Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

You are currently browsing the blog archives for the month Januar 2017.

Archives: Januar 2017

2017 29 Jan

Serienblinzeln

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags:  | 1 Comment

„Seht! Ich zeige euch den letzten Menschen. Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern? – so fragt der letzte Mensch und blinzelt.“

(F. Nietzsche)

 

Abstandnahme ist eine Technik der Wahrnehmung. Nach meinem Eintritts-Debut in die Schöne Neue Fernsehwelt im vorletzten Herbst mit vier Staffeln Mad Men drehte ich der Madison Avenue den Rücken zu, um dann nach einem Jahr zurückzukehren. Wie vertraut mir die Charaktere doch geworden waren, wie angenehm und erbaulich auch dieses Werk zu schauen war. Was sich aber verändert hatte, war der inzwischen möglich gewordene Vergleich mit anderen Serien – man kommt halt viel rum. Gestern nun der Anfang der finalen Staffel von Sons of Anarchy, wiederum nach längerer Pause. Back to Charming. Ich war sofort drin, erkannte die unzweifelhafte Qualität in allen Dingen. Aber diese extremen Gewaltdarstellungen hatten mich doch unterschwellig immer sehr gestört, wie eine Gräte in vorgeblich filletiertem Fisch: es blieb einem oft im Halse stecken. Auch fehlte ja die Distanznahme mittels ironischer Überzeichnung ins Groteske und Absurde, wie beispielsweise in den Filmen Quentin Tarantinos. Nein, das ist schon Shakespeare-Kost hier: Macbeth at its best. Und wie diese Gemma im Namen ihres persönlichen Gottes, des bedingungslosen Familienzusammenhalts (eine Alternative zum Grundeinkommen), über Leichen geht, das lasse ich mir bis zum Ende nicht entgehen. Man möchte sie genüsslich durch den Fleischwolf drehen. Selbstverständlich wird dieser Staffellauf abgeschlossen, hinter der Ziellinie winkt auch schon Sneaky Pete, die Serie der Stunde. Ich sah kürzlich die erste Episode, was zur Folge hat, dass ich mich auf die nächsten neun freue. Vorfreude zählt ja bekanntlich zu den angenehmsten Prä-Emotionen in postfaktischen Zeiten. Man trifft hier Walter White wieder, jenen Drogenbastler aus Breaking Bad, der im richtigen Leben ja immer noch Bryan Cranston heisst und von Beruf Schauspieler ist. Doch Max Frisch lässt grüssen: solch eine Paraderolle wird man schwerlich los, sie haftet einem auf ewig an. Warum aber ist Sneaky Pete so gut? Weil man sofort drin ist und ab geht der fliegende Teppich. Die Handlung macht Spass, perlt leicht und augenzwinkernd dahin, ist zudem spannend, jedoch nicht allzu aufreibend. Die Schauspieler sind klasse und die Bilder erlesen. Das alles und noch viel mehr erinnert verdammt an Breaking Bad. Und sowenig wie man der Gewaltdarstellungen wegen auf die anarchischen Söhne verzichten wollte, fiele es einem im Traum ein, eine grandiose Serie einer personalen Antipathie wegen zu canceln. Wobei, Rosamunde Pilcher hatte ich ja dereinst auch verworfen, aber da handelte es sich ja um einen ganzen Clan voller Abneigungen – von den Brutalitäten verharmlosender Klischeewelten ganz zu schweigen.

2017 29 Jan

Wiesengrund

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: , , | 1 Comment

 

 
 
 
Hanna Werbezirk hört als Jugendliche heimlich, unter der Bettdecke, sehr leise, damit Papa im Nebenzimmer nichts hört, die Nachtstudio-Beiträge eines Herrn Wiesengrund im Radio — und ist zunehmend fasziniert von der Stimme und dem, was die Stimme sagt.

Damit beginnt die Geschichte. Eine Geschichte, die zumindest zum Teil auch die der Autorin Gisela von Wysocki ist, die in der Tat bei Theodor Wiesengrund Adorno studiert hat. Wiesengrund schildert Hannas Weg von den nächtlichen Radiosendungen, dem Vater, der Astronom ist und seine Tochter gern als seine Assistentin einsetzen würde, bis zu ihrem Studium in Frankfurt und den Begegnungen mit dem Besitzer der Stimme. Am Ende muss sie eine Entscheidung treffen, die ich hier nicht vorwegnehmen will.

