„Unmöglich, jemals über die Gegenwart hinauszugelangen …“ – das schrieb Daniel Mylow als Widmung in seinen außergewöhnlich poetisch geschriebenen Thriller Rotes Moor, als er mir das Buch im Juni überreichte und von seinen unaufdringlichen Recherchen in der Rhön erzählte, seinen Besuchen in Cafés. Ich wollte dieses Rote Moor sehen, das stand fest, aber die Kulisse musste stimmen. Es würde Herbst sein, und kühl, der Himmel würde bedeckt sein, die Blätter der Bäume wären größtenteils heruntergefallen, kein Sonnenstrahl würde auf die blassgewordenen Flechten und rätselhaften Gestalten fallen, die man hier beim genauen Hinsehen überall entdecken würde, ich würde ein Paar feste Schuhe aus dem Keller holen, mich über nichts informieren und einfach nur nur die Koordinaten ins Navigationsgerät eintippen: 50° 28′ 0″ N, 9° 58′ 50″ E. Und bevor die Gegenwart sich ändert, ist die Vergangenheit immer schon da, ich sitze im Wohnzimmer meiner Eltern auf dem Teppich, und die Filme, in denen ein Moor vorkam, waren immer schwarzweiß und es war sechs Grad kälter und der Holzsteg war an einigen Stellen morsch und er war so schmal, dass wir hintereinander gehen mussten. Die Batterien des Walkman waren aufgebraucht, lief nicht eben noch „Sparkle“, von Taub, aus den Bedtime Stories, „Dolores“ von Bohren & the Club or Gore? Permafrost, es knackte im Unterholz und zwischen den kalkweißen Stämmen der Birken blenden aus einem vergessenen Garten Scheinwerfer auf.
2 Comments
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Uli Koch:
Meine Großeltern wohnten in der Nähe des Roten Moores und später hatten die Eltern einer Freundin ein kleines Wochenendhäuschen sogar in Laufweite. So ist mir dieses Moor (und natürlich auch das noch tiefer in der Rhön liegende Schwarze Moor) in tiefer Erinnerung geblieben: Mit Rauhreif überzogen in gespenstischer Leere, in beklemmender Stille im Hochsommer, wo es einen fast unheimlichen Tiefensog auf mich ausübte und schließlich im dichten Nebel im November, wo ich als Kind mal fast in einem Moorloch versunken bin und mich schon fast – ich konnte mir das damals sehr plastisch vorstellen – auf dem Weg zu den anderen, viel tiefer liegenden Moorleichen befindend wähnte …
Habe den Thriller von Daniel Mylow nie gelesen, aber ich kann sicher bestätigen, dass es im Moor unmöglich ist, über die Gegenwart hinauszugelangen …
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Martina Weber:
Puh, was für eine Erinnerung, Uli.
Ich war als Kind oft mit meinen Eltern und deren Freunden mit deren Kindern im Odenwald wandern und mich hat der Nachmittag am Roten Moor eher an eine etwas zu harmlose Herbstwanderung im Wald erinnert und das Moor war mir etwas zu wenig spektakulär und es war dann eher meine Phantasie, die das Erlebnis aufgepäppelt hat.
Ich hätte noch die Schlange erwähnen können, ich hatte nämlich vorher die erste Episode der zweiten Staffel von „The Leftovers“ gesehen, wo eine Schlange auftaucht, und war deshalb etwas schreckhaft. Es ist dann zum Glück gar keine Schlange aufgetaucht.
Ich lese normalerweise keine Thriller, aber das Buch von Daniel Mylow hat mich sofort reingezogen, mit seinen sehr poetischen und überhaupt nicht kitschigen Naturbildern aus dem Moor und einem Einstieg Ende der 1970er Jahre. Das Buch ist Mitte Mai erschienen und liegt jetzt schon in der vierten Auflage vor, schrieb mir Daniel, und diese Außenwirkung hat sein Leben als Schriftsteller völlig verändert.