das ist ziemlich „organisch“ und warm und nicht so abstrakt und abgedreht wie etwa die Alben der früheren 2000er Jahre (Confield, Draft 7.30, Untilted). Große Empfehlung spreche ich auch aus für Chiastic Slide (1997), das ich selbst erst spät entdeckt habe. Aber NTS Sessions ist bis jetzt mein Album des Jahres, ganz außergewöhnlich. Geniale Ambient-Stücke findet man übrigens auf dem letzten Album elseq.

    Ach ja: Donny McCaslin hat auf seinem (sehr guten) Album Casting for Gravity das Boards-of-Canada-Stück Alpha and Omega mit seiner Band gespielt (tenor sax, (electric) piano, synth, e-bass, drums). Das war wohl auch das Album, das David Bowie inspirierte, die Band für Blackstar anzufragen.

  10. ijb:

    Höre übrigens gerade die Amgelique-Kidjo-Version von „Remain in Light“. Die ist überraschend gut. Nicht radikal oder innovativ natürlich, aber die Stücke mal von anderen interpretiert zu hören, ist durchaus eine tolle Sache. Selbst „Burning down the House“ ist nicht peinlich, an dem sich schon so viele abgemüht haben, meist mit schlimmen Ergebnissen.


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