Die Geschichte einer Annäherung an ein Faszinosum. Sie führt über etliche Stationen, durch Hörsäle, Fahrstühle, das Frankfurter Institut für Sozialforschung, die Treppe und die Ampel davor, Wiesengrunds Sprechstunden, das Wohnen „auf Zimmer“ mit sehr seltsamen Wirtsleuten. Einige dieser Episoden sind von einer hinreißend mollgetönten Komik, insbesondere die Schilderungen der studentischen Szene der 60er Jahre und einiger nervender Adepten Adornos, die gerne mal päpstlicher sein möchten als der Papst. Aber auch Hanna selbst gerät zunehmend in einen Konflikt mit sich selbst, der darauf beruht, dass ihre Vorstellung, die sie durch die Stimme der Radiovorträge gewonnen hat, nicht mit dem Mann in Übereinstimmung zu bringen ist, der dann wirklich im Hörsaal, der Sprechstunde und bei anderen Gelegenheiten vor ihr steht: „Der Gedanke ist mir niemals gekommen, dass der Zauberer auch schlechte Tage haben kann.“

Die Geschichte krankt für mein Gefühl lediglich ein wenig daran, dass die Autorin sich immer wieder in ellenlangen Schilderungen und Überlegungen verliert, was sie hätte sagen, entgegnen, in die Diskussion einbringen oder tun sollen, es letztlich aber nicht tut. Das führt dazu, dass die Geschichte merkwürdig theoretisch und die Person Wiesengrund, über die man doch gern Näheres erfahren würde, eine recht nebulöse Erscheinung bleibt. Auch Hannas Konflikt mit sich selbst bleibt bestehen, er wird nicht aufgelöst. Aber vielleicht ist das ja genau das Fazit, das zu ziehen ist: Wiesengrund widerspruchsfrei ist nicht zu haben.
 
 
Gisela von Wysocki:
Wiesengrund
265 Seiten
Suhrkamp, Berlin 2016

2017 28 Jan

Bouncing Stool

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off

What a delight to talk with Ingo from coffeehouse to coffeehouse, and a record of that chat, a contender for some of our end-of-year-lists, is, for all the good reasons, our album of February, the latest opus of The Flaming Lips. The fun of discussing the magic tricks of the unicorn riders has only been surpassed by the live experience of Oklahoma City’s finest in Berlin.

There is no reason to change the „philosophica“/psychologica“-column for the next month. None of our specialists came up with a proposal of a new adventurous book in these areas – and, by the way, two of us and our dearest readers have now started to make first steps and exercises in the field of lucid dreaming. I will write another text about that wonderful new Eno song of my latest lucid dream – no surprise, it came into being one day after the brilliant Lips concert and other strange „realities“.

Six episodes, each one about thirty minutes long – and there it is, one of the best English TV series of recent years (within the thin line between comedy and drama: Fleabag. A woman, mentally unstable, sexually confused, traumatized by the suicide of her best friend, that might have been the typical stuff of an extremely boring Fassbinder movie in the days of old. But here it is, from fucking Brexit Britain: lots of laughing, shock value, freshness, coolness, blackness. Brilliant!

A totally different atmosphere is revealed in „Bitter Wash Road“, by Australian veteran of crime fiction, Gary Disher. Placed in the middle of nowhere, far away from the big cities, created with great care for the details, told in a slow motion mode beyond all those „pattern-writers“ with their obsession for twists and turns on every page, this novel can easily remind us of the existenzialist tone of Albert Camus novels with their lonesome figures in desolate ladscapes.

And, well,  the reissue of the month? Thrill Jockey has made it, on vinyl, 2003’s Glenn Jones debut solo guitar album, incl. a guest appearance of the late Jack Rose: „This Is The Wind That Blows It Out“. Some call it the heritage of John Fahey, or part of the long story of „American primitivism“, but, no doubt about it, it is delivered with virtuosity and a beating heart. (Of course I will play  music from this „Langspielplatte“ in my next long radio night in Cologne on Feb. 18th!) 

