Im Mondlicht sahen die Zylinder der von Pferden gezogenen Tankwagen aus wie Bilder von Braque. In der Eingangsszene von „Paris – ein Fest fürs Leben“ beschreibt Hemingway, wie sich in dem schlecht geführten und schmutzigen Café des Amateurs in der Rue Moufftard Männer und Frauen versammelten und, während im Herbst der Wind den Regen gegen den großen grünen Autobus an der Endstation trieb, sich drinnen die Fensterscheiben beschlugen. Ich sah A zum ersten Mal und er las diesen Text in einer Runde vor, im englischen Original. A erklärte, was ihm am Text gefiel und nach einer Pause sagte er, leiser, ich wäre gern dabei gewesen. Umgekippte Rotweingläser. Let me be what I want to be. Ein Mantra. Mit Anfang 20 las ich die Mandarins von Paris von Simone de Beauvoir, sie diskutierten die Weltlage, ihre Beziehungen, Literatur, Existenzphilosophie, sie zerfetzen einander in ihren Debatten. Zeitungsartikel, die die Welt verändern wollten, Liebesbeziehungen und Eifersüchteleien und auf den winzigen runden Tischen im Café Flo standen Espressotassen, eine Flasche Perrier, ein weißer Martini on the rocks oder ein Aprikosencocktail. Ich schaltete das Licht an und der Film blieb schwarzweiß. Schachtel fünf, Spule vier. „Each night I am reluctant to close up because there may be some one who needs the café.“ Hemingways short story „A clean, well-lighted place“ entwirft eine stille, fesselnde Magie. Es war schon spät und längst dunkel, es war halb drei, schon fast wieder hell, und draußen, an der Straße, saß der letzte Gast, ein alter Mann, er saß unter den Bäumen, er war taub aber jetzt war es still und er spürte den Unterschied. Da war der junge, ungeduldige Kellner, der nach Hause wollte, und da war der ältere Kellner, der über die Bedeutung des Lichtes und der Musik für ein Café nachgedacht hatte, er wusste, wann es Zeit war sich zu unterhalten und wann nicht. Überlebenskunst in einer sterbenden Stadt. Ich kannte das Gefühl, in der Nacht aus dem Café rausgeworfen zu werden, weil die wenigen Bestellungen nicht mehr rentabel waren. Ich war ohne Ziel durch Nikosia gelaufen, die türkische Flagge setzte Zeichen hinter dem hohen Stacheldraht, die Sonne beleuchtete Graffitis an Häuserwänden, eine Lady mit finsterem Blick und Maschinengewehr. Original oder Fälschung? Das Laptop Café war ein riesiger, schattiger Raum, der Blick auf den Steinfußboden im Schachbrettmuster zeigte mir, dass hier alle Wände herausgerissen waren. Da standen Sofas, Klappstühle, Sessel, winzige Tische, und an den Wänden meterhohe Bücherregale hinter Lichterketten. Eine Nähmaschine irgendwo in der Ecke, ein altes Telefon mit Wählscheibe, Plakate mit Künstlerportraits auf der Empore neben einer Reihe altertümlicher Schreibtische mit hübschen drehbaren Lampen. Ich dachte darüber nach, wie diese kleine indische Schublade mein Leben verändern könnte. Der Kellner saß in einem Ohrensessel, las ein Buch. Selbstbedienung, nur das Nötigste war da: Tee, Kaffee, Wasser und Orangenkekse. Es war der Bookclub Workplace und hier saßen sie, still mit ihren Notebooks. In der Ecke drehte sich eine Schallplatte, es lief Father John Misty, Pure Comedy. Here are the other people´s places. This is the Laptop café. Hier gibt es WLAN, night and day and for free. You can be part of it.
2017 25 Apr
The café where I found the golden ticket
von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 2 Comments
2 Comments
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Michael Engelbrecht:
…. great story!
Sie haben The Other People Place, die Rahmengeschichte aus meiner ersten Zeitreise, gut verwebert, Frau Weber.
Sie sollten nun dem Rat von Herrn Koch folgen, und sich ASYNC von Ryuichi Sakamoto zulegen.
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Martina Weber:
Es ist so eine tolle Platte, leider erst Mitte April oder so auf zwei Schallplatten erhältlich, da müsste man ja mehrfach aufstehen und die Platte herumdrehen und es ist leichter, das gesamte Album online über Kopfhörer zu hören. Ja, der Text ist ein cut-up durch Räume und Zeiten und Lektüreerlebnisse geworden. Werde mal in ASYNC hineinhören, falls ich es schaffe, mich vom Laptop Café zu lösen :)