Auf dem kleinen Manafonistastreffen vor einiger Zeit konnte ich endlich Gregors Jukebox (Zweitausgabe) und den Plattenschrank bestaunen – beides im Original noch faszinierender als in meiner Fantasie. Gregor nannte die Zahl seiner Audiokassetten, ich kam mir eine Sekunde lang vor wie in einem dieser Kartenspiele für Jungs aus Kindertagen, in denen es darum ging, den anderen mit mehr PS und einer kürzeren Zeitspanne für die Beschleunigung von 0 auf 100 kmh zu toppen. Wahrscheinlich sind diese Spiele heutzutage verboten und nur noch auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Die Wahrheit ist, dass ich die Zahl meiner Audiokassetten gar nicht kenne, weil ich sie nicht gezählt habe. Die Zeiten, in der ich wegen meiner Begeisterung für Audiokassetten belächelt wurde, sind nun auch vorbei. Der Romantik- und Charmefaktor ist langfristig einfach überzeugend, auch ohne Retrotrend. Es gibt aber etwas, worum Gregor mich beneidet. Ich legte die Karte „Bist du in der Lage, deine Audiokassetten mit einem im Auto eingebauten Taperecorder zu hören?“ auf den Küchentisch und Gregs musste kapitulieren. Bei mir gehört die Frage, welche Kassetten ich mitnehme, zum Ritual vor jeder Autofahrt. Meist ziehe ich intuitiv eine der Schachteln oder Boxen aus meinem Plattenschrank und hole, ohne großartig zu recherchieren, zwei oder drei Kassetten heraus. Neulich war es wieder einmal die Kassette, deren A-Seite vor der Auflistung der Tracks mit der zusammenfassenden Beschreibung „Osterhorizonte 2011 – 70er Revival“ beschriftet ist. Die Kassette beginnt mit einem Stück, das ich im Lauf der Jahre immer wieder zurückgespult und schon hunderte Male gehört habe: Mathias Eick: Oslo, aus dem Album Skala. Nun stammt das Album nicht aus den 70ern, es war an Ostern 2011 neu oder kurz vor seinem Erscheinen, aber meine Beschriftung kann auch irreführend sein; vielleicht war das Stück bei der mehrstündigen Sendung in einer der Osternächte, auf die ich mich immer gefreut habe, auch nicht dabei, und ich habe es an den Beginn einer Kassette platziert, um es leichter zurückspulen und immer wieder hören zu können. Von der Moderation habe ich mir nur die Stichworte „doppelte drums“ notiert und erst jetzt habe ich mir das Video dazu angesehen mit den fantastischen doppelten Drums im Hintergrund des Quintetts und im Vordergund Mathias Eick mit der Trompete, alles schwarzweiß. Das Stück ist von einer wunderbaren Ruhe und der Kraft einer inneren Bewegung zugleich. Etwas später folgen einige Tracks aus King Crimsons Album „Islands“ (1971). Bei der Beschriftung der Kassette habe ich aus Michaels Moderation diesen Satz notiert: „Sein Gitarrensolo war seiner Zeit weit voraus“. Sailors´ Tales.
4 Comments
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Lajla Nizinski:
Mich hat dieses wundersame Möbelstück bei Gregor auch lange beschäftigt. Manche Wohnzimmerbewohner stellen sich einen Strandkorb auf, andere ein Schaukelpferd. Als ich mir die Titel der Plattensammlung in Gregor’s Jukebox ansah, wurde „die Bettwurst“ von Rosa von Praunheim vor meinem inneren Auge lebendig. Was für eine Welt sich so mancher in seine vier Wände holt. Erstaunlich.
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Michael Engelbrecht:
Islands is gorgeous
Especially side one -
Gregor:
Guck mal, so ist es auch wieder, da antworte ich auf eine harmlose Frage – nie wäre ich auf die Idee gekommen, die Zahl meiner Kassetten einfach so zu nennen – und schon sieht es so aus als sei ich ein Junge aus Kindertagen, dem es darum ginge, den anderen mit mehr PS und einer kürzeren Zeitspanne für die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h zu toppen. Man hat es schon schwer als Mann …
Ansonsten hast du recht: ich hätte so gerne mein altes BECKER-Radio mit Kassettenteil wieder. Früher brauchte man keine Minute und das Teil war angeschlossen …
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Martina Weber:
Oooch, Gregor, ich habe während meiner Grundschulzeit fast nur mit Jungs gespielt und fand Mädchen total langweilig. Ich war sogar recht berüchtigt auf dem Spielplatz und einige dachten, ich hätte Judounterricht. Immerhin habe ich die Zahl deiner Audiokassetten geheim gehalten. Und übrigens fangen die Audiokassetten im Auto allmählich an zu rattern, es scheint kein grenzenloses Glück zu geben. Zum Glück habe ich zu Hause genug alte Kassettenrecorder. Ich brauche auch Offlinezeiten.