Let’s go back to the beginning and add another telling praise of Wayne Coyne’s psychedelics, by Berto Weis: „Overall, the impact of taking and listening to the pill “Oczy Mlody,” will compliment those who subscribe to the treatment. Those who listen will also have possible side effects such as, satisfaction, joy, anger, melancholy, dizziness, as “Listening to the frogs, hiding ourselves in the trees with demon eyes, here we go again…” let the party begin, time for another dose and another, and another of, The Flaming Lips.

Vielleicht war ich 13, 14 Jahre alt, als meine Eltern einen Maler beauftragten, einige Räume unserer Pension zu renovieren. Dieser Handwerker war ein richtig lustiger Gesell, mit dem ich mich sehr gerne unterhalten habe. Dass er einen ähnlichen Musikgeschmack hatte wie ich, merkte ich sehr schnell, bei ihm lief nämlich während der Arbeit ständig heiße Musik.

Da damals – Mitte der 60er Jahre – kaum meine Musik im Radio gespielt wurde, kam seine Musik natürlich auch nicht aus einem Kofferradio, er hatte doch tatsächlich ein Tonbandgerät dabei, ein Grundig TK 14. Meine Begeisterung war grenzenlos. Wie toll wäre es es, ein solches Wunderwerk der Technik zu besitzen. Mein Maler-Freund war gar nicht so begeistert von dem Gerät, sagte, es sei schon vier Jahre alt, ständig gelaufen, die Riemen ausgeleiert, die Tonköpfe abgenutzt, nein, meinte er, er würde sich demnächst ein neues Gerät kaufen, vielleicht ein Uher Universal S, das hätte sogar mehrere Geschwindigkeiten.

Nun sah ich meine Chance kommen, würde der Malermeister mir vielleicht sein altes Grundig TK 14 für wenig Geld verkaufen? Ich nahm mir ein Herz und fragte. Etwas überrascht antwortete er, dass er sich das mal überlegen würde. Ein paar Tage später meinte er dann, für 50 Mark wäre das Gerät mein. Damit wären meine gesamten Ersparnisse aufgebraucht, alle Sparschweine in Stücke gehauen, aber dafür könnte ich endlich meine Musik aufnehmen, die Sender BFBS, Radio Luxemburg, Radio Caroline (seit 1964 auf hoher See) brachten ja durchaus meine Musik. Aber das Bandmaterial, das musste man ja auch einrechnen …

Natürlich schlug ich in den Handel ein, ein altes BASF-Band erhielt ich für meine ersten Aufnahmen gratis noch obendrein. Ab jetzt wurde aufgenommen, was für ein Fest.
 
 
 

 
 
 
Später wurde das TK 14 von einem Grundig TK 19 de Luxe (hier im Bild) abgelöst, dann eisern auf ein Uher Variocord 263 Stereo gespart. Kurz vor dem Abitur hatte ich es dann geschafft, ich konnte das Gerät kaufen. Erst viele Jahre später konnte ich mir das Traumgerät von Uher, das Uher Royal de Luxe (mit Echo- und Hallfunktion, Diapilot und vier Geschwindigkeiten) leisten. Zu dieser Zeit gab es das Gerät schon lange nicht mehr im Handel, mein Gerät – siehe Foto – stammt aus einem Totalausverkauf eines Radio- und Fernsehgeschäftes.
 
 
 

 
 
 
All diese Geräte besitze ich natürlich noch und sie laufen auch, wenn auch die Qualität zu wünschen übrig lässt. Natürlich wurden von den Bändern keines dem Müll übergeben, im Gegenteil, gerade höre ich sie sehr gerne wieder. Da ich für die wenigsten Tonbänder Titellisten angefertigt habe, weiß ich oft gar nicht, welche Schätze ich damals aufgenommen habe.

