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on life, music etc beyond mainstream

2017 1 Mai

Another approach to the Musical Universe

von: Uli Koch Filed under: Blog | TB | Tags:  | 7 Comments

Warum hören wir Musik? Warum haben wir unterschiedliche Präferenzen beim Musikhören? Wozu hören wir Musik und wobei? Sagen unsere Vorlieben etwas über unsere Persönlichkeitsstruktur aus oder darüber, wie wir wahrscheinlich mit unseren Mitmenschen umgehen? Was verbindet uns mit der Musik, die wir lieben? Fragen über Fragen. Aber wir würden in einer anderen Welt leben, wenn es nicht jemanden gäbe, der ihnen nachgeht. Und dabei keineswegs uninteressante Ergebnisse findet. So z.B. die University of Cambridge, die mit The Musical Universe eine Seite zur musikpsychologischen Forschung bereitstellt an der jeder teilnehmen kann und zudem gleich danach sein persönliches Testergebnis zu einer der obigen Fragen und noch einigem mehr mitgeteilt bekommt.

Einen etwas anderen Weg geht das Max Planck-Institut (MPI) für empirische Ästhetik in Frankfurt mit seiner Abteilung Musik. Hier werden die Fragen etwas weiter gestellt und versucht den ästhetischen, emotionalen und soziologischen Hintergrund zu erfassen: Worin besteht die Lust am Unvorhersehbaren? Unter welchen Bedingungen erleben wir Musik als schön? Wie kommt es beim Musikhören zu einer völligen Absorption und was genau geht da vor sich? Wie heterogen kann Musikgeschmack sein und wer bevorzugt was? Was sind musikalische Schlüsselerlebnisse und welchen Einfluss haben sie auf die Entwicklung des Musikgeschmacks? Und gibt es Diskrepanzen zwischen geäußertem Musikgeschmack und tatsächlichem Hörverhalten?

Ein lesenswertes und nicht ganz unamüsantes Ergebnis, das ganz nebenbei die Eingangsfrage teilweise beantwortet ist beispielsweise die Arbeit von Paul Elvers: Songs for the Ego: Theorizing Musical Self-Enhancement. Im Abstract sagt er:
 

I claim that listening to music serves as a resource for actively manipulating affective states so that a positive self-view is maintained and a sense of optimism is provided. Self- enhancement—the process by which individuals modify their self-worth and gain self-esteem—typically takes place in social interactions. I argue that experiencing music may serve as a unique “esthetic surrogate” for interaction, which equally enables self- enhancement.

 
 
 

 
 
 

Life and music etc beyond mainstream: betreiben wir hier also mit einigem Spaß ein nebenwirkungsarmes Self-Enhancement indem wir Neuentdeckungen, Liebgewonnenes, Liegengebliebenes, personal Lifers, Eigenwilliges und Wiederentdecktes auf Resonanzen oder Schnittmengen untersuchen und uns über nette, zustimmende oder weiterführende Kommentare freuen? Wahrscheinlich schon, denn wie schon Hermann Hesse treffend bemerkte: Eigensinn macht Spaß! Aber reiner Hedonismus ist sicherlich nicht alles. Das Trittbrettfahren auf den musikalischen Erfahrungen und den poetischen Skizzen des Nichtalltäglichen der anderen Autoren sind oft wunderbare Reisen hinter die Spiegel, die vielleicht verhindern, dass unsere Phantasiekräfte sich in den monochromen Netzen des täglichen Stumpfsinns verfangen. Zeitreisen und Neulandfahrten scheinen dazu bestens geeignet.

