Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2017 14 Apr.

Monumentum pro Gesualdo

von: Uli Koch Filed under: Blog | TB | 4 Comments

So nannte Raffalt sein Essay über das Leben des Fürsten von Venosa, Carlo Gesualdo, der dessen getriebene und psychopathische Existenz, aber auch seine Genialität eindrucksvoll beschrieb. Vor ein paar Tagen erzählte ich, dass mich als Sohn einer Musiklehrerin Musik von Kindheit an begleitet hat. Aber das war, zum Leidwesen meiner Mutter, nicht unbedingt die klassische Musik, bis auf eine Ausnahme: die alte Musik der Renaissance. Eine Musik, die noch keine Temperierung und keinen klassischen Regelkanon kannte. Dowland, Lasso, Tallis, Byrd, Dufay, Ockeghem und viele mehr berührten mich bereits als Jugendlicher tief und ich liebte diese Musik, selbst wenn ich mit ihren oft sakralen Inhalten zeitlebens nicht viel anfangen konnte. Aber all das war nichts gegen die abgründige Faszination, die mich vor allem mit dem Spätwerk Carlo Gesualdo’s verbindet.

Dieser hochgebildete Sonderling, der zeitlebens nur wenige Freunde fand und in der Abgeschiedenheit seines Schlosses wie ein Getriebener arbeitete und komponierte und gegen die Qualen seines Gewissens ankämpfte und zugleich einer der wenigen Virtuosen im Spielen des Archicembalos, eines mehrmanualigen, mikrototal gestimmten Großcembalos gewesen sein soll. Kaum zu tragfähigen zwischenmenschlichen Beziehungen fähig war es kaum verwunderlich, dass seine erste, recht attraktive Frau bald anfing fremdzugehen, was sie mit dem Leben bezahlen sollte. Gesualdo blieb aber dank bester Beziehungen zum Klerus und als Großneffe des Papstes Pius IV und Neffe des Kardinals Borromeo von einer Strafe verschont und musste lediglich den Orten des Geschehens für ein Weilchen fernbleiben. Aber in ihm scheint diese Tat ein Leben lang weiter an seiner Seele gezehrt zu haben, was künstlerisch in selbst für die damalige Zeit extremsten Spannungsbögen und dissonantester Dramaturgie seinen Ausdruck fand, die in ihrer kompositorischen Gewagtheit erst Jahrhunderte später wieder aufgegriffen werden sollten. In seiner Affinität für Exzentriker widmete sich auch Werner Herzog in seiner ungewöhnlichen Dokumentation Gesualdo – Death for five Voices dieser düsteren Persönlichkeit.

 
 
 

 
 
 

Gesualdo entwickelte dabei einen so eigenen Stil, dass Watkins in seiner Monografie über ihn schreiben kann, dass er, gemessen an der Quantität späterer Musik, die nach ihm klinge, einer der einflusslosesten Komponisten der Geschichte gewesen sei. Aus postmoderner Perspektive ist aber vielleicht gerade die kreative Originalität ein Prädikat und weniger die Frage nach der prinzipiellen Kopierbarkeit. Weiter schreibt Watkins dass die Schmerzlichkeit seiner Musik nicht nur der kühnen Chromatik sondern auch den prägnanten und unverhofft eingesetzten Dissonanzen, gesäumt von dunklen Akkorden entspringe. Und schließlich entspreche das Gefühl aufgehobener Tonalität und totaler Ergebnislosigkeit dem Charakter des Unbegrenzten, die besonders in seinen Responsorienzyklen Ausdruck findet. Genau diese wurden vom Hilliard Ensemble 1991 eingespielt und begleiten mich seit Jahren in dieser Zeit, ohne je etwas von ihrem Reiz eingebüßt zu haben. Anders als die viel bekannteren späten Madrigale Gesualdos, die mir viel offensiver und schärfer erscheinen, verbreiten die Responsorien trotz allen musikalischen Wagemuts eine fast sakrale Ruhe. Ein Wohlgefühl für eine kurze Weile einmal in einer ganz anderen, geborgten, fremden Zeit leben zu dürfen, in der die Aufbruchstimmung der Spätrenaissance genauso spürbar wird, wie die simple Tatsache, dass damals die Erfahrung von Stille oft nur wenige Schritte vor der eigenen Haustüre beginnen konnte.