Oft habe ich die unglaublich flotten Ansagen der englischen Radio-Luxemburg-Sprecher nicht verstanden oder die Titel wurden nicht angesagt, also gab ich das Aufschreiben von Musiktiteln schnell auf. Schade eigentlich, von vielen Titeln weiß ich bis heute noch nicht einmal die Interpreten. Aber da hilft ja seit einiger Zeit die Musikerkennung mit der App. Leider erkennt meine App längst nicht alle Titel, wahrscheinlich auch deshalb nicht, weil die Qualität einfach zu schlecht ist, allenfalls die Hälfte aller Eingaben sind erfolgreich.
 
Folgende Titel konnte ich endlich einmal zuordnen:
 
 

Thunderclap Newman – „Something in the Air“

Booker T and The MG´s – „Time is Tight“

Mitch Ryder and The Detroit Wheels – „Devil with the Blue Dress on“

Stealers Wheel – „Everything Will Turn Out Fine“

Bo Hansson – „Fog on the Barrow-Downs“ / „The Black Riders & Flight to the Ford

 

 

 
 

Düsseldorf is the sound of quiet confidence.

The sound of Glasgow is the echo of Ireland colliding with Scotland.

(Ian)

 

Gestern Abend haben zwei Journalisten in der hiesigen Solobar ihr Buch SOUND OF THE CITIES vorgestellt. Ein Überraschungsgast aus der Düsseldorfer Musikszene sollte nach der Pause dazukommen.

Die Autoren begannen ihre Lesung über ihre zweijährigen Erkundungen durch die musikalischen Metropolen der Welt mit einem Gedanken von Bruce Springsteen. Er dachte bei der Anreise auf London 1975, dass er nun seinen absoluten Heroes der ersten Musikgeneration folgen würde. The Kinks, die Beatles, die Rolling Stones, The Who … bescherten ihm ein zweites Erwachen. Er würde nun Vertreter der zweiten Generation sein.

Die beiden Herausgeber hatten sich im Vorfeld folgende Fragen gestellt: Was passierte damals in Städten wie Düsseldorf, Glasgow, Seattle, New York …? Was waren die urbanen subkulturellen Gründe, dass sich gerade dort Musikszenen gebildet haben? Gestern Abend haben sie zu meiner Freude und meinem Bedauern, dass Michael und Ian nicht dabei waren, aus den 24 aufgesuchten Städten Düsseldorf, Glasgow, Wien und Austin ausgewählt.

Zu der Düsseldorfer Szene gehörten Dieter Süverkrüp, Die Krupps, DAF, Kraftwerk, Neu, Fehlfarben, Marius Müller Westerhagen … und natürlich der Ratinger Hof mit den Künstlergästen aus der nahegelegenen Kunstakademie. Die Maler Brüder Albert und Markus Oehlen gingen ein und aus, Beuys, Immendorff …

Diese Wechselwirkung hat die Musikszene ähnlich stark beeinflusst und geprägt wie die von Glasgow. Auch dort gibt es die beiden Seiten, Kunstakademie hier und grosses Musikerpotential dort. In Glasgow sind die Pioniere, die die Musik in die Hand nehmen, besonders zahlreich.

 
 

Orange Juice
Primal scream
The Blue Nile
Gun
Middle of the Road
Dire Straits
The Commotion
Travis
Belle and Sebastian
Niko s Bar war und ist noch immer angesagt.

 
 

Auch für Wien und Austin gilt, dass die vorhandene Kunstszene ausschlaggebend für die Musikentwicklung war. In Wien waren es die Wiener Aktionisten und die Jazzszene, die den Punk (Chuzpe 1977) hervorbrachten. In Austin begann sich der Country und Blues mit der Befreiung der Künstler zum psychodelischen Rock weiterzuentwickeln.

Der Überraschungsgast war Ralf Dörper von den Krupps. Er erzählte, dass man früher in Düsseldorf viel Radio gehört hätte, besonders englische Sender, das hatte wiederum einen Zusammenhang mit der damaligen britischen Besatzungsmacht gehabt. Man kannte sich also in der britischen Musikszene bestens aus und fuhr auch schon mal nach London. Sie seien ja mit ihrer MaschinenMusik (Wahre Arbeit, wahrer Lohn) bekannt gewesen.

