Es gibt zahllose Passagen in der ersten Staffel der Marvel-Serie „The Punisher“ (auf Netflix), die das ganze Spektrum von unüberbrückbarer Nähe und schmerzhaftem Verlust einfangen. Frank Castle hat alles verloren, seine Familie wurde ermordet, er gilt als tot und lebt wie ein Geist im Verborgenen. Wir sind hier in New York City, und die Stadt ist ein Labyrinth. Sein anfänglicher Gegenspieler, Micro, musste ebenfalls ins Reich der Als-Tot-Geltenden abtauchen, um seine Familie zu schützen – über diverse Kameras folgt er dem häuslichen, traumatisierten Alltag seiner Frau und seiner beiden Kinder, da tut jeder Blick weh. Alles hängt zusammen mit dem Afghanistan-Krieg, mit dem verdecktem Heroinschmuggel korrupter Militärkreise. Frank Castle ist „The Punisher“, und er will Rache. Das ist der alte „Ein Mann sieht rot“-Topos, den man spätestens seit Charles Bronson in Erinnerung hat, und der nicht nur simple Strickmuster im Schlepptau führt, sondern auch Meisterwerke wie Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ (wieder mit Charles Bronson, und einem der grossartigsten Soundtracks der Westernhistorie).
Ich schreibe diesen Artikel aus einem guten Grund. Meiner unbescheidenen Ansicht nach ist diese Serie tief beeindruckend, psychologisch fundiert und fesselnd, klug inszeniert, toll gespielt, und erhält, freundlich ausgedrückt, sehr gemischte Kritiken. Sie wird weit unter Wert abgehandelt, und das ist sehr schade. Zum Glück gibt es auch ein paar erhellende Besprechungen, die genau meine Eindrücke teilen, also bin ich kein einsamer Rufer in der „home cinema“-Wüste. Meine Warnung ist diese: etliche Gewaltszenen sind von brutalem Realismus, und, wer da nicht hinsehen mag, schliesse kurzzeitig, na gut, mitunter minutenlang, die Augen (mache ich auch bisweilen). Auf der anderen Seite ist „The Punisher“ herausragendes Fernseh-Kino, in welchem das reichhaltig gebrochene Seelenleben der Protagonisten in bestens austariertem Verhältnis steht zu fulminanten Action-Sequenzen. Ein Witz, dass manche Kritiker den 13 Folgen ein oft zu langsames Tempo vorhalten. Wer es lieber gediegen will, lese den letzten, vielgerühmten und mich nur ermüdenden Roman von John Le Carré.