Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2017 13 Jul

Flussgeschichten

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | 3 Comments

I flow, I flow,

In giving and taking I grow

I still flow

(Rainis 1865-1929)

 

Die Düna entspringt nahe der Wolgaquellen, sie wechselt in ihrem langen Verlauf ihren Namen mit Balaleikaklang: Daugava heisst sie in Lettland, Dvina in Russland, Západnaya Dvina in Belarus. Ihren Hafen findet sie in der Rigaer Bucht. Sie gilt als Schicksalsfluss der Letten: „Water of life and the water of death, met in the river Daugava …“ (Rainis). Ich stehe an ihrem Ufer und denke an meine Berliner Zeit in den 70ern. David Bowie, Iggy Pop waren mit ihr befreundet, Nina Hagen verkehrte mit ihr, mit Maija Tabaka. Ich treffe diese lettische Malerin erst hier in Riga. Sie verbrachte in „meiner Berliner Zeit“ mit DAAD Geldern eine turbulente Zeit in West Berlin. Wild wie Wolf Vostell, mit dem sie befreundet war, zog sie durch die polizeistundenfreie Nächte. Wie ich vom Nolli Markt zum sandigen „Dschungel“. Jetzt treffe ich die soviet countess wieder und kann ihre großartigen Werke in Ruhe betrachten.

 
 


 
 

 
 

Der russische Philosoph Boris Groys hat einmal gemeint, die russische Kunst sei unübertroffen,  selbst  Paris könne ihr nicht standhalten. Nun, er denkt die Kunst in russisch historischen Loops. Ich muss gestehen, dass mich die Kunst der Peter Paulus Kathedrale  in St. Petersburg sehr beeindruckt hat.  Die Informationen über die Herkunft des Marmors aus Afghanistan machten mich froh, es gab also mal Friedenszeiten. Entlang der Newa gibt es sicherlich große Kunst. Die weissen Nächte sind laut und lebendig wie die Berliner. Ich stehe an der Kleinen Newa. Auf der anderen Seite malt die untergehende Sonne ein faszinierendes städtisches Alpenglühen. Ich denke zurück an meine schöne Kindheit, an meine nach Neugierde drängende Jugend. Den staunenden Blicken meines Bruders.

 

All the rush and racing

and flowing forever moving

The spirit goes through

flame without disappearing

It cannot be gone. It is what is behind the rushing and urging.

(Aspazija 1865-1943)

 

Aspazija war die Ehefrau von Rainis. Das lettische Dichterpaar übersetzte zusammen Goethes Faust. Sie lebten sehr bescheiden in der Nähe von Riga. Viele große Geister brauchten nicht mehr als ein Bett, einen Tisch, Feder und Schreibmaschine. Ich stehe am River Lielupe. Ich denke an meine Beziehungen, heute und früher. Meine große Liebe. Warum singen die alten Musiker immernoch von Liebe, nur wenige vom Tod. Rainis forderte die Dichter auf, philosophischer zu werden, die grossen Themen seien die signifikante Kraft im Leben. Hier mein Lieblingsgedicht von ihm:

 

Es un tu

From the highest mountain a river falls

And the chasm welcomes it:“Here am I!“

Height and depth:

Me and you.

 

A black, raging thunder rolled over,

And a bright rainbow came next,

Power brings beauty:

You and I.

 

A vine twines ‚round a colum

Like wonder around the truth,

Time embraces eternity :

Me and you.

 

A cold, denying, unbending „no“

And a soul full of faith,

Two different worlds:

You and I.

 

But the desert forever longs for the sea

And the sea forever looks for the shore.

Longing without any hope:

You and I.

 

When the dark night becomes sunrise,

The circle of being will be complete,

The opposites will become one:

Me and you.

 

When a scarlet evening has had its say

Over the mounts of eternity dawns a pale day,

The end meets the beginning:

Me and you.

 

This entry was posted on Donnerstag, 13. Juli 2017 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

3 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Was für eine Reise! Leonard Cohen hat oft vom Tod gesungen, mitunter auch, wenn er von der Liebe gesungen hat. Lorca war ihm nah, das passte.

    P.S. Offensichtlich fehlen mir ein paar wilde Berliner Nächte, obwohl ich spät in den 70ern schon da war, viel zu kurz. Bowie war schon weg.

  2. Martina Weber:

    Das wirkt sehr intensiv, Lajla.

    Was die Lyrik und die Philosophie angeht, das ist nicht so einfach. Die großen Themen sind immer da, es kommt darauf an, eine eigene Stimme dafür zu finden und die Themen immer wieder neu anzugehen, anders. Es gibt nicht „die“ Philosophie. Und Poesie hat ihre eigene Geschichte, ihre Eigenwilligkeiten, sie muss auch zeitgemäß aufbereitet sein. Allein schon die Frage, wie ein Gedicht mit einem Bild umgehen kann, ist komplex.

    Ich wünsche dir weiterhin eine gute Reise.

  3. Lajla:

    Mich hat es sehr gefreut, wie aufmerksam Ray Davies in „Poetry“ die neoliberale Welt schildert und fragt:“Where is poetry?“ Dichten sollte dem Denken nahe sein.


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