Kraftwerk hätte man weniger im Ratinger Hof angetroffen, aber umso mehr bei Fahrrad Müller. Da lachte er laut, die hätten ja einiges von ihnen übernommen und ausser über ihren Auftritt im Moma hätte man ja nicht viel von ihnen gesehen und gehört in den letzten Jahren. (In Düsseldorf gehen die Meinungen über Kraftwerk extrem auseinander, man mag sie oder eben nicht). Diese popmusikalische Entdeckungsreise ist bestimmt spannend zu lesen. Mich hätten noch besonders Brüssel, Antwerpen und Seattle interessiert. Aber auch Berlin, ob da das Berghain etwas losmachen kann?

 

Philipp Krohn und Ole Löding: Sound of the Cities. 22.95 EUR

 


 
 
 

When I found the two first Kraftwerk albums in a vinyl record store two days ago, I immediately bought them carefully watching both sides of the street when leaving the shop. Now, fact is, I wanted to get hold of these highly acclaimed works for a very long time, ready to wait for the real thing, not updating my memory with youtube. Fact is I only heard them two or three times in my teenager days, and missed the copies when a very limited, officially blessed, number of vinyl reissues had been published in the 90’s. Fact is, too, I only have a pale memory, and the guys from Kraftwerk didn’t care for these objects of desire very much. It will be a delight to hear if they stand the test of my ears (or time). Will the experience be overpowered by nostalgia, is it just a thrilling insight into the band’s first line-up and their first steps to stardom and class? What did Walter Bachauer think about them? Does anyone of you have a clear opinion?

 

Nachdem ich in Berlin genug Gelegenheiten für „reality checks“ hatte, war ich heute fest entschlossen, meinen ersten luziden Traum 2017 zu erleben. Nachdem ich genügend Schlaf für die langen R.E.M.-Phasen gesammelt hatte, stand ich gegen 6.30 Uhr auf, schaute entspannt in die bitterkalte Nachtlandschaft, schrieb einen Kommentar zu meinen Berlin-Notizen, nahm die von Thomas Yuschak empfohlene Kombination von Galantamine und Choline ein, verdunkelte die Jalousien vollständig und machte mich an die mentalen Übungen, die Yuschak en detail beschreibt, um bei klarem Bewusstsein in die Traumwelt einzudringen. Es gelang, Wahnsinn, eine seltsame „Klarträumerei“, weil ich zwischendurch öfter meinen realen Körper zu spüren meinte, und mich besonders in der langen Anfangsphase, die ich hier nicht gross beschreibe, immer wieder in den Traum „hineinkämpfen“ musste.

 

Wenn man bewusst in die Traumwelt und den Traumkörper schlüpft, beginnen viele dieser Träume im Schlafzimmer, das aber nicht das reale physische Schlafgemach ist, sondern ein nachgebildetes. Da lauern viele Gefahren eines „falschen Erwachens“, aber genug der Vorrede. Immer wieder erhaschte ich Schlaftraumbilder, während ich noch meinen physischen Körper fühlte.

Dann war ich in der Traumwelt. Ich sagte laut zu mir, dies sei nur ein Traumschlafzimmer, öffnete die Tür, schloss meine Augen und gab mir den Impuls, nun durch das grosse Glasfenster hindurch zu schweben. Ich hielt die Augen weiterhin geschlossen und wünschte mir, in einen warmen Sommertag hineinzufliegen. Ich spannte meine Arme breit und erhob mich in die Lüfte, in gemächlichem Tempo. Als ich die Augen öffnete, war ich überrascht, denn es waren zwar gefühlte 22 Grad, aber tiefe Nacht am Rande eines Waldes.

Ich flog nur eine kurze Weile, dann erblickte ich eine Vorstadtsiedlung, die mich im Nachhinein entfernt an den Weissdornweg in Dortmund erinnerte, wo ich zwischen meinem fünften und zehnten Lebensjahr lebte. Im Traum sah ich wie zwei, drei Löwen (!) sich auf den Weg zu mir machten. Ich sagte zu ihnen: „Ganz ruhig, Jungs. Ich bin in friedlicher Mission.“ Die Löwen verlangsamten ihren Gang und hockten sich hin.

