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2018 8 Feb

„The healing picture“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

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Etliche Jahre nun leben ich mit diesen Schmerzattacken, und derzeit verkürzen sich die Intervalle. Anfangs funktionierte es mit Runterspielen und Verdrängung, alle vier Wochen etwa meldete sich der Schmerz an, im linken Nackenbereich, schickte seine Vorboten, und verwandelte mein Dasein, zwei bis drei Stunden nach dem erträglichen Anfluten, in reinen Vierstundenterror. Manchmal sind es „nur“ drei Stunden – als könnte man die Uhr drauf einstellen!

 

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Anfangs verdrängte ich die „Nackenmigräne“, die irgendwann begann, in den linken Hinterkopf zu projizieren, später auch öfter  im linken Hinterkopf begann, und die Schmerzsignale  runter in den Nacken sendete. Nach etwa einem Jahr besuchte ich meinen Hausarzt, der von den typischen Symptomen eines Bandscheibenvorfalls im HWS-Bereich sprach. Er verschrieb mir ein Muskelrelaxans und ein schwächeres Opioid, wohlwissend, dass ich eine umfassende Schmerzmittelallergie seit 1998 mit mir rumschleppe, und nur Opiate und Paracetamol vertrage. (Und Haschisch).

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Ich hatte keinen  Vorfall in der Halswirbelsäule, wie sich beim MRT herausstellte. Eine erste Schmerztherapeutin verschrieb mir ein Opiumpflaster, und es war wirkungslos. Einmal, im Krankenhaus, mit einer akut bedrohlichen  Allergie (Reaktion auf Castellanis Pulver – mittlerweile verboten), bekam ich, zu meinem Schreck, nachts in der Intensivstation, die nächste „Nackenmigräne“. Der Stress? Egal. Ich rief nach der diensthabenden Ärztin, beschrieb ihr die Sachlage, und der blonde Rauscheengel verkündete mir, in zwanzig Minuten hätte ich Ruhe. Intravenös bekam ich 0.75 mg Dipidolor, ein starkes Opioid, und nach zwanzig Minuten war der Schmerz verschwunden.

 

 

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Klar, dass ich nach diesem Vorfall Licht sah, aber meine Ärztin in Aachen weigerte sich, mir Dipidolor zu verschreiben. Das Mittel hätte kein Antidot, und ich könnte eine Atemdepression bekommen. Ich sagte ihr, dass ich dieses Mittel, das ich aus der  fernen Vergangenheit gut kannte, und mir bei einer früheren Erkrankung sehr gut geholfen hatte, bestens vertrage. Sie lehnte ab, und ich fand einen anderen  Arzt, der mir Dipidolor zur subkutanen Verabreichung verschrieb. Intravenös geht nicht im Privatgebrauch.  Subkutan ist nicht so wirkungsschnell wie intravenös, aber ich war glücklich. Bei der nächsten Attacke liess ich es mir subkutan verabreichen, die doppelte Menge, so war es indiziert, und ich war dermassen froh, dass der Schmerz sich gleich verflüchtigen würde. Tat er aber nicht. Wie  sich innerhalb der folgenden 18 Monate herausstellte, hilft mir Dipidolor nur IV. Ich bekam es ein zweites Mal, während des Aufenthalts in der HNO-Klinik im Alfried Krupp-Krankenhaus, und flugs verabschiedete sich der Terror im  Nacken. Kennen Sie schmerzhafte Nackenverspannungen? Die sind ein Witz im Vergleich.

 

 

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Bei den nächsten Schmerztherapeuten, einem Team der RWTH Aachen, bekam ich Temgesic 0,2 mg. Ein starkes Opioid, ohne Antidot. Wirkte es, wirkte es nicht? Nur ein bisschen?  Auf Sicht gesehen merkte ich, dass es mir bei  dem Hammerschmerz nicht wirklich gut half – das High der Droge lernte ich schon schätzen, eine herrlich inspirierende Gedankenlosigkeit. Aber da es nicht wirklich half, auch nicht mit doppelter Dosierung, teilte ich das den Ärzten der Schmerzambulanz: eine green card für IV-Verabreichung sei nicht möglich, sagten sie.

Sie müssen sich das so vorstellen, in diesen vier Stunden: ich liege auf der Couch, dem Boden, ich schreie, ich stöhne, ich atme laut, ich klopfe fest mit der Hand auf harte Erde, um den Schmerz zu kompensieren und durch einen andern zu ersetzen, ich visualisiere mich aus dem Körper, zwecklos, ich experimentiere mit Hitze am Hinterkopf, mit Kälte, ich stöhne weiter, ich gucke auf die Uhr, ich weiss,  nach vier (oder drei) Stunden ist Schicht, der Schmerz löst sich in Luft auf, wie von Geisterhand. Und das nun über Jahre. Und egal, was ich tue in diesen vier Stunden: nichts bringt den Schmerz unter Kontrolle. Für  Momente kann ein Hitzekissen ihn mildern, oder eine seltsame Körperdrehung. Aber das wahrlich  berauschende Gefühl ist, wenn sich der Schmerz auflöst. Ein schöneres High als der Opium-Kick.

 

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Parallel dazu habe ich in den letzten Jahren alles getan, um dem Terror im Nacken loszuwerden: Kieser Muskelaufbautraining, Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), Physiotherapie, drei Praxen, drei Ausrichtungen, Ostheopathie, Chiropraktik, Korrekturübungen für Handynacken, das Spritzen von Betäubungsmitteln in die Schmerzzone (dazu gibt es in der Naturheilkunde einen Fachbegriff), und mitunter schien auch alles zum Guten zu wenden, aber da waren Herr und Frau Placebo am Werk. Nichts half mir. Die Schmerzintervalle wurden mit den Jahren kürzer. Nicht gut. Gar nicht gut.

 

 

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Es gibt ein Foto, das ich mein „heilendes Bild“ nenne. Ich schaue es öfter an, manchmal mehrmals in der Woche. Mit allem, was ich habe, was ich bin und nicht bin, stehe ich wieder dort. spüre alles, den Wind, das Gatter, das Meer. Es raubt den Atem, und der Atem fliesst. Ich versuche, alles zu erinnern, was ich von Milton Erickson gelernt habe. Meine Lust auf Leben ist ungestillt. Die Infrarotkabine eine Anschaffung mit Bedacht.

 

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