Ich habe ja schon einiges von dem am 21. Februar 1962 in Ithaca, New York geborenen David Foster Wallace († 12. September 2008 in Claremont, Kalifornien) gelesen, selten aber hatte ich so viel Freude wie bei der Lektüre des kleinen Büchleins “Schrecklich Amüsant – Aber in Zukunft ohne mich“. Bereits 1996 veröffentlichte Wallace diesen Bericht über eine siebentägige Karibik-Kreuzfahrt in Harper´s Magazine, 1997 dann als Buch unter dem Titel “Shipping Out“. In Deutschland konnte man das Buch erstmals 2002 in der marebibliothek lesen. Und nun, 2018, publiziert die Büchergilde das Werk wunderschön illustriert von Chrigel Farner.
Das Buch habe ich mir gekauft, weil ich dieses kleine Werk von Wallace noch nicht kannte und habe es gelesen, als sei es erst 2018 als Erstausgabe, quasi posthum, erschienen. Inzwischen gibt es ja, was Kreuzfahrten angeht, einen regelrechten Hype, für mich vollkommen unverständlich, nie würde ich mich auf derartiges einlassen. Anyway, die 1996 erstmals in einer Zeitschrift veröffentlichte Reportage liest sich jedenfalls wie ein aktuelle Bericht aus dieser Szene. Und da kommt man als Unwissender aus dem Staunen nicht heraus, man hält das, was man hier erfährt, für unfassbar, alles wird sehr realistisch beschrieben, aber eben in einer höchst originellen Sprache – vor allem sollte man die zahlreichen Fußnoten keinesfalls auslassen, man bringt sich um mindestens 50% des Lesevergnügens. Denn Wallace wäre nicht David Foster Wallace, wenn diese Geschichte nicht unglaublich unterhaltsam geschrieben wäre und dennoch bitterernst gemeint ist; seine Erzählungen enthalten nämlich auch beißende Kritik. Ein paar Zitate mögen den Leser dazu bewegen, sich das Buch noch heute zuzulegen.
D.F. Wallace befindet sich also im Frühjahr 1995 auf einem 47255-Tonnen-Schiff der Celebrity Cruises Inc. namens Zenith, wobei sich unser Autor nicht verkneifen kann, den Kahn in Zukunft Nadir zu nennen. 1,2 Crewmitglieder, die ständig strahlen müssen und die Wünsche ihrer Passagiere schon zu erfüllen haben, bevor sie überhaupt geäußert wurden, betreuen zwei Passagiere.
Eine Fußnote sei zitiert: „In unbeobachteten Momenten hatten die Service-Mitarbeiter diesen geschundenen, übermüdeten Ausdruck im Gesicht, wie man ihn auch aus anderen Niedriglohnjobs kennt. Dazu die ständige Angst, wie mir schien, schon für die kleinste Nachlässigkeit gefeuert zu werden, was nicht nur einen hochglanzpolierten griechischen Offiziersfußtritt beinhalten mochte, sondern auch die Gelegenheit, in karibischen Gewässern den Fahrtenschwimmer nachzuholen.“
Eine weitere Fußnote beschäftigt sich mit dem geschäftsmäßigem Dauerlächeln von Mitarbeitern nicht nur auf Kreuzfahrtschiffen: „Bin ich eigentlich der Einzige, der diesen Dauerbeschuss der guten Laune allmählich in die Verzweiflung treibt? Ist außer mir noch nie jemand auf die Idee gekommen, dass die zunehmende Zahl von vorher völlig unauffälligen Leuten, die in Shoppingmalls, Versicherungsbüros, Medizinzentren und McDonald`s-Filialen mit automatischen Waffen plötzlich um sich ballern, irgendwie mit der Tatsache zusammenhängt, dass dies die Hochburgen des Service-Lächelns sind?“
Einmal erzählt Wallace von einem Vortrag “Hinter den Kulissen: Lassen Sie sich von Cruise Director Scott Peterson auf den Arbeitsplatz Kreuzfahrtschiff entführen!“ und schreibt: „Scott Peterson, ein 39-jähriger Dauerlächler mit spröde abstehenden Haaren, kleinem Schnurrbart und dicker Rolex, Scott Peterson zählt zu jenen Menschen, für die weiße Turnschuhe (ohne Socken) und mintgrüne Lacoste-Shirts einst erfunden wurden. Für mich zählt er zu den unsympathischsten Nadir-Mitarbeitern überhaupt. … Ich schwöre, ich übertreibe nicht. Ein Sultan der Selbstdarstellung und so oberpeinlich, dass man schreiend hinauslaufen möchte.“
In den Werbetexten für diese Kreuzfahrt wird damit geworben endlich einmal DIE SEELE BAUMELN ZU LASSEN oder versprochen ENTSPANNUNG WIRD IHNEN ZUR ZWEITEN NATUR. Wenn man in die Suchmaschine seines Vertrauens diesen Satz, der in mir maßloses Grauen verursacht, eingibt, nämlich „Die Seele baumeln lassen“ plus das Stichwort „Kreuzfahrt“ nimmt man staunend zur Kenntnis, dass noch heute, vielleicht auch heute noch viel mehr als früher mit diesem furchtbaren Satz geworben wird. Die Zusammenhänge, in die dieser Satz gestellt wird, sind dann noch ganz speziell. Mit einem guten Glas Whisky lassen sich die Ergebnisse dieser Suchanfrage aber durchaus lesen.
Abschließend noch ein Zitat aus dieser köstlichen Wallace-Reportage, unser Autor beschreibt eine Toilette der Luxusklasse: „Sie haben übrigens richtig gehört: ein Unterdruck-Lokus. Aber wie schon bei der Lüftungsanlage in der Decke handelt es sich nicht um irgendwelchen Kinderkram, sondern sozusagen um die Vollversion, die große Lösung. Schon die Spülung verursacht ein kurzes, aber traumatisierendes Geräusch, ein Gurgeln in Höhe des dreigestrichenen C, wie ein gastrischer Tumult im kosmischen Maßstab, begleitend von knatternden Sauglauten, die angsteinflößend und tröstlich zugleich sind. Die eigenen Rückstände werden, so wird einem vermittelt, nicht nur einfach entfernt, sondern geradezu hinweg katapultiert, und das so vehement, dass sie buchstäblich wesenlos werden … Schon beinahe eine existenzielle Entsorgungsmethode.“