Ich betrat ein grosses Haus, in dem sich offensichtlich viele junge Leute zu einer Party versammelten. Mein Traum-Ich wird wohl auch so um die 18 gewesen sein, und ich dachte, es wäre Zeit für ein erotisches Abenteuer. Also rief ich in die Runde: „Wo ist meine alte Schulliebe?“ Plötzlich riefen alle Anwesenden im Chor: „Wo ist meine alte Schulliebe? Wo ist meine alte Schulliebe?“ Das schwarzhaarige Girl neben einer Musikanlage schaute wohl (ich konnte ihre Augen nur ahnen, weil ihre Ponyfrisur das meiste verdeckte) in meine Richtung, ich ging zu ihr und fragte, ob ich sie küssen dürfe. Endlich konnte ich ihre Augen sehen, die allerdings ein wenig asymmetrisch angeordnet schienen. Wir umarmten und küssten uns, und ich spürte den schönen Anfang einer schönen Empfindung.

Ich freute mich total über das Bewusstsein, in einem Traum zu sein, hielt die Hand des Girls und rief in die Runde: „Es ist ja gar keine Musik zu hören, ich möchte gerne einen neuen Song von Brian Eno hören.“ Ich wiederholte den Wunsch innerlich, um ihm Nachdruck zu verleihen, und plötzlich erschall Brians Stimme aus der Anlage, nicht sonderlich laut, aber gut zu hören. Es war ein melodisches Lied, mit sanfter Polyrhythmik, stilistisch der Zeit von Before and After Science zuzuordnen. Ein absolutes Glücksgefühl durchrauschte mich, und ich konzentrierte mich so sehr auf das Lied, dass ich meine „alte Schulliebe“, die nicht annähernd so aussah wie meine alte Schulliebe (Jutta K.) vergass, und mich voll auf die Musik konzentrierte.

Im Klartraum ist ja das kritische Bewusstsein voll auf Touren, und so konnte ich, ganz und gar der Musikjournalist, feststellen, dass der Song eine Granate ist, dass er nicht die Coverversion irgendeines anderen Liedes ist, sondern „vintage Eno“ – nur, dass Brian dieses Lied nie aufgenommen oder komponiert hat. Vielleicht währte der Song drei Minuten. Im luziden Traum kann man die Realzeit sehr gut einschätzen. Danach hatte ich das Gefühl, in meinen schlafenden Körper zurückgezogen zu werden. Ich wollte unbedingt im Traum bleiben, aber dann schellte ein Wecker, und ich gab mich geschlagen. Ich wachte auf, und eine Sekunde später war mir klar: falsches Erwachen – ich stelle ja keine Uhr, wenn ich einen luziden Traum haben will … ein Moment der Unklarheit, und das Abenteuer war zuende. Aber was für eine Freude!

 

 
 
 

Wachmüde. Nach Mitternacht, noch ein Glas Apfelsaft. Hier, im flockigen Parlando, ein paar kurze Notizen. Am Prenzlauer Berg fand ich, in einem Vinylladen, lang gesucht, die erste und zweite Kraftwerkplatte. Nach Ewigkeiten kaufte ich mir wieder ein Fan-Shirt, diesmal von den Flaming Lips: „THERE SHOULD BE UNICORNS“. Diese Anschauung teile ich, und trage sie gerne, mit dem phosphoreszierenden Wayne, durch die Welt. Offensichtlich hat Ray Davies endlich die richtigen Jungs für ein neues Grosswerk gefunden, dessen erster Teil wohl im Frühjahr erscheinen wird, mit, holla, den Jayhawks. Die Vinylplatten (recht preiswert) von Jerry Harrisons Debut und Oregons nicht minder gepriesenem Opus „aus den Wäldern“ sind bei mir eingetroffen und warten auf eine blaue Stunde mit grünem Tee. Und, ganz versteckt, mittendrin, kommt hier als kleiner Spass, meine Liste der besten Platten des Jahres 2017 (so far): 1) Brian Eno: Reflection (ich bin selbst überrascht) 2) The Flaming Lips: (setzen Sie dieses polnische Sprachspiel bitte selber ein, ich verwechsel da immer einzelne Buchstaben) 3) Ralph Towner: My Foolish Heart. Am Freitag landet bei mir das neue Album von Mark Eitzel: Mr. Ferryman, und ich bin sehr gespannt. Könnte von 0 auf 4 springen. Ansonsten war es in Berlin bitterkalt und sehr grau. In der Hasenheide hätte ich mich fast auf die Nase gelegt, auf einer Eisplatte, und ich habe nicht einen Cappuccino getrunken, der annähernd so gut war wie der von Bagels & Beans in Aachen. Selbst das Kaffeelabor von Bonanza in der Oderberger Strasse konnte mich nicht überzeugen. Überhaupt entpuppten sich etliche gastronomisches Szene-Hits als beträchtlicher Hype. Im Café Einstein war ich nicht – hätte ich nur Rosatos Artikel früher gelesen!

