Faust und Mephisto treten auf.
Zwei Platten drehen sich seit Tagen auf dem Teller, sie ziehen mich an als wär´s ein Sog. Abwasch machen, ins Labor? Erstmal einen Pottersong dazwischenschieben. Schnell werden es dann zwei, drei, vier – hintendran noch einen Taborntitel, dann raffe ich mich endlich auf. Schnell kann es zu Verwechselungen kommen: das Stück „Sonic Anomaly“ zum Beispiel – is it Craig or Chris now? Tageslichtgeister schwirren umher. The Dreamer is the Dream.
Redet hier schon einer wirr – prokrastiniert und dilletiert im Klimakterium? Und immer diese abgedroschenen Anglizismen. Nun aber Klartext! Denn wir wissen doch: der vorgebliche Plattenspieler, auf dem sich dieser Potter drehen soll, ist in Wirklichkeit ein ganz banaler Ipod. Hoch gestapelt, tief gefallen, ausgeträumt, Herr Felix Krull!
So what? Der Träumer bleibt ein Traum. Chris Potters Werk ist – um es klartextlich zu sagen – für mich das Beste, was ich bislang von dem Ausnahmesaxofonisten hörte. Es folgen die Daylight Ghosts des Pianisten Craig Taborn, sequenziert mit Silent Light als sanftem Ausklang. Der Albumtitel des Gitarristen Dominic Miller könnte auch Hinweis sein auf eines Ipodhörers liebste Stunde, meines Zeichens twilight zone genannt: die Dämmerung. Denn diese Stunde hat Magie, sie ist ein Übergang.
Übergang?
Ultrahang!
Was denn nun?
Taborn und Potter spielen ja zuweilen auch zusammen.
Komm er mir nicht mit „Wahlverwandtschaft“!
Des Pianisten Solo auf dem Label ECM war ja schon einzigartig wie dessen ganze Klangauffassung: mal sphärisch verspielt, dann rockig vertrackt. Und angenehm kühl.
Oh Gott – Strawinski, Messiaen, Berg und Bartok?
Zumindest grüsst die Klassik – doch sei beruhigt: fernab von allem Kirchentaggedöns. Das Potter-Album begeistert mich besonders, ich zähl´s zu jener Art Musik, die ich nach eigenem Gutdünken „Erlebnisjazz“ nun nenne. Dies Wort spannt jenen Bogen auch zu frühester Hörerfahrung – in guten, alten Radiotagen.
Die Moderatorin Anne Rottenberger war es, sie legte mir via Radio Bremen schon früh den Schlagzeuger Paul Motian ans Herz und sprach den Namen dabei, wie wenige nur, auch richtig aus: Mozi-en, nicht Mouschn – selbst für Mozartfeinde leicht zu merken. Ich sah sie oft bei Nachbarn zu Besuch, sie fuhr mit ihrer roten Ente vor.
Sie anzusprechen traute ich mich aber nicht, denn sie erschien mir wie ein Engel. Sonderbar an ihren Sendungen war die Zusammenstellung. Traditioneller Jazz aus der Historie und dann die modernen Formen: Robert Wyatt, Soft Machine, Mahavishnu – wage Erinnerungen. Airto Moreira und Flora Purims „Open Your Eyes, You Can Fly“. So wurde also früh das Fundament gelegt für den „Erlebnisjazz“ – und stets aufs Neue erscheinen in dem Gebäude ja ausserordentliche Platten, äh, Potter, Ipods.
Bleib er ganz ruhig, der Wortemacher! Was liegt an Worten, was liegt an dir?