Man hat ja in diesen Zeiten auferstandener faschistischer Archetypen viel auszuhalten an Tagesschaubildern, einschlägigen Talkshows und anschließenden aufgeregten Diskussionen vor dem Fernseher. Sogar die Holländer bekamen den Nazi-Vorwurf angehängt, obwohl sie eigentlich Opfer und Gegner der Nazis waren. So nahm ich es als glücklich spät Geborener auch stellvertretend hin, wenn einem in den Siebzigern trotz Rudi Carrell in Amsterdam irgendwas mit Nazi hinterher gerufen wurde. Den Schweizern der 80er Jahre sah ich das nicht nach; ich war sehr irritiert, ausgerechnet von 2 jugendbewegten Züricher Punks als Deutscher und Nazi beschimpft zu werden. Mein Kriegsverbrechen: ich hatte keine Zigaretten dabei. Überhaupt war ich bei diesem Zürichaufenthalt mehr und mehr Mark Twains Meinung, die Schweizer seien ein kleines zänkisches Bergvolk. Unvergessen, wie mich der Führer eines öffentlichen Linienbootes auf einer einsamen Insel im Zürichsee aussetzte, nur weil ich darauf bestanden hatte, eine am Ufer erstandene Schüblig-Bratwurst an Bord in Ruhe aufzuessen statt sie in meine Hosentasche zu schieben. Wer ist hier Nazi, wer Opfer, wer Antifa? Eine Pegida-Demo kann ich auch bei ausgeschaltetem Ton von einer Kundgebung arbeitsloser spanischer Jugendlicher unterscheiden. Fußballfans machen mir keine Angst; als aber einem 12-Jährigen, der zu Besuch in Stuttgart weilt, wegen seines falschen Schals „Dich zünd’ ich an!“ hinterhergeschrien wird, fällt mir Wilhelm Reichs Buch „Die Massenpsychologie deś Faschismus“ ein. Die Masse macht Angst; die Masse gibt Geborgenheit. Sie macht Angst, weil sie Geborgenheit gibt, völlig unabhängig von den Inhalten. Ob ich bei Helene Fischer auf die 1 klatsche oder bei den Bots (grüne Landsleute von Heintje) auf die 2 aufspringe und in lustigem Dialekt „Upstan!“ gröle, bedeutet beides die Aufgabe der eigene Persönlichkeit. C.G. Jung, wohnhaft am o.g. Zürichsee, war von der Masse fasziniert, wie Luis Trenker oder Leni Riefenstahl. Und an dieser Stelle der Diskussion bringe ich stets Alphonse Mouzon ein. Das verwundert, aber ich kann mich auf Joachim Ernst Berendt berufen, und damals waren Päpste noch unfehlbar. Nur Freund Dr. Music widersprach. Das könne nie und nimmer sein, dass Berendt diesen sensiblen, seine Burg aus Schlagwerk so individuell bedienenden Musiker des Faschismus’ bezichtigt habe. Ich bin durch Dr. Music sonst leicht zu verunsichern, besonders wenn er sein Tablet aus der Jackentasche zieht. Aber diesmal war ich mit dem Original-Buch „Ein Fenster aus Jazz“ schneller: auf Seite 272 findet man ohne Angaben zur Erstveröffentlichung den Artikel „Die neue Faschistoidität in Rock, Jazz und überall“. Überall – das ist da, wo sich das Schöne, Starke, Gesunde, Mächtige über das Andere erhebt und dieses zu vernichten trachtet. Dies aber Musikern wie Jan Garbarek, John McLaughlin oderr Keith Jarrett zu unterstellen, nur weil sie „schön“ spielen, ist nicht angebracht; Dr. Music wunderte sich kurz und bestand darauf, nun die Stelle mit Mouzon präsentiert zu bekommen. Doch der war in dem ganzen Aufsatz nicht zu finden. Seither bin ich auf der Suche – rechts oben auf einer ungeraden Seite war ein Foto von Mouzon abgedruckt. Erinnert sich jemand daran oder an die Debatte, die damals sicherlich stattfand? „Joker“!
2017 28 Mrz
War Alphonse Mouzon ein Faschist? – Nein.
von: Wolfram Gekeler Filed under: Blog | TB | 2 Comments
2 Comments
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uwe meilchen:
Beim Mitklatschen bei Helene Fischer Konzerten (sicher ein, so würde Sigmund Freud meinen, bewusst / unbewusst gewähltes Beispiel!) oder anderen Konzertdarbietungen gebe ich also meine Persönlichkeit auf, soso. ALLE Konzertbesucher? Bei ALLEN Konzerten? – Dank für diese Generalisierung !! – Beim Lesen gottseidank gibt mein Hirn, auch ein Teil meiner Persönlichkeit, aber noch nicht ganz auf; jedenfalls nicht klaglos. Bei mir erlahmt das Hirn aber gerade. Nuff said.
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Lajla:
Das ist ein spannendes Fass, das du da aufmachst, Wolfram.
Fangen wir mal mit Caterina Valente an, die sich durchaus auf den Jazzfestivals behaupten konnte. Es war doch JEB, der den Jazz auf dem goldenen und einzigen Teller präsentieren wollte. Dass ein schwarzer Musiker wie Mouzon, sich auch „traute“ mit Rockstars wie Jeff Beck oder Clapton aufzutreten, muss den ambivalenten Musikkritiker erschüttert haben.
Ich weiss gar nicht, ob er das überhaupt er / überlebt hat. Ob er auf den Adorno Quatschzug aufsprang, glaube ich eher nicht. Schmidt-Joos hat ja immer wieder versucht, Pop und Jazz zu würdigen, das hat dem Papst nicht gefallen, dann sucht er die Sünde im aberwitzigen Argument.