Aber eines gerät dabei bei all der Freude (oder gerade deswegen) mitunter ganz an den Rand: Disliked Music – das Ablehnen bestimmter Musik oder bestimmter Musikstile – ein vernachlässigtes Phämomen. Auch hier ist eine Forschergruppe des MPI daran die psychologischen und soziologischen Zusammenhänge und Funktionen der Abneigung gegen einzelne Musikstücke oder -stile zu erforschen, was mich neugierig macht und mir mindestens so interessant wie die Affinitäten erscheint …

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7 Comments

  1. M.E.:

    „I claim that listening to music serves as a resource for actively manipulating affective states so that the concept of self becomes a malleable, osmotic, fragile „thing“ / „no-thing“ though a sense of good vibrations is constantly provided. Even within quite dark stuff. Self-extending, self-dissolution: this all can be part of deep listening, and I’m not a buddhist, ladies and gentlemen. I like to say that music is a survival kit, a tool of coping, a natural drug to transcend limitations of any kind, a constant field of wonder, discovery, renewal. Reducing it to handling self-esteem issues narrows the focus way too much.“ (Michael Engelbrecht)

  2. Lajla:

    Uli, lieber möchte ich den Vortrag von John Cage „Über das Nichts“ hören als noch einmal in der Musik Ästhetik von Hegel nachschlagen. Musik ist wie die Liebe jenseits von Vernunft, sie ist göttlich wie die Seele oder der Körper. Sie dringt wie Strom in uns oder verweht in der Luft.

    Warum eine ganze Generation im Summer of love einer bestimmten Musik erlag, ist einfach nur phänomenal wunderbar und macht Fragen nach dem Warum so mühselig und ernüchternd. Music is your only friend, singt Jim Morrison, so ist es, nicht einmal auf die Liebe ist Verlass :). Musik ist Grundnahrung für alle Lebenslagen.

    Kürzlich habe ich ziemlich heftig mit Ablehnung auf deine japanische Musikvorstellung reagiert. Rosato dagegen positiv. Ich habe die vokalen Damen mit Kamikazekriegern im 2. Weltkrieg assoziiert. Es sind also auch die Assoziationen, die unser Mysikempfinden beeinflussen, um eine kleine Anwort auf deine großen Fragen zu geben.

  3. Michael Engelbrecht:

    Ich sehe es ähnlich wie Lajla, nur ist meine Sprache agnostischer :) – here is some common ground (da behaupten nur Sozialempiriker mit einer Überdosis Apfelschorle, da würde Selbstwert generiert …)

    – Sakamotos neues Album
    – John Coltrane: Live in Japan
    – das Stück von Toru Takemitsu, das Sean Duffy im Radio hört, in Gun Street Girl
    – Penguin Cafe Orchestra: Music for a found harmonium (the harmonium was found in Kyoto)
    – Keith Jarrett: Kyoto 1 (aus Sun Bear Concerts)
    – die Japanerin, die ich in den nächsten Klanghorizonten spiele

    Zudem hat Uli nur interessante Fragen und Modelle in den Raum gestellt. Ein paar lose Fäden verknüpft. Und das Feld der letzten Einträge hier aufs feinste erweitert: das Empirische, das Fantastische etc.

    ((Mein neues Feld als Fussnotenfetischist gefällt mit, so stimmt erstmal die Balance zu meinen anderen, neuen Tätigkeitsfeldern))

  4. Rosato:

     
    At least for Lajla
     
    Lecture On Nothing


    aus dem Amerikanischen von Ernst Jandl
    simultan mit Winter Music

    Südfunk 2 Stuttgart (1982)
    Empfang eines schwachen Signals in Nordbayern
    simultan mit Störgeräuschen – John hat sicher nichts dagegen einzuwenden
     

     
     

  5. Lajla:

    Großartig, es sei für ALLE. Wenn du in Münster dabei wärest, würde ich die Milch ausschütten und das leere Glas hinstellen. Sollte Uli überraschenderweise mit am Tisch sitzen, dann stelle ich es auf, er wird es füllen.

  6. Rosato:

     
    Lieber Uli, das ist ein anregender Beitrag.
     
     
    Fragen
     
    Warum hören wir Musik?

