Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2017 19 Aug

Experimente beim Zuhören

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 2 Comments

Es war nach Mitternacht, ich hatte die Uhrzeit dezent im Blick. Tanja räkelte sich auf einem Sessel, sie sagte, sie würde gern noch bleiben, sei aber seit 18 stunden wach und müsse leider aufbrechen. Ich sagte, ich würde die ganze Nacht wach sein und eine Musiksendung hören. Vielleicht würde es sich für sie seltsam anhören, aber ich würde die Sendung auf Audiokassetten aufnehmen, eine Technik, mit der sie wahrscheinlich nie etwas zu tun gehabt hätte. Doch, sagte sie, Rec und Play. Die nachfolgende Generation, diejenigen, die 5 Jahre jünger wären als sie, könnten keinen Kassettenrecorder mehr bedienen. „Warum nimmst du die Sendung auf, wenn du sie doch hörst?“ fragte Tanja. Die Frage verblüffte mich. Ich beschriftete drei 90er Kassetten. Stories, Feldaufnahmen. Was macht man als Zuhörerin einer Livesendung nachts zwischen 1 Uhr und 6 Uhr? Ich war überhaupt nicht müde, vielleicht eine Fernwirkung des Eistees mit Mate, ich holte aus dem Kühlschrank ein Elderflower Tonic Water, knipste zwei Lichterketten an, eine mit bunten Stoffbällen, die mir B aus Kambodscha mitgebracht hatte, und eine puristische. Alltagsmusik aus dem Niemandsland. Schon in der ersten Stunde, in der eine Überraschung der anderen folgt, schaffte Michael es, mindestens fünf Mal den Namen seines all times favourite Brian Eno zu erwähnen. Die Vierecke der Fenster sind unbeleuchtet. Kein Hund bellt, kein Baby schreit. Ich überlege, bis zu welcher Lautstärke ich gehen kann, ich setze den Kopfhörer auf, Liegestühle, many many years, die Namen auf Steinen mit Zahnbürsten reinigen. Die Sternzeit, die Nachrichten und Staumeldungen schneide ich schon bei der Aufnahme raus. Das Doppelkassettentape habe ich seit 1994, es ist eine der besten Anschaffungen in meinem Leben. Kurz nach drei, mitten in der zweiten Audiokassette, beginnt etwas zu quietschen. Ich hole die Kassette raus. Bandsalat. Ich bleibe cool, die Kassette ist neu, ich lege eine andere ein, ebenfalls Quietschen, ebenfalls Bandsalat. Vielleicht liegt´s an der Art der Kassette, ich hole eine andere, alte, bewährte. Dasselbe. Ich beginne, nervös zu werden. Denke an Tanja und denke darüber nach, ob ich die Sendung eigentlich anders hören würde, wenn ich weiß, dass ich sie nur einmal höre und dass es keine Playlist gibt. Vielleicht ist es eine Übung im Loslassen, es ist lächerlich, etwas festhalten zu wollen. Ich mache mir ein paar Notizen, notiere Namen, schließe einen Moment die Augen, denke an den Deutschlandfunk-Radiorecorder, den ich vor längerer Zeit installiert, aber kaum verwendet habe, ich schalte ihn an, das update zieht sich Ewigkeiten hin. Von wegen Ok Computer. Ich mag sowieso keine digitalen Aufnahmen, sie machen mich nervös. The medium is the message. Ich will nicht online sein, wenn ich Musik höre. Jedenfalls will ich es nicht grundsätzlich. Und ich will auch nicht, dass das Notebook an ist, wenn ich Musik höre, jedenfalls nicht immer. Mir fällt ein, dass ich im Keller noch einen relativ neuen, ganz passablen Radiorecorder habe, ziehe Schuhe an und renne los. „Moshi“ läuft weiter ohne mich. Der Deutschlandfunk-Radiorecorder ist immer noch mit seinem update beschäftigt. Inzwischen ist es vier Uhr sieben. Ich bin von vier Lautsprechern umgeben. Zwei meiner „großen“ Musikanlage, und zwei des Radiorecorders aus dem Keller. Ich bin umgeben von „Pyramid of Skulls“ und sitze wie ein Teenager zwischen den Boxen, unfähig, irgend etwas anderes zu tun als dabei zu sein.

Tipp fürs Shelfie: „Pyramid of Skulls“ (wahlweise als DoppelCD, Doppel-LP oder und Kassettenaufnahme) passen zu Wim Wenders und Juliano Ribeiro Salgados Portrait des Fotografen Sabastiao Salgado „Das Salz der Erde“ und zu Benjamin Lee Whorfs Klassiker der Metalinguistik „Sprache, Denken, Wirklichkeit“.

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2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Sehr schöne Experimente!

    Aber es ging in den Stunden ja auch, speziell in Stunde Vier, um die Unzuverlässigkeit von Wahrnehmungen … also:

    Der Name Eno taucht in den fünf Stunden nur drei mal auf. Wie der Name von Eicher. Zweimal in der ersten Stunde, einmal in der zweiten, und nur kurz, ohne Drumherum …

    Hier der „digitale Audio Transcriber“:

    Erste Stunde

    „Sharon O’Conell nennt in ihrer Besprechung in UNCUT als Berührungspunkte, das ist mal eine Kombination, Coltrane, Eno und Metheny.“ Ungesagt: ich würde eher Shorter, Hassell und Pastorius nennen!

    „Nach Björn Meyers Bassexkursionen eine EP des Labels mit dem schönen Namen Headphone Dust, THE SALT GARDEN II, federführend bei der Formation „Fovea Hex“ für sanfte Erhabenheiten ist die irische Sängerin Clodagh Simons, ein gewisser Herr Eno stand bei dem Song ALL THOSE SIGNS auch vor dem Mikrofon.“

    Zweite Stunde

    „… und stets fand er Spielpartner, die für Reibung, zuweilen auch Vertiefungen, sorgten, Dieter Moebius, Conny Planck, Brian Eno, Michael Rother, die Liste ist lang und endet sicher noch nicht mit Arnold Kasar, der hier auf EINFLUSS der kreative Herausforderer ist.“

    In der nächsten Sendung taucht er ca. fünfzehn mal auf :):)

    Nachklang: Ursprünglich war die Idee, ihn gar nicht zu erwähnen. Aber dann bekam ich ein Päckchen aus England, wo er auf einem Song so wundervoll singt, einer knappe Minute immerhin. Das Zitat von Sharon zu der Platte von Joseph Shabason war eine witzige Kombination von Namen, es passte als Pointiertes. Und zeigt ja auch, wie manche Musik ausfächert. Und dann möchte ich immer was anderes sagen, wenn ich zum Beispiel Roedelius zum Thema habe, zum zigsten Mal in 25 Jahren, und da war jetzt mal „die Liste der Kollaborateure“ fällig!

  2. Martina Weber:

    Meine Wahrnehmung ist ja auch unzuverlässig ;)

    Glücklicherweise habe ich im Keller noch einen Doppelkassettenrecorder, den jemand aussortiert hat. Ich werde mal versuchen, ihn in meine Anlage zu integrieren.


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