Vor vielen Jahren bekam ich das Angebot, vier Stunden am Tag, in einem „independant tea and coffee shop“ in Soho, London, als Servicekraft zu arbeiten, gleichzeitig „alternative coffeehouse music“ aufzulegen (mit zwei Cd-Spielern) – neben einem ordentlichen Salär konnte ich in einer kleinen Wohnung im selben Haus frei wohnen. Der Spass dauerte sechs Wochen und wurde von einem guten Bekannten der BBC vermittelt, in einem Projekt, das Radiomenschen in ungewohnte Settings unterbrachte. Da lernte ich auch die Zubereitung von cremig grünem Matcha Latte mit Eiswürfeln. Ich war einst argentinischem Matetee sehr zugetan, als ich rauschhaft Julio Cortazars Meisterwerk „Rayuela“ durchlebte, doch Mate und Matcha sind zwei verschiedene Kaliber, der kalte Matcha war für mich ein ekliges Gesöff wie selten eins. Soll gut gegen Krebs sein, und ich kenne kluge Leute, die ihn sogar köstlich finden, Martina etwa, wie sie jüngst in ihrer Geschichte zu „Sans Soleil“ kundtat. Allein optisch ist der Iced Matcha-Latte schon eine einzigartige Kreation. Das Matcha-Pulver wird aus den zerstoßenen Teeblättern hergestellt. Der Trinker nimmt also keinen Extrakt zu sich, wie es bei normalem Tee üblich ist, sondern konsumiert das gesamte Blatt. Der Matcha-Tee wird in Japan auch gerne als “grüner Espresso” bezeichnet – der Matcha-Latte ist dann wohl der grüne Latte-Macchiato! Die Zubereitung des Matcha-Latte ist relativ einfach und nicht komplizierter als die Zubereitung eines normalen Latte-Macchiatos. Alles in allem also die perfekte Latte-Alternative im Sommer, wenn man dieses Gesöff halt mag. In dem Laden war es damals das Szene-Getränk no. 1. Die Zubereitung ist einfach, und außer dem Matcha Pulver und Milch sind keine besonders exotischen Zutaten notwendig: 1/2 TL Matcha Pulver, 50 ml heißes Wasser (80°C), 200 ml kalte Milch, 1 Handvoll Eiswürfel. Lassen Sie sich also nicht abschrecken von meinem fast schon körperlichen Ekelgefühl, ich finde ja auch Marzipan und Buttermilch widerlich. Viel interessanter waren aus meiner Sicht die vielen tollen Musikgespräche mit Gästen aus allen Altersgruppen, während meine Musik lief. Jeden Morgen lag auf jedem schwarzlackierten Tisch ein Flyer mit dem „drink of the day“, und den Namen von drei Musikern, die sich zwischen 8 und 12 Uhr munter abwechselten. Diese Blätter habe ich jüngst auf dem Dachboden gefunden, aber sie sind grau und hässlich geworden mit der Zeit. Hier einige der „Blue Morning Music Wonders“, „Trios“ der besonderen Art, Musik, die man, von Ausnahmen abgesehen, tatsächlich eher spätabends, nachts, oder nie zu hören kriegt: Brian Eno / Tuxedomoon / Steve Tibbetts ——- Jon Hassell / Ras Michael / Joni Mitchell ——— John Martyn / Penguin Cafe Orchestra / Bill Connors ——— John Surman / Vaughn Williams / Jacques Brel ——— Nits / Talking Heads / Caetano Veloso ——— Sun Ra / Nick Drake / Cluster ——— eine kleine Auswahl. Es gab in diesen sechs Wochen ausser ethnischer Vielfalt, nahegehenden Begegnungen und einem Hauch von Routine noch eine besondere Sache, die ich nicht unerwähnt lassen möchte. Ben, der Chef des Lades, bat mich, allabendlich eine Runde mit dem Hund zu gehen, ein Golden Retriever namens Mister Phelps. Auf den Strassen von Soho möge ich den Hund zudem stets mit vollem Namen ansprechen, was zu witzigen Situationen führte. Ich verstand mich grossartig mit Mister Phelps, er war offensichtlich ein Fan der Talking Heads, bei Psycho Killer führte er gar ein Duo mit David Byrne auf. Allein, wenn ich seinen Namen rief, schauten die Leute immer wild umher, welchen Gentleman ich da zur Raison rief, und dachten wohl, ich wäre ein weiterer Irrer, der mit Geistern kommuniziert. Der tiefere Witz der Story ist, dass ich ein Jahr später, in der Normandie eine kurze Affäre mit einem britischen Photomodell in den zweitbesten Jahren und einem astreinen Audrey Hepburn-Pony hatte – sie hiess, bingo, Mrs. Phelps, und ich nannte sie auch immer so (was im Bett dann schon mal den Charme einer Rock Hudson-Komödie hatte) – ihr früh verstorbener Mann war der Gründer einer Gruppe, die sich fast in Vergessenheit geratenen Vertretern des „spiritual jazz“ zuwandte, und regelmässig in einem englischen Jazzmagazin publizierte. Mrs. Phelps war vom Jazzvirus ihres Mannes infiziert – und sie hatte einen Riesenfundus an Platten, bei denen der Jazzpianist Stanley Cowell mitwirkte, ihr Lieblingsalbum war „Illusion Suite“.