da dieser Brief nicht sehr informativ ist, schreibe ich ihn nur dir, auch, weil er wohl am ehesten deinen Humor trifft. Leider wird er dich auch in einen Zustand von Hochspannung versetzen. In der nächsten Radionacht, am 30. Dezember, mache ich zwar keinen Jahresrückblick, aber die ersten zwei Stunden enthalten so manches Werk aus deiner Liste der besten Alben des Jahres. Und es gibt natürlich die neue Orgelmusik aus Suffolk, auf die du heute schon ungeduldiger wartest als auf den Weihnachtsmann. Die erscheint auch erst am 18. Januar 2018. Vor allem aber spiele ich ein Album, das sofort dazu führen würde, die schöne Anordnung unserer TOP 10 des Jahres aufzumischen (und auch deine Jukeboxpächter hätten mehr Arbeit als ihnen lieb sein kann). Ich kam dem Werk heute Nacht durch Zufall auf die Schliche, kurz nach Mitternacht, ich war schon ziemlich müde, lag auf der petrolfarbenen Couch der „Schaumstoffschwestern“ aus Hamburg, und zog mir das ganze Album rein. Es hat keinen lustigen Titel, ein Cover wie aus einem Kinderbuch, und ist so traurig, so herzzerreissend, so verdammt bitter auch in Momenten. Und wenn ich dir jetzt alles weitere dazu erzähle, liegt das Teil übermorgen bei dir in der Post, und die erste Stunde hielte noch eine Überraschung weniger bereit.
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Und du würdest kaum was anderes hören, und auch mit dem Roman von der „Obstdiebin“ kämst du in den Weihnachtsferien langsamer voran. Bis auf einen Song sind alle umwerfend, aber auch schon die ganz grossen Werke der jüngeren Musikgeschichte haben Aussetzer. Ich mochte nie so recht den Song mit dem Pferdegewieher auf „Sgt. Pepper“, und Brian Eno konnte auf seiner Lieblingsplatte von Joni Mitchell, damals, als er mit seiner Freundin wochenlang durch Paris zog (ihr Basislager war eine wunderschöne Anlage in einem Hinterhof, inmitten eines Garten aus fernen Jahrhunderten), das Schlussstück, er nannte es den „joke song“ von „Court and Spark“, nicht ausstehen, ich übrigens schon. In der Nacht kurz vor Ende des Jahres lege ich gleich los mit einem Song aus genau der Schallplatte, die ich heute entdeckte, dann spiele ich eine Instrumentalnummer aus „Finding Shore“, von Tom Rogerson mit Brian Eno, und dann gleich noch ein Stück aus diesem so tief anrührenden Liederzyklus. Und am Ende der Stunde eins obendrauf. Wenn du aus dem erschütternden Film „Detroit“ von Kathryn Bigelow rauskommst, empfindest du, noch ganz in den Fäden der wahren Gedchichte gefangen, eine unglaubliche Wut. Wenn du dieses Album gehört hast, das auch „based on true stories“ ist, gehen die Emotionen in viele Richtungen, aber eine Portion Zorn ist gewiss auch dabei. Eigentlich ein tolles Weihnachstgeschenk, für Menschen, die gerne abseits vom Getümmel ihre Schlittschuhrunden laufen in grossen Parks, und immer schon die Kinks liebten, und Jacques Brel. Das Werk wird immer ein Geheimtipp bleiben, uns beide wird es in seinen Bann schlagen, und es wäre no. 3 meiner korrigierten Jahresliste. Das nennt man jetzt wohl einen echten „cliffhanger“.
Alles Gute, Michael