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4 Comments

  1. Hans-Dieter Klinger:

    Interessante Lektüre
    Kurz vor dem Frühstück höre ich zum ersten Mal von Raffalt. Dabei könnte er als gelegentlicher Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks mir durchaus begegnet sein, vielleicht ist er das auch. Und beim Lesen fällt mir ein, dass ich einst Musiklehrer gewesen bin. Reinhard Raffalt nimmt im Titel seines Essays Bezug auf eine Komposition Igor Stravinskys:
    Monumentum pro Gesualdo di Venosa ad CD annum
    3 madrigals composed by Gesualdo, recomposed for instruments

    Alte Musik
    Die Magie des Neuen, des noch nicht Gehörten erlebte ich oft im längst Vergangenen. Musik der Renaissance hatte vor Jahrzehnten kaum einen Platz im öffentlichen Konzertleben. Ich habe sie vor allem kennengelernt durch die eigene Praxis als Leiter und später als Sänger in der Kurrende der ESG München und beim Heinrich-Schütz-Ensemble.

    Klassischer Regelkanon
    Darunter kann ich mir nichts vorstellen. Die Musik der Renaissance kannte auch ihre Regeln und ihre Regelverstöße bzw. den Aufbruch zu neuen Ufern. Ein paar Häppchen zum Nachforschen:
    Claudio Monteverdi
    seconda pratica
    che l’oratione sia padrona dell’armonia e non serva
    Giovanni Artusi

    Zeit und Muße
    Für jene, die darüber verfügen und an Gesualdo Interesse hegen, stelle ich aus meinem Mitschnitt-Archiv die folgenden Sendungen zum Download zur Verfügung – nur für wenige Tage.

    Ulrich Schreiber über Gesualdo
    BR, vermutlich aus den 70er oder 80er Jahren

    DKULTUR Interpretationen, Gesualdo
    gesendet im September 2013

  2. Lajla:

    Auch Franco Battiato, den ich schon einmal hier vorgestellt habe, hat einen Song über Gesualdo eingespielt. Zumindest thematisiert er darin die etlichen Morde, die der Prinz aus Venosa verübt haben soll. Aber er singt: Cosa importa? (Gesualdo Da Venosa)

    Als Frau wird man da schnell zum „Tiger Girl“, empfehle auch den Männern den neuen Film von Rüdiger Sass.

  3. Uli Koch:

    Vielen Dank für die vielen Hinweise zu Gesualdo und auch die Mitschnitte. Bin schon gespannt darauf sie zu hören.

    In der kleinen Plattensammlung meiner Mutter fanden sich einige wunderbare Sachen aus der Renaissance: Lautenmusik aus Norditalien, Flötenstücke aus Flandern und die Lacrimae von John Dowland. Später hatte der Vater eines Freundes in einer Kapelle im Nachbarort über viele Jahre einen Konzertzyklus organisiert, die Tage alter Musik, wo einige Ensembles von weit her anreisten und oft Ungewöhnliches und zu dieser Zeit selten Aufgeführtes darboten.
    Und das was es da zu hören gab, hörte sich oft moderner an als die gängige Popmusik im Radio und folgte nicht immer so starren, vorhersehbaren Regeln.

    Natürlich unterlag auch die Musik der Renaissance einigen Regeln und innerhalb bestimmter Formen waren dies mal enger, mal weiter gefasst. Dennoch schienen mir die Strukturen nie so starr wie die später im Barock oder in der Klassik etablierten. Und Gesualdo war sicherlich einer derjenigen, die diese am konsequentesten und gewagtesten dehnte und mit ihnen experimentierte.

    Aus vergleichbaren Gründen war mir als Klavierschüler Scarlatti auch immer lieber als der mathematischere Bach. Diese Musik, die nicht schon in den ersten Takten offenbarte, wie sie enden würde, diejenige, die nicht im ersten Hören erschlossen werden konnte, war mir schon immer die liebere. Vielleicht auch, weil da oft eine Spur über die Gebundenheit in einer Epoche hinausragte und auf das verwies, was Raffelt Musica eterna nannte.

