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on life, music etc beyond mainstream

2018 12 Jan.

Bunita Marcus & Morton Feldman

von: Hans-Dieter Klinger Filed under: Blog | TB | 10 Comments

Dreierlei hat mich zum Kauf des Albums bewogen.
 
Gregor Mundt

Gregor öffnet seinen Plattenschrank
nicht selten ist das ein understatement
was da aussieht wie eine Platte im Schrank
ist in Wahrheit die Tür in eine andere, unerhörte Welt
 
Marc André Hamelin

Ein großartiger Pianist & Komponist, hochgeschätzt von mir
 
Morton Feldman

Ich kenne diesen Komponisten aus der Beschäftigung mit John Cage. Man kann sagen, dass Feldman zum engeren Kreis um Cage gehörte. Ein interessantes Dokument dieser Verbindung findet man hier.
 
 

In den späten 70er Jahren besorgte ich Notenmaterial, um Musik von Morton Feldman mit der ‘AG Neue Musik‘ meiner Schule aufzuführen. Daraus wurde nichts, denn die Anforderungen waren zu hoch. Es gab zwar reichlich Freiheiten, aber dadurch wurden die Kreativität der Ausführenden und die instrumental-technischen Fähigkeiten eines Perkussionisten über die Maßen heraus gefordert. Für einen Eindruck mögen ein paar Bilder zu The King Of Denmark für einen Perkussionisten sorgen.
 
 

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    Instructions

 
 

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Ich habe mich seitdem kaum mehr mit Morton Feldman und seiner Kunst beschäftigt. Von Bunita Marcus habe ich durch Gregors Empfehlung zum ersten Mal gehört. Das ist wohl eine sehr interessante Persönlichkeit, wie man ihrer Biografie entnehmen kann. Es gibt so gut wie keine Tondokumente ihrer Kompositionen. Man braucht nur einmal bei Amazon auf die Suche nach Bunita Marcus zu gehen. Bis auf eine Ausnahme wird nur Morton Feldmans For Bunita Marcus – gleich in mehreren Einspielungen – angezeigt. Auch Spotify & Qobuz lassen von Bunita Marcus nichts hören.
 
 
M. Feldmans Komposition reiht sich ein in eine Folge von „For … “ – Stücken
 

For Frank O’Hara (1973)
For Aaron Copland (1981)
For John Cage (1982)
For Philip Guston (1984)
For Bunita Marcus (1985)
For Stephan Wolpe (1986)
For Christian Wolff (1986)
For Samuel Beckett (1987)


 

Unter den genannten Personen scheint Bunita Marcus eine besonderen Rolle in Morton Feldmans Leben gespielt zu haben. In Zeiten des Präinternetikums hätte ich kaum etwas über Mrs. Marcus in Erfahrung bringen können, nunmehr aber schon. Den folgenden Text findet man leicht. Er ist niedergelegt im Booklet einer Aufnahme des Werks, gespielt von Ivan Ilić.

On the title of ‘For Bunita Marcus’
 
From the beginning of his career, Morton Feldman made dedications into titles. The earliest was ‘For Cynthia’, a short piano piece named for his second wife. Then came ‘For Franz Kline’, dedicated to the abstract expressionist painter.
 
Feldman was proud of his association with artists he met through John Cage in the 1950’s. “The temperaments of artists like Rothko, Pollock, [de] Kooning, and Kline are very similar to mine,” Feldman said. “I know their research intimately”. By naming his pieces after them, Feldman cemented his link with a veritable who’s who list of artists living in postwar New York. Names he used include Frank O’Hara (the poet), Mark Rothko, Willem de Kooning, Philip Guston (painters), Aaron Copland, John Cage, Christian Wolff, Stefan Wolpe (composers), and Samuel Beckett (the writer, poet, and playwright). One name sticks out: Bunita Marcus.
 
Marcus was Feldman’s student from 1975 to 1981 at the University at Buffalo, where she earned a PhD in composition. In 1983 Feldman said, “I’m very enthusiastic about this girl. And I think she’s something to be enthusiastic about. I’m never going to have [another] student like her as long as I live. Never.” Although Feldman could be viciously critical of other composers, he had nothing but praise for Marcus and her “natural penchant for doing what she does very, very well.” Her compositions, which he said he “learned a lot from” were “gorgeous” and “elegant”.
 
Marcus was also Feldman’s intimate companion, on and off, from the time they met. She refused Feldman’s marriage proposal in 1981, but they remained close until his death in 1987. Marcus was by no means his only muse; on the contrary, by all accounts Feldman was a compulsive womanizer. But Marcus, who commissioned and premiered his last piano piece ‘Palais de Mari’ (1986), and to whom this CD’s composition is dedicated, will always be inextricably linked to Feldman’s legacy.
 
