1
Es war in Münster, im Kunstmuseum, ich hatte einen ultraschweren Schinken von Edmund Husserl gelesen, und beschlossen, dass die Philosophie mich nur weiter bringt, wenn sie mit Lust betrieben wird. Da liefen auch zuviele Kantianer rum, dann lieber später, in Würzburg, ein paar durchgeknallte Bhagwans, und wohldosierte Analytikerinnen.
Zur Bekämpfung leichter Ungleichgewichte von „body & mind“ kamen die drei Gentlemen gerade richtig, Mitte der Siebziger Jahre – und als sie auf einer Empore den Raum betraten, brandete der Applaus auf. „Gateway“ war ein trefflicher Name für das Trio, das der guten alten Tante Powertrio tatsächlich neue Töne beibrachte. Nach Jimi Hendrix war die Messe noch nicht gelesen. Da waren auf alten Holzstühlen und geschrubbtem Boden viele Zuhörer versammelt, die seitdem gewiss ihre ECM-Plattensammlung stetig vergrössert haben. Eine versprengte Wahlverwandtschaft, und etliche auch schon tot.
Ganz gleich, welche Historie Abercrombie, Holland und DeJohnette mitbrachten (zwei hatten danken Miles D. und Charles L. schon Legendenstatus, und Abercrombie fabrizierte, rückblickend weiss man es, in jenem Jahrzehnt diverse Meilensteine, oder gestaltete sie mit, ich sage nur Timeless, ich sage nur Sargasso Sea, ich sage nur Gateway, ich sage nur Mountainscapes, ich sage nur Grazing Dreams, ich sage nur Deer Wan, ich sage nur Eventyr) – sie waren damals Underground, und sie prägten eine Sprache, a living thing.
John Abercrombie strebte nach Transparenz, und konnte dieses Spielideal, in nachfolgenden Jahrzehnten, mit einem besonderen lyrischen Kammerjazz realisieren. Meine letzte Lieblingsplatte, Class Trip. Time is a hunter. Thank you for the music, John!
2
Es war bewegend, gestern Abend, nach zwanzig Jahren, mein altes Portrait erneut zu hören, das anlässlich des Todes von John Abercrombie im Deutschlandfunk wiederholt wurde. (Sie können die ganze Sendung, incl. der einleitenden und abschliessenden Worte von Harald Rehmann, unter „comment 1“ nachhören.) Es kam mir gelegentlich so vor, als würde der sehr bescheidene, zugleich beredte Gitarrist einzelne meiner „Sternstunden“-Erinnerungen mit seiner Sicht der Dinge pulverisieren – sehr interessant zudem die Passagen, in denen er von der Zusammenarbeit mit Manfred Eicher erzählt – da wird einmal mehr deutlich, dass die Siebziger eine grosse Zeit des Experimentierens waren, in denen auch Zweifel und ständiges Hinterfragen zum kreativen Prozess gehören konnten. Es gab keine fertigen Rezepturen für „sound and vision“.
Die Alben, die John Abercrombie als „Sammlerstücke“ erwähnt, sind schon längere Zeit wieder erhältlich, so etwa „The First Quartet“, drei CD’s in einer weissen Box, mit dem eingangs gespielten Stück „Madagascar“, sowie „Five Years Later“, sein zweites Duo-Album mit Ralph Towner. Letzteres ist sicher auch ein „Klassiker“, und es sollte mich wundern, hätten wir es in der Jazzredaktion nicht schon in der Reihe „Milestones“ gewürdigt.