    Eine Frage, die ich mir nie gestellt habe
    Ich höre Musik, weil sie da ist

    Warum haben wir unterschiedliche Präferenzen beim Musikhören?

    In erster Linie deshalb, weil so viel Unterschiedliches zum Präferieren angeboten wird. Meine Altvorderen – vorwiegend Bauern und Handwerker – hatten im 19. Jahrhundert wenig zur Auswahl. Mir hat das Radio Fernhören ermöglicht.
     
     
    Fundstücke
     

    Wenn man The Musical Universe bereist, wird der Musical Taste des bereitwilligen Besuchers anhand von 25 kurzen Tonbeispielen zu ergründen versucht. Die Kollektion ist erbärmlich und wirkt wie ein Abbild von american-british-mainstream-musical-preferences. Das meiste von dem Zeug fände ich vermutlich in den Pop/Rock-Kisten noch existierender Schallplatten-Läden. Nur drei Mal Klassik (darunter immerhin ein Skrjabin), nur ein Mal Jazz (jedoch nicht vom Feinsten). Nach dieser Vorspeise wollte ich nicht mehr weiter machen.

    Die Forschungen des Max Planck-Institut (MPI) für empirische Ästhetik machen mich neugierig, habe die Beiträge aber noch nicht gelesen.
     
     
    Finally
     
    Reducing it to handling self-esteem issues narrows the focus way too much

    couldn’t express it better

  7. Uli Koch:

    Zunächst ist es meine Absicht einfach eine andere Perspektive einzubringen, was ich sicher nicht ohne ein Augenzwinkern was die (vorläufigen) Resultate angeht, tun wollte. Natürlich ist eine Selbstwertsteigerung durch Musikhören eine perspektivische Notgeburt wenn man sie reduktionistisch betrachtet und auch um Hegel’s Musikästhetik wird es eng. Umgekehrt betrachtet wird es viel interessanter, wenn man beim Musikhören mal den Fokus auf die Selbstwertsteigerung legt und sich dabei nicht so ernst nimmt…

    Dank für die Erinnerung an den kleinen Text von John Cage, der ja aus der Grundperspektive des Nichts die Möglichkeiten sich Musik anzunähern herauskomponiert und ganz in meinem Geiste konstatiert, dass wir ja beschließen könnten keine Diskussion abzuhalten. Deshalb waren auch die Fragen viel mehr rhetorischer Natur, denn es gibt ja da keine definitiven Antworten. Aber vielleicht Annäherungen, wie die Frage nach den unterschiedlichen Musikpräferenzen erahnen lässt. Vielleicht liegt es am Radio, dass wir die Wahl haben, was aber noch lange nicht die Frage beantwortet, warum wer was präferiert.

    Die Tonbeispiele auf The Musical Universe sind in der tat gruselig und ich habe mich auch gefragt, wer das ausgesucht hat. Das Ergebnis des Tests hingegen fand ich nicht uninteressant, da es erstaunlich differenziert ist und mir zumindest einige Aspekte meiner Hörgewohnheiten bewußt gemacht hat, mit denen ich sonst eher nicht hausieren gehe….

    Die MPI-Forschungen sind aus musikpsychologischer Sicht wirklich spannend. Habe da z.B. mal an einer Studie zu musikalischen Schlüsselerlebnissen mitgemacht, was mich sehr zum Rekapitulieren meiner musikalischen Sozialisation gebracht hat und damit viele wirklich schöne Erinnerungen hochgespült hat.

    Das alles sind Blickwinkel auf das Musikhören und damit eher zur Anregung als als Scheuklappen gedacht. Insbesondere sollen sie den unmittelbaren Erfahrungscharakter des Musikhörens als potenziell ekstatisches Erleben nicht in Frage stellen, sondern bestenfalls sekundär flankieren. Umso mehr freut es mich, dass ihr diese Impulse so weit gefächert aufgegriffen habt und auf das, was hier vielleicht noch folgen mag.


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