From the booklet of Ivan Ilić’s recording of ‘For Bunita Marcus’
Catalogue number PTY135305D

 
 

Mich hat das Notenbild von For Bunita Marcus interessiert. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es grafisch notiert ist, es musste konventionell notiert sein, denn Vergleiche der Hamelin-Einspielung mit zugänglichen Streaming-Angeboten zeigten nicht ein „offenes Kunstwerk“, wie es aus der Realisation einer grafischen Partitur resultieren würde.
Bei Universal Edition (offenbar der zweite große Verlag für Feldman, zuvor war es Edition Peters) sind die ersten 4 Seiten als Muster einzusehen. Daraus erschließt sich mir auch Feldmans Anmerkung zur rhythmischen Gestaltung.

For Bunita Marcus besteht hauptsächlich nur aus 3/8-, 5/16- und 2/2-Takten. Manchmal hatte der 2/2 musikalischen Inhalt, so am Ende des Stücks. Manchmal fungieren die 2/2-Takte als Stille, entweder auf der rechten Seite oder der linken Seite oder in der Mitte des 3/8- und des 5/16-Takts, und ich benutzte das Metrum als Konstruktion: nicht den Rhythmus, sondern das Metrum und die Zeit, die Dauer, die etwas beansprucht.

 
 

Die Taktwechsel sind das notationstechnische Mittel, um den eigentlich pulsfreien, kaum greifbaren Zeitstrom schriftlich zu vermitteln. Das ist vertrackt zu spielen !!! Fingerfertigkeit im Sinne schneller fingerbrecherischer Passagen à la Liszt / Rachmaninov (oder auch Hamelin) wird nicht verlangt, Anschlagskultur schon.
 
 

Ich habe For Bunita Marcus heute 2 Mal angehört. Es passiert fast nichts in dieser Musik, es gibt keine dynamische Entwicklung, es ist irgendwie ziellos. Ich war nahe am Aussteigen, doch das feine Timbre einzelner Töne und luzider Zusammenklänge hat mich doch nicht entlassen, gewann mehr und mehr meine ungeteilte Beachtung. Allmählich stellte sich ein Zustand von Selbstvergessenheit ein, ein Gefühl von schwebendem Verweilen in gedehnter Zeit. For Bunita Marcus ist so leise, dass mein Tinnitus hörbar mitmusiziert. Morgen lege ich das Stück wieder auf. Morgen höre ich es etwas lauter.

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10 Comments

  1. Gregor:

    „Bunita Marcus – Sugar Cubes“ ist schon bestellt, ich bin sehr gespannt auf die Musik.

    Dein Artikel bringt so viele neue Aspekte, umwerfend. Wenn du schreibst „Es passiert fast nichts in dieser Musik, es gibt keine dynamische Entwicklung, es ist irgendwie ziellos.“, kann ich das genauso nachfühlen, nur, dass ich nie das Bedürfnis hatte auszusteigen. Auch das „Gefühl von schwebendem Verweilen in gedehnter Zeit“ finde ich für mich genau richtig beschrieben.

  2. Jochen:

    „Anschlagskultur“, haha. Schönes Wort.

  3. Hans-Dieter Klinger:

    Anschlagskultur

    Schwerter zu Trucks
    der erste Kandidat für die Medienphrasen 2018?

    Wir leben nun mal in schlimmen Zeiten.
    Da gibt es sogar Leitkultur – oder ist es Leidkultur?

  4. Jochen:

    Ich kannte den Begriff noch nicht – die Klassik ist ja auch nicht gerade mein Gebiet.

    „For Bunita Marcus“ gibts im Streaming (performed by Stephane Ginsburgh) – werde ich mir morgen mal zu Gemüte führen …

  5. Rosato:

    an Jochen

    ich kenne auch viele, viele Begriffe nicht, die anderen geläufig sind.

    ich war ein wenig verwirrt als die gruselige Assoziation auftauchte an die ich beim Verfassen des Beitrags niemals nie nicht gedacht habe.

    verwirrt auch deshalb, weil das „haha“ gar nicht in Einklang ist mit der sich öffnenden „alternativen“ Bedeutung von „Anschlagskultur“

  6. Jochen:

    Ganz gewiss gehören weder du noch Gregor zu jenen, die meinen, man sei mit „höheren Weihen“ gesegnet, wenn man in der Klassik weilt (solche Menschen kannte ich aber).

    Deshalb traue ich mich hier zu sagen: „Anschlagskultur“ würde ich auch Bill Frisell, Adam Rogers (Jazzgitarrist) oder einem Bluegrass-Banjospieler zugestehen.

