Zugegeben: ich lese immer wieder gerne den Autoren Byung-Chul Han, würde ihn als einen Leib- und Magenphilosophen bezeichnen. Einst las ich die Safranski-Biografie über das Leben Martin Heideggers und neulich gerade sah ich einen Film über Friedrich Nietzsche und seine durchtriebene Nazischwester auf Arte. Viele Philosophen, die mir etwas sagen, deuten in gewisser Weise auf eine „Eigentlichkeit“ (ein Begriff, den längst nicht nur Heidegger für sich in Anspruch nehmen darf) hin, die in Verbindung steht mit kontemplativer Lebensweise und „Selbstfindung“. Wen wundert es, ist doch die Abstandnahme eine hervorragende Technik – man könnte fast von der Gnade sprechen, in der einem etwas zufällt: zufälligerweise, selten gewollt. Man kann es erahnen: das Reh in der Lichtung, the skinnerfree rabbit, weit weg von Psychopathen, malignen Narzissten oder liebestollen Goldmündern. Dort findet man Stille, Gewahrsein und Frieden, abseits auch von moralsaurer Frömmigkeit. Zurück zu Han: habe ich einen Termin, etwa beim Zahnarzt, nehme ich ein paar Zeilen von ihm mit, zur Sicherheit, falls da keine Lektüren liegen. Die Zeilen sind vorzugsweise vom Matthes & Seitz Verlag gebündelt, praktisch im Taschenformat, als da sind erschienen: Transzendenzgesellschaft, Agonie des Eros, Im Schwarm und andere. Aber auch der im Transcriptverlag erschienene Essay zur Kunst des Verweilens, betitelt Duft der Zeit, beinhaltet gedankliche Perlen. Ich schlage eine Seite auf, wie so oft zufällig, lese ein paar Zeilen, bei denen ich dann eine Zeitlang bleibe, ohne Eile, ohne Laptop, ohne ebook mit drohend sich leerendem Akku – nur Bleistiftstriche hier und dort zeugen von einer interessierten Offline-Gegenwart:
„Ein weiteres Problem hinsichtlich des Sterbens heute besteht in einer radikalen Vereinzelung und Atomisierung des Lebens, die dies noch endlicher werden lässt. Das Leben verliert immer mehr an Weite, die ihm Dauer verleihen würde. Es enthält in sich wenig Welt. Diese Atomisierung des Lebens macht es radikal sterblich. Es ist vor allem diese besondere Sterblichkeit, die eine allgemeine Unruhe und Hektik hervorruft. Beim flüchtigen Hinsehen mag diese Nervosität den Eindruck erwecken, alles beschleunige sich. Aber in Wirklichkeit handelt es sich nicht um eine wirkliche Beschleunigung des Lebens. Nur hektischer, unübersichtlicher und richtungsloser ist das Leben geworden.“
(Kapitel „Un-Zeit“, Seite 17)
Frankly confessed: time and again I enjoy reading from the author Byung-Chul Han – won´t hesitate to call him one of my favorite contemporary philosophers. Once I read the Heidegger-Biography from Rüdiger Safranski and recently I saw a film about Friedrich Nietzsche and his cunning Nazi-Sister on Arte TV. Almost all philosophers who tell me something in a way point out the term of Eigentlichkeit (not only Heidegger can claim it for himself) that is connected with a contemplative way of living and „self-realisation“. Taking distance for example is an excellent technique in reaching higher or more evaluated views – one could almost speak of grace. Things fall upon us more accidentally, less intended. Surprise, surprise! You might guess: the roe deer in a clearing, the rabbit´s escape from a skinner, beeing apart of all those psychopaths, malignant narcissists and lunatics of love. There you will find silence, awareness and peace, away from moral piety. Back to Han: if I have an appointment, for example at the dentist, I take a few lines of him with me, to be on the safe side in case there are no journal readings. Those books are handy in their pocket size, as there are: The Transparency Society, The Agony of Eros, In the Swarm – Digital Prospects and others. But also an essay on the art of lingering, titled The Scent of Time contains diagnostic pearls. I open a page by accident, as I often do, read a few lines, then stay for a while, without hurry, without laptop, without an ebook and the threat of a discharging battery – only some lonesome pencil strokes witness an interested offline-presence:
„Another problem today with regard to the dying is the radical isolation and atomization of life, which makes this even more finite. Life is losing more and more of its vastness, which would give it a lasting effect. It contains little world in itself. This atomization of life makes it radically mortal. It is above all this special mortality that causes a general agitation and hectic pace. At a glance, this nervousness may give the impression that everything is accelerating. But in reality it is not really a real acceleration of life. Life has only become more hectic, confusing and directionless.“
(from chapter: „Un-time“)