Dieses alte vergilbte Adress-Register ist mir vor wenigen Tagen in die Hände gefallen. Dass es noch vorhanden ist, hätte ich nicht gedacht. Freilich habe ich darin geblättert und unter den vielen, längst nicht mehr passenden Adressen und Telefon-Nummern, einige gefunden, die – wenigstens mir – eine kleine Geschichte erzählen. Ich klappe auf bei Buchstabe E.

 
 
 

 
 
 

Darin steht die immer noch aktuelle Telefon-Nummer des Café Einstein, darunter die private Nummer von Walter Bachauer. Hm, ich war ganz selten in Berlin, im Café Einstein nur ein einziges Mal. In Kronach kannte man das Café Helbig, aber das Berliner Café Einstein doch nicht! Ich wusste von seiner Existenz aus Bachauers RIAS-Sendungen Musicarium und Avantgardemagazin. Ja, ich erinnere mich, ich muss im Einstein wohl nach Bachauer gefragt haben. Man hat meine Adresse notiert und mir über viele Jahre das Kultur-Programm des Caféhauses zugesandt.

 
 
 

 
 
 

Der Name des Hauses hat weder etwas mit dem Physiker Albert Einstein noch mit dem Berliner Schriftsteller Carl Einstein zu tun. Er wurde gewählt in Anlehnung an Philip Glass’ Oper Einstein on the Beach. Das habe ich in einem Buch über die Geschichte des Kaffeehauses gefunden (Autorin Kirstin Buchinger). Zudem habe ich die Tage Internet-Suchportale befragt. Bei Focus Online wurde ich fündig.

 

So richtig alt ist das Café Einstein in Berlin gar nicht. Aber wer die Villa aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betritt, wird sofort in die Ära der großen Kaffeehäuser in Wien versetzt. Eine Zeit, als Künstler und Intellektuelle in Cafés heiß die neuesten Nachrichten diskutierten und man ungestört ganze Tage dort verbringen konnte – wohlgemerkt ohne den Druck, ständig ein neues Heißgetränk bestellen zu müssen.

Dabei ist das Einstein eher das Zufallsprodukt eines Spaziergangs. Die Legende geht so: Das Ehepaar Ursula und Walter Bachauer aus Graz spazierte in den 70er-Jahren die Kurfürstenstraße entlang und verliebte sich in die verwahrloste Villa, dem einstigen Haus des Stummfilmstars Henny Porten. Der letzte Besitzer dieser Residenz war ein jüdischer Bankier gewesen, der sich angesichts der drohenden Enteignung umbrachte. Und weil das geteilte Berlin keine guten Cafés besaß, kaufte das Paar zusammen mit einem dritten Österreicher das Haus, renovierte es liebevoll und eröffnete ein Kaffeehaus. Stilecht mit lederbezogenen Bänken, Thonet-Stühlen, Marmortischchen auf gusseisernen Dreifüßen und einer langen Theke wurden die hohen, lichten Räume ausgestattet.

 

Leider habe ich keine der Veranstaltungen im Café Einstein besucht. O ja, da gab es viel zu versäumen, etwa Terry Riley. Ein paar RIAS-Mitschnitte sind mir geblieben …

 
 
Terry Riley, Live im Café Einstein


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz