Einen unbestrittenenen Verfechter der Jazzfotografie hatten wir hier schon, der in nicht zu zähmender Hartnäckigkeit Saxofonisten, Pianisten, Schlagwerker etc. in allen Posen der Exstase und des Innehaltens ablichtete. Auch mitunter in recht verdrehten Körperhaltungen, die einem die Qualität moderner Chiropraktik in Erinnerung rief. Das kam nicht ganz ran an die stilistische Brillianz der Klassiker des Genres, half aber, die Wertigkeit der eigenen Gedanken auch visuell zu dokumentieren, und eine gewisse Allgegenwärtigkeit. Ein Bild erzählt mehr als tausend Worte, diesen alten Spruch schien der knipsende Holländer allerdings widerlegen zu wollen, denn alle Geheimnisse waren aus den Bildern verschwunden, was blieb, falls es nicht ohnehin drunterstand, war munteres Musikerraten. Seither suche ich nach ähnlichen Serienmotiven, die allerdings, gegenüber dem abgegrasten Feld der Jazzfotografie mit ihren ewig wiederkehrenden Mustern, purer Erinnerungswertigkeit, etwas Geheimnisvolles für sich behalten, einen atmosphärischen Mehrwert. Fündig geworden bin ich beim Topos Strandkorb. Genosse Henry kann in solchen Aussichtsposten der Freizeitgesellschaft sicher ein gutes Buch lesen. „Der Butt“, von Grass. Allerdings kommen mir keine Menschen in die Körbe hinein. So bleibt alles ein wenig surreal, und ein leichtes Schwanken des Wirklichkeitssinnes macht offen für neue Erfahrungen, an scheinbar trivialsten Orten. Jedes Idyll ist trügerisch, und so kann heute jeder Strandkorbbewohner, zwischen Ostfriesland und Blackpool, folgende Zeilen in der Zeitung seines Vertauens lesen: “This situation is beginning to develop into this generation’s Cuban missile crisis moment,” ING’s chief Asia economist Robert Carnell said of the Trump-Kim spat in a research note. „While the US president insists on ramping up the war of words, there is a decreasing chance of any diplomatic solution.“
2017 11 Aug
Die Unwirklichkeit leerer Strandkörbe
von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 2 Comments
2 Comments
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Lajla:
Der fliegende Kameramann hatte stets auch eine scharfe Feder.
Seine Texte waren geritzt und voller Informationen.
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Michael Engelbrecht:
Ein Supertyp. Hochintelligent, sehr belesen.
Aber, genauso wie ich, nur eine Marginalie im doppelten Boden des Textes.