    Das „Haha“ kam spontan, weil es eben nicht nur auf virtuose Schnelligkeit ankommt.

  7. Poschlost:

    Apropos Anschlagskultur: Morton Feldmans Musik ist zwar trotz des Minimalismus keine „Minimal Music“, aber auch nicht so weit entfernt. Jedenfalls, wer Morton Feldman mag, wird vielleicht auch Philip Glass gern hören und ganz bestimmt die Aufnahme von dessen „Piano Works“ des isländischen Pianisten Vikingur Olafsson (Deutsche Grammophon).

    Die höre ich zurzeit täglich und sie kam mir bei dem Begriff „Anschlagskultur“ sofort in den Sinn. Eine, auch klanglich, makellose Aufnahme, die bei aller Präzision überhaupt nicht maschinenhaft wirkt.

  8. Uli Koch:

    Erst einmal ein dickes Danke für den Post über „Bunita Marcus“. Mir fielen vor Jahren einmal die Pianostücke Feldmans in der Einspielung von John Tilbury in die Hände und „For Bunita Marcus“ war für mich DAS Stück des Albums. Ich habe es tagelang einfach durchgehört bis mir klar wurde, dass es in gleicher Weise auf mich wirkte wie die Ambientmusik Brian Eno’s. Die Musik war da, klar, ruhig, unprätentiös aber präzise, störte nichts, durchdrang alles und schuf eine angenehme, sehr kraftvoll stille Atmosphäre.

    Sebastian Claren beschreibt in seiner sehr schönen und tiefen Morton Feldman-Monographie Neither dieses Stück und seine Feinheiten genau und verweist nicht nur auf die Wichtigkeit, die Feldman einer präzisen Notation und metrischen Struktur zumaß, sonder auch auf den subtilen Reduktionismus des Tonmaterials, das konsequent mit der Dreitongruppe es-d-cis als Basis operiert und Feldman darauf hinweist, dass er da nicht weg will von dieser kompositorischen Zelle und deshalb diese 3-Ton Motivgruppe in dem gesamten Stück nur moduliert. Dadurch entstehen auch diese wunderbaren Schwebungen, die Deinen Tinnitus mitschwingen lassen … aber auch das Gefühl nach einiger Zeit, dass die Ortbarkeit der Klänge aufhört und die Musik auf einmal im ganzen Raum quasi objekthaft präsent ist: Musique d’ameublement, wie Satie das nannte im ureigentlichsten Sinne. Und damit der Punkt, wo sich die klassische Musik, ohne die Absicht gehabt zu haben bis ins Extrem in das Terrain der Ambient-Music begeben hat.

    Howard Skempton schrieb in den liner notes zu Tilbury’s Einspielung: „Morton Feldman’s music celebrates pitch and touch. We cherish it for the character of its pitch material and its lightness of touch … it takes precision and care to float the music over the bar-lines; to acknowledge pulse and yet somehow, through rhythm, to transcend it.“

    Reduktionistische Musik lebt von einem außerordentlich achtsamen Anschlag, weswegen nicht nur Feldman sondern auch Arvo Pärt so schwer zu spielen sind, obwohl die Noten selbst ganz einfach sind. Hier erschafft erst die Genauigkeit die Weite und Offenheit dieser Komposition. Und genau das unterscheidet sie von der (zwar wirklich feinen) Interpretation der Pianowerke von Philip Glass, die dagegen sehr vorhersehbar und banal bleiben, auch wenn Vikingur Olafson rettet, was zu retten ist!

    Und zuletzt: dreh die Anlage auf, hör das Stück laut (obwohl Feldman eine zurückhaltende Hörweise vorschlug) und stelle vielleicht fest: es bleibt leise! Leise und lädt zur Meditation über die Stille zwischen den Tönen ein.

  9. Rosato:

    Lieber Uli, vielen Dank für die großartige, weitreichende Ergänzung, für den Literaturhinweis (Sebastian Claren).

    Solltest du die Tilbury-Aufnahmen noch besitzen, hast du ja eine Preziose, für die man tief ins Portemonnaie greifen müsste.

    Skemptons liner notes würden mich interessieren.

  10. Olaf:

    Der mitmusizierende und schwingende Tinnitus, hört sich spannend an. Ein ähnliches Erlebnis hatte ich einmal in einer Mark Rothko Ausstellung, in der die Farbigkeit der Bilder Gegenfarbtöne auf meiner Retina hinterließen und sich von Bild zu Bild veränderten. Oder so ähnlich. Vielleicht die visuelle Entsprechung? Rothko und Feldman haben sich ja irgendwie beeinflusst, näheres weiss ich aber nicht…


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