Es ist gar nicht lange Zeit her, da bewunderte ich zum ersten Mal in meinem Leben die Elb-Eisenbahnbrücke von Dömitz. Mit ihren 986m Länge galt sie einst als längste Eisenbahnbrücke Deutschlands. Während eines Luftangriff wurde der östliche Teil der Brücke im April 1945 zerstört, heute stehen nur noch die 16 westlichen Vorlandbrücken.
Hatte ich diese Brücke, die in die Leere führt, nicht schon einmal gesehen? Gewiss nicht, never ever. Und doch, vor ein paar Wochen kam ich während der Beschäftigung mit dem Filmemacher Wim Wenders auf die Idee, mir seinen Film Im Lauf der Zeit mal wieder anzuschauen. 1977, kurz nach Erscheinen des Films im Jahr 1976 hatte ich dieses Werk ein einziges Mal gesehen, seither nie wieder.
Wenders hatte es ein paar Jahre nach Abschluss seiner Filmhochschulzeit in München bereits zu einiger Berühmheit gebracht, immerhin, er hatte schon Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, Alice in den Städten, Falsche Bewegung und andere kürzere Filme gedreht. Übrigens, Peter Handke hatte Wenders bereits während seiner Studienzeit kennengelernt, sie sollten lebenslang beste Freunde bleiben.
Einer der ersten Filme Wenders, sein zehnminütigen Musikfilm 3 Amerikanische LP’s, stellte eine erste Zusammenarbeit dar (diesen Film hätte ich so gerne einmal gesehen, leider ist es mir bislang nicht gelungen, diesen Streifen zu finden).
Das Drehbuch zu Im Lauf der Zeit hätte von Handke stammen können, geschrieben hat es allerdings Wenders selbst. Es passiert wenig in diesem 168minütigen Schwarzweißfilm und doch erzählt der Film so viel. Einer der beiden Hauptfiguren im Film ist quasi ein Jukebox-Man für Filmprojektoren. In einem alten MAN-Umzugs-LKW fährt er entlang der ehemaligen Deutsch-Deutschen-Grenze und steuert die im Niedergang begriffenen Lichtspieltheater dieser Gegend an, um dort die Filmvorführgeräte zu reparieren.
Der Mann lebt und arbeitet in seinem LKW, hat eine Jukebox dabei und vorne im Führerhaus einen tragbaren Plattenspieler, daneben einen Single-Platten-Ständer für ca 50 Singles. Während der Fahrt kann der Fahrer nebenher seine Platten in den Schlitz des Plattenspielers stecken und schon läuft die entsprechende Musik zu diesem fantastischen Roadmovie. Einmal, unser Mann hat gerade eine Nacht auf einem Parkplatz an der Elbe hinter sich, rasiert er sich und schaut nebenher auf die halbe Brücke von Dömitz (daher also kenne ich die Brücke!). Plötzlich hört man rasendes Motorengeräusch, ein VW-Käfer fährt mit Höchstge-schwindigkeit ungebremst in die Elbe. Die Fahrer kann sich und einen Koffer über das Schiebedach des Wagens retten, ehe der Wagen in den Fluten verschwindet.
Von der Geschichte des Films möchte ich jetzt nicht mehr verraten, nur noch eines: der Vater des VW-Fahrers betreibt eine kleine Druckerei. Der Film zeigt liebevoll die Maschinen aus dieser Zeit, die Setzmaschine, die Druckmaschine, die riesigen Filmprojektoren, Filmklebemaschinen, all das, was es in heutigen Filmtheatern nicht mehr gibt. Im Lauf der Zeit stammt aus einer ganz anderen Zeit und doch hat meine Generation genau die erlebt, man glaubt es kaum. Die gezeigten Lichtspielhäuser wird es schon längst nicht mehr geben, die Jukeboxen sind aus den meisten Kneipen verschwunden und auf den diversen Müllhalden gelandet, all das Vergangenheit. Kameramann Robby Müller hat diesen Film unglaublich schön gedreht, es ist ein Genuss dieses nun vierzig Jahre alte Werk anzuschauen.
Zur Musik: Die meisten Musikstücke dieses Road-Movie stammen von der Gruppe Improved Sound Limited. Dann hören wir noch Heinz Burt: „Just like Eddie“, Roger Miller mit „King of the Road“, Crispian St. Peters (ja, das ist der, der „Pied Piper“ gesungen hat) mit „So long“ und Robert Johnson mit „Love in Vain“.