„Thought is the enemy of flow“, sagt der Drummer Vinnie Colaiuta, und dass er an nichts denkt beim Spiel. Es geht nicht um Analyse oder Kontrolle. Es geht ums Loslassen. Intensive Momente des Auslebens im Maximum des momentanen Könnens. Über den Zustand des Flow ist viel geforscht worden. Es gibt Techniken, dahin zu gelangen, für jeden.
Es ist ein paar Jahre her, als K mit einem Buch ankam und sagte, sie hätte ihren Bücherschrank aufgeräumt und das Buch schon entsorgen wollen, weil sie es nie richtig gelesen habe, sie habe nochmal darin herumgeblättert, wie man es mit Büchern tut, bevor man sie entsorgt, sie habe sich dann aber festgelesen und inzwischen hat das Buch ihr Leben verändert. Der Titel hieß „Der Weg des Künstlers“, die Autorin Julia Cameron. Es ist eine Art Zwölf-Wochen-Programm (kann aber auch länger dauern) zur Entwicklung eines künstlerischen (nicht unbedingt eines schriftstellerischen) Lebens. Es war an einem stürmischen und finsteren Abend, als Julia Cameron zu einem Termin mit einer Auraleserin fuhr, die in einem Häuschen gleich hinter einer gelben blinkenden Ampel wohnte. Julia Cameron erfuhr, sie sei auf die Erde geschickt worden, um über den Zusammenhang von Kreativität und Spiritualität zu lehren. Es war genau die Zeit, als sie an dem Manuskript zu „Der Weg des Künstlers“ arbeitete. In diesem Buch und in weiteren Büchern (am besten erscheinen mir „Von der Kunst des Schreibens“ und „Der Weg zum kreativen Selbst“ – im Englischen klingen die Titel besser, nämlich „The Right to Write“ und „The Vein of Gold“) stellt Julia Cameron eine Fülle von Techniken und Übungsaufgaben für ein selbstbestimmtes künstlerisches Leben vor. Zentral und dauerhaft anzuwenden sind dabei vier Grundtechniken: die Morgenseiten, der Künstlertreff, das tägliche Spazierengehen sowie das Schweigen und bewusste Atmen.
Die „Morgenseiten“ unterscheiden sich grundlegend von einem Tagebuch. Es geht darum, jeden Morgen, möglichst gleich nach dem Aufstehen, drei Seiten (DIN A 4) einfach loszulegen und aufzuschreiben, was einen im Moment des Schreibens bewegt, handschriftlich und ohne dabei abzusetzen, alles in einem Stück. Gedankensprünge, wilde Assoziationen, Alltagsbanalitäten, der Abbruch einer komplizierten Argumentationskette, herumjammern, Selbstlob: alles ist erlaubt. Bei den Morgenseiten kann niemand etwas falsch machen. Ziel der Morgenseiten besteht darin, den inneren Zensor, der die meisten Menschen am flüssigen Schreiben hindert, zu überlisten. Es geht aber auch darum, im dauerhaften Kontakt zu den wahrhaftigen eigenen Gedanken zu stehen. Das ist, wenn man damit beginnt, gar nicht so leicht. Ich selbst hatte vor vielen Jahren mit den Morgenseiten begonnen, kam aber nicht damit zurecht und hörte leider wieder damit auf. Glücklicherweise ließ ich mich vor einigen Jahren von Ks Begeisterung anstecken und bin dabei geblieben. Bei den Morgenseiten handelt es sich keineswegs um Literatur, die Texte sind höchst privat und selbst der Verfasser, die Verfasserin der Morgenseiten sollte sie frühestens erst nach einigen Wochen lesen, wenn überhaupt. Julia Cameron schreibt, die Morgenseiten würden nach etwa vier Wochen „sitzen“, man wäre dann süchtig danach. (Kann ich bestätigen.) Die Morgenseiten werden zu erstaunlichen Veränderungen führen. Julia Cameron erzählte in einem ihrer Bücher von einem schüchternen Mann, der in einer völlig unterdrückten Beziehung lebte, sich nach einigen Monaten dann trennte und nach ein paar weiteren Monaten nach Indien reiste. Vor allem aber lehren die Morgenseiten das Loslassen, den Flow. Julia Cameron formuliert es so: die Morgenseiten versetzen uns in den Zustand eines sendebereiten Radios. Gemeint ist, die Morgenseiten schaffen eine Leerstelle, die von neuen Gedanken gefüllt werden kann. Hier setzen die anderen Techniken ein.