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2018 17 Jan

Die Fremde Souad Massi

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | 11 Comments

Am Abend holte Marie mich ab und fragte mich, ob ich sie heiraten wolle. Ich antwortete ihr, das wäre mir einerlei, aber wir könnten heiraten, wenn sie es wolle, da wollte sie wissen, ob ich sie liebe. Ich antwortete, wie ich schon einmal geantwortet hatte, dass das nicht so wichtig sei, dass ich sie aber zweifellos nicht liebe. 

(Der Fremde von A. Camus)

Was für eine Geschichte:

Sie ist kurz vor einem Konzertauftritt, als sie ein Anruf erreicht, sie solle schnell kommen, der Vater der gemeinsamen Kinder sei dabei sie zu töten. Das Konzert wird sofort abgesagt. Sie eilt zu den beiden Töchtern und kann sie retten.

Souad Massi trat am vergangenen Wochenende in Brüssel auf. Ihr Konzert war ausverkauft – ich hatte kein Ticket, warum nicht, das ist eine andere Geschichte.

Souad Massi ist 1973 in Algier geboren. Algier ist seit den 70er Jahren mein Sehnsuchtsort. Die Stadt liegt mondsichelförmig zum Meer hin, von den Stadthügeln muss es ein 1001 Tagtraumblick hinunter aufs Wasser sein. Im Rücken ahnt man die unendliche Wüste, wo Sandkörner verschiedenster Größe und Farbe und die scheinbar richtungslosen Winde einem die Gedanken aus dem Hirn blasen.
 
 
Bleiben oder gehen
 
Diese Frage stellt sich Souad. Als sie in Algier bedroht wird, entscheidet sie sich, nach Paris zu gehen. Dort erlebt sie hautnah den Hass auf die Islamen nach dem Terror in Paris. Diese Erlebnisse führen dazu, dass sie sich mit der alten, arabisch-andalusischen Musik aus dem Mittelalter beschäftigt. Sie will zeigen, dass die großen Meister damals liberale Geistesgrössen waren, die sich für Toleranz und das Miteinander der verschiedenen Religionen stark gemacht hatten. Mutig nennt sie ihr neues Album EL MUTAKALLIMUM (DIE GROßEN MEISTER).

Souad ist vorallem eine berberische Kabylin, die auf arabisch und französisch singt. Ihre Texte schreibt sie selbst. Im Internet sind keine Übersetzungen zu finden. Eine Freundin in Damaskus hat mir geholfen, die Inhalte zu verstehen. Ihre musikalischen Begleiter sind hervorragende Musiker, phänomenal Jean-François Keller an der 12 string Gitarre. Soud spielt selbst akustische Gitarre und lässt sich traditionell von Oud, Trommel und Piano begleiten. Ihr Musikstil differiert zwischen Country, Balladen, Flamenco, Jazz. Ihre warme, gutturale Stimme setzt sie beeindruckend ein. Ihr schönes Gesicht strahlt bei den positiven Erzählungen und verzieht sich zum Schmerz hin bei wehen Texten.
 
 
O HOURIA
 
Das Lied beschreibt in düsteren Bildern ihre Heimat. Es ist ein Plädoyer für die Freiheit.
 
 
DAR DGEDI
 
Sie singt über ihr Volk, die Kabylen, an ihrer Seite ein phantastischer Oudspieler.
 
 
RANI RAYHA UND RAOUI
 
In diesen Songs geht es um die Bitte an die Alten, über die vergangene Zeit zu erzählen. (Raoui ist mein absoluter Favorit).
 
Ich empfehle auf YouTube ihr LIVE ACOUSTIC 2007

Carolin Emcke hat in der Sternstunde der Philosophie gesagt, uns fehlen für den Zusammenhalt der Gesellschaft die Erzählungen.

Souad: „Everyone of us has a story in his heart.“

Heraus damit.

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11 Comments

  1. Lajla:

    Souad Massi

  2. Lajla:

    Die experimentale Filmemacherin Leslie Thornton aus Tennessee hat 2006 ein Video gedreht, das sie SAHARA/MOJAVE nennt und in dem sie 12 Minuten lang alte, erotische Fotos von sehr schönen Algerierinnen zeigt und im Hintergrund das kaputte L.A.

  3. Martina Weber:

    Was für eine Geschichte.

    Als ich Anfang 20 war, habe ich die wunderbare rororo Monographie über Camus gelesen, von Morvan Lebesque. Und es gab einen Satz, an den ich mich noch erinnere, ich habe ihn eben auch wieder im Buch gefunden. „Camus´ Werk, könnte man sagen, ist aus der Betrachtung des Gesichts seiner Mutter entstanden und aus der Betrachtung des Meeres.“

    Hast du deinen Sehnsuchtsort aufgesucht oder bewahrst du ein inneres Bild von ihm?

  4. Martina Weber:

    Wenn ich an nordafrikanische Musik denke, dann sofort an die vorletzte Szene von Jim Jarmuschs Film „Only Lovers left alive“, über den ich hier
    geschrieben habe …

    Yasmin Hamdan singt das Lied „Hal“. Faszinierend die Szene in der Cafébar, die Gesichter im Publikum, die Gesten …

  5. Lajla:

    Ja tolle Szene.

    Nein, ich war noch nicht in Algier. Nicht einfach für uns Frauen, sich dort frei zu bewegen. Ich müsste Männerkleidung anziehen, so wie das Isabelle Eberhardt in SANDMEERE beschreibt.

    Hast du einen Sehnsuchtsort?

  6. Martina Weber:

    Nicht im Sinn eines real existierenden Ortes, an dem ich zu sein wünschte, weil ich mir erhoffte, dort sozusagen als Person vollständig zu sein. Ich glaube nicht, dass es so einen Ort für mich gibt. Für mich ist mein Sehnsuchtsort eher ein innerer Ort. Er ist so, wie ich sein möchte. Der Ort verändert sich, es ist eher ein Gefühl oder eine Motivation.

  7. Lajla:

    Auch nicht aus der Vergangenheit?

    Für mich ist 1978 das Nürnberger Konzert ein Sehnsuchtsort passé.

  8. Martina Weber:

    Eben, passé.

    Du könntest das Konzert jetzt nicht mehr so erleben wie damals. Deshalb sind für mich Sehnsuchtsorte aus der Vergangenheit trügerisch. Sie funktionieren jetzt nicht mehr.

  9. Lajla:

    Bleibt noch das Erlernen des luziden Traumes :)

  10. Martina Weber:

    Ja, und vieles andere mehr :)

  11. Lajla:

    Interessanterweise nennt Reinhold Messner seinen aktuellen Vortrag: Die 4. Dimension.


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