  4. Hans-Dieter Klinger:

    Vielen Dank Uli für den Anreiz, den ich erhalten habe. Ich habe mir schon in den 70er Jahren die erste Gesamtaufnahme der Madrigale Gesualdos mit dem Quintetto Vocale Italiano besorgt. Die Aufnahme ist aus dem Jahr 1965, aus einer Zeit also, da die Historisch Informierte Aufführungspraxis noch nicht einmal in den Kinderschuhen steckte. Musiker wie Ton Koopman, Gustav Leonhardt und Nikolaus Harnoncourt sind die frühen Pioniere von den 70er Jahren an. Die vibratoreiche Singweise des Quintetto Vocale Italiano hat mir überhaupt nicht gefallen, sodass ich die Gesualdo-Madrigale fast nie mehr gehört habe. Es gibt nunmehr Ensembles, die zum Dahinschmelzen schön singen: The Hilliard Ensemble, The Consort Of Musicke, La Compagnia del Madrigale, Delitiæ Musicæ (ein oft manieriert gestaltendes Ensemble. Von ihnen stammt die derzeit einzige erhältliche Gesamtaufnahme der Madrigale Gesualdos).
     

    Die Rundfunksendung von Ulrich Schreiber ist hartes Brot, man könnte sich wie ein Gasthörer eines musikwissenschaftlichen Seminars fühlen. Es ist aber auch ein Dokument dafür, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Bildungsauftrag radikal Ernst nahm. Die Sendung von DKULTUR ist attraktiver. Gast im Studio ist der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher, eine urige Persönlichkeit, dessen Diskografie nur Komponisten des 20./21. Jahrhunderts kennt (u.a. John Cage, Complete Piano Works). Kenntnisreich, oft schnodderig kommentiert er Gesualdo und dessen Musik. Sein rudimentärer sächsischer Tonfall hat für mich Charme. Den zweiten Teil der Sendung dominieren kompositorische Reflexionen der Madrigale Gesualdos. Zu Beginn wird Stravinskys Monumentum pro Gesualdo sehr ausführlich beleuchtet.

    Oft werden die Madrigal-Texte in Deutsch vorgetragen. Die Sujets …
    Mir scheint, es gibt fast nur EIN Sujet: pain of love. Ich glaube nicht, dass das Ausdruck des persönlichen Empfindens und Schicksals des Dichters und/oder des Komponisten ist, obwohl das bei Gesualdo nicht von der Hand zu weisen ist. Ich glaube nämlich genauso wenig, dass alle Krimi-Autoren psychopathische Mörder, von Lebenskrisen geplagte Kommissare und Mordopfer sind.

    Zum Eintauchen in Madrigal-Poesie:

    Madrigali a 5 voci, libro quinto (Carlo Gesualdo)
    Il quarto libro de madrigali a cinque voci (Claudio Monteverdi)

    In Monteverdis 4. Madrigalbuch ist auch jenes, das ich wählen würde, dürfte ich nur ein einziges Madrigal in den Himmel oder die Hölle mitnehmen, am besten gesungen vom Consort Of Musicke.

    Ohimè, se tanto amate di sentir dir „Ohimè“,
    deh perché fate chi dice „Ohimè“ morire?
    S’io moro un sol potrete
    languido e doloroso „Ohimè“ sentire.
    Ma se, cor mio, volete
    che vita habb’ia da voi, e voi da me,
    avrete mill‘ e mille dolci „Ohimè“.

    Ach, wenn Ihr so gerne mich „Ach!“ rufen hört,
    warum dann wollt Ihr den, der „Ach!“ ruft, töten?
    Wenn ich sterbe, werdet Ihr nur ein einziges
    klagendes, schmerzvolles „Ach!“ hören.
    Doch wenn Ihr wollt, Geliebte,
    dass ich durch Euch lebe und Ihr durch mich,
    dann hört ein tausendfaches süßes „Ach!“


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