Ich habe hier schon einmal über den wunderbaren Ballettdirektor Martin Schläpfer berichtet. Seine Choreographien verbindet er stets mit Musik, die meinem Geschmack entspricht. Damals legte er Anne Clark auf. Jetzt hat er drei Choreographen eingeladen, die ebenfalls mit übergreifender Kunst arbeiten. Remus Şucheană, sein Nachfolger, zeigte ein Ballettstück auf der Basis von Alfred Schnittkes Concerto grosso Nr. 1. Die Tanzgruppe hält sich mit hohen Sprüngen, quirligen Drehungen und ganz eigener Energie nicht immer an Schnittkes polystilistisch manipulierten Klangwelten. Hier wird alles verlooped (lb. Martina): 70er Jahre Sound, Vivaldi, Alltagsmusik, Fremdgeräusche.
Das zweite Stück „Lonesome George“ fand ich sehr packend. Es ist von dem Chreographen Marco Goecke. Er hat Schostakowitsch ausgewählt, was ein Grund meines Besuchs in der Oper war. Schostakowitsch hatte das Streichquartett Nr. 8 damals in einer Krisenzeit in der DDR komponiert. Er war hin- und hergerissen zwischen Förderung und Ablehnung der Sowjetunion bis zum definitiven Abschied seiner Heimat. Diese Abschiedsatmosphäre spürt man in dem Stück sehr deutlich. Sie scheint den Choreographen ebenso erfasst zu haben. Er versucht, das Absterben der Artenvielfalt am Beispiel der 2012 auf den Galapagos Inseln im Alter von 100 Jahren verstorbenen Riesenschildkröte als Allegorie zu zeigen.
Ich konnte diese Assoziation nicht herstellen. Mir fielen andere Bilder ein. Die Tänzer trugen alle einfache schwarze Hosen zu freiem Oberkörper. Diese zitterten, flatterten, zuckten wie unter Elektroschocks. Das Bühnenbild war vollkommen dunkel gehalten, nur im Hintergrund rauchte bleicher Nebel. Zuerst dachte ich der surrealen Momente wegen an DEVO „Are we not men? We are Devo!“ Dann fielen mir Textpassagen aus Der Arbeiter von Ernst Jünger ein. Die heftige Tanzarbeit liess mich in ihren Pausen auch an Arno Breker denken, der gerne Muskeln in den Stein meißelte. Marco Goecke war selbst Maler bevor er den Tanz für sich entdeckte. Möglicherweise hatte er Neo Rauch im Sinn, was ja den Kreis hin zur DDR schließen würde.
Das dritte Tanzstück in der Ballettreihe b. 30 ist von Natalia Horenca, sie kommt aus der Slowakei. Sie nennt ihr Stück „Wounded Angel“. Sie lässt den verwundeten Engel genauso wie ihn der Finne Hugo Simberg gemalt hat, hereintragen. Ich habe das große Ölbild in Helsinki im Original gesehen. Es ist mein Lieblingsbild in der finnischen Malerei. Natalia Horenca hatte noch eine Überraschung für mich. Sie ließ zu ihrer wohl eigens geschaffenen Partitur von Bela Bartok und Alban Berg das New Yorker DUO PROBOSCI auftreten: Tim Harris an der Violine und Gary Riley, Sohn von Terry Riley!!
Die beiden Musiker entführten das Publikum mit ihren volksnahen Melodien (war es Balkan?) ins Mysterienspiel. Die Tanzenden bewegten sich dazu wie Figuren in einer Spieluhr. Vielleicht hat diese Choreographin am intensivsten an dem gemeisamen Thema über Ausgrenzung in der Gesellschaft gearbeitet. Trotzdem hat mich ihre Arbeit nicht ganz so begeistert wie die von den anderen beiden Choreographen. Mir haben die Kostüme nicht gefallen, bisweilen erinnerte das Ganze an die Schlümpfe.
Das Düsseldorfer Ballett muss wirklich gelobt werden. Es hat zudem das Glück, asiatische Tänzerinnen zu haben, die mit ihrer weissen Alabasterhaut im Bühnenlicht allein schon wie Feen oder Engel wirken.