Gespräch mit Angela Regius, einer der Organisatorinnen des Filmkreis Short an der TU Darmstadt über die Wirkung Eisenstein´scher Montagen und wie ein 120-Minuten Programm aus 26 Stunden Kurzfilmmaterial entsteht.
Martina: Kannst du dich daran erinnern, als du zum ersten Mal einen Kurzfilm gesehen hast, der dich richtig gepackt hat?
Angela: Es ist gar nicht einfach, Kurzfilme zu sehen zu bekommen, weil sie selten im Kino laufen, eher im Fernsehen, auf arte. Zum ersten Mal habe ich Kurzfilme vor einigen Jahren gesehen, bei uns im Unikino in Darmstadt. Der Studentische Filmkreis an der TU Darmstadt zeigt vor jedem Hauptfilm Kurzfilme. Ich erinnere mich an einen Kurzfilm ohne Worte, es ging um junge Leute, die in eine Wohnung eingebrochen sind, aber nicht, um etwas zu stehlen, sondern um Musik mit Alltagsgegenständen zu machen. Mir gefiel die Idee, und die Umsetzung.
Martina: Die Idee erinnert mich an den Film „Die fetten Jahre sind vorbei“, wo junge Weltverbesserer in Häuser wohlhabender Leute einbrechen und aus dem Designer-Mobiliar turmartige Gebilde bauen, um die Bewohner in einen Zustand der Unsicherheit zu versetzen… Und dann hast du dich mehr mit dem Kurzfilm beschäftigt…
Angela: Seit dem Jahr 2003 gibt es beim Studentischen Filmkreis an der TU Darmstadt einen Kurzfilmabend. Außerdem gibt es in jeder größeren Stadt Kurzfilmfestivals oder Festivals mit Kurzfilmprogramm, zum Beispiel ein Open Air Kurzfilmfestival in Darmstadt-Weiterstadt, in Frankfurt, in Wiesbaden. Diese Festivals finden nur einmal jährlich statt. Wer den Kurzfilm sucht und recherchiert, wird schnell fündig.
Martina: Schaust du auch Kurzfilme auf DVDs oder auf anderen Medien, im Internet zum Beispiel, auf youtube oder Vimeo?
Angela: Ich konzentriere mich auf die Festivals. Sie haben den Vorteil, dass ich dort Kontakt zu den Filmemachern bekomme und die Filme dort kuratiert werden. Ansonsten versinkt man bei der ganzen Auswahl, vor allem online. Zurzeit werden sehr viele Kurzfilme produziert, Smartphones und Digitalkameras erleichtern das.
Martina: Das Genre des Kurzfilms ist ja recht weit definiert. Kurzfilme können von wenigen Minuten, vielleicht nur einer Minute, bis 30 Minuten lang sein. Es gibt fließende Übergänge zum Langfilm. Das Filmförderungsgesetz hat seiner aktuellen, seit Anfang des Jahres geltenden Fassung den Begriff des Kurzfilms durch seine Dauer von bis 30 Minuten definiert und Förderprogramme eingeführt, um die Rolle des Kurzfilms als Vorfilm wieder zu stärken. Ich habe mehrere Jahre lang regelmäßig die Sendung „Kurzschluss“ auf arte verfolgt. Es gibt so erfrischend viele Ansätze und Arten von Kurzfilmen, witzige, rätselhafte, auf Pointe gemachte, es gibt Animationsfilme, sozialkritische Filme und Poesiefilme, die ein Gedicht verbildlichen, während der Text des Gedichtes gesprochen oder eingeblendet wird. Ich mochte am liebsten die Kurzfilme, die sich gegen eine Vereinnahmung gesperrt und mir eine Welt gezeigt haben, die mir unbekannt war. Bei welcher Art von Kurzfilm geht dir das Herz auf?
Angela: Im Gegensatz zu Langfilmen, bei denen fast immer einen Grundaufbau befolgt wird, hat man beim Kurzfilm viel mehr Freiheiten. Mich interessiert es am meisten, wenn mit dem Format `Film´ etwas Neues gemacht wird. Etwas herumprobieren, etwas aufnehmen und zusammenschneiden und damit experimentieren, was daraus werden kann.
Martina: Die Grenzen des Genres erweitern. Es ist übrigens ein zentraler Satz, den ich vor vielen Jahren in einem Marketingratgeber für Autoren gelesen habe.
Angela: Die Arbeit mit der Technik gehört bei der Filmarbeit dazu. Die Geschichte entsteht erst bei der Edition des Films, es kommt dabei auf Nuancen an. Kennst du die Eisenstein´schen Montagen? Dabei werden zwei Aufnahmen, die unabhängig voneinander gemacht wurde, miteinander verschnitten, so dass sie eine neue Bedeutung bekommen. Ein Beispiel wären Aufnahmen von Kinderarbeit mit Aufnahmen menschlicher Knochen.
Martina: Von dieser Technik hat Alexander Kluge in seiner Poetikvorlesung erzählt. Er sagte, durch die Kombination zweier voneinander unabhängiger Aufnahmen entstünde im Zwischenraum etwas Neues. In der Literatur nennt man das cut-up. Brian Gysin hat die Methode entwickelt, indem er eine Zeitung zerschnitten, die Teile verschoben und wieder zusammengesetzt hat. – Wie arbeitet ihr im Filmkreis Shorts?
Angela: Wir sind fünf Personen, die die Bewerbungen sichten. Einmal im Jahr präsentieren wir eine Auswahl der Filme, die uns erreicht haben. Inzwischen vergeben wir auch zwei Preise. Früher kamen die Bewerbungen von den Filmhochschulen und von lokalen Filmemachern. Inzwischen kommen die Filme von überall her, von Filmhochschulen, von unabhängigen Filmemachern und immer mehr von Agenturen, die dann die Filme vermarkten. Viele Filme kommen aus dem englischsprachigen Ausland, vor allem aus den USA und aus Großbritannien. Diese Filme müssen dann entweder deutsche oder englische Untertitel haben.
Martina: Wie werden die Filmemacher und die Agenturen auf euch aufmerksam?
Angela: Wir haben eine umfassende Facebookseite, einen Internetauftritt und man findet uns auch über Internetseiten zum Kurzfilm, zum Beispiel
www.niewiedershakespeare.de
Ansonsten spreche ich Filmemacher auch direkt an, entweder persönlich auf Festivals oder via Email.
Martina: Wie viele Einreichungen erreichen euch?
Angela: Die Zahl der eingereichten Filme ist wegen der extrem unterschiedlichen Länge der Filme nicht so aussagekräftig, eher die Gesamtlänge. Im vergangenen Jahr waren es etwa 18 Stunden Filmmaterial (100 Einreichungen). In diesem Jahr waren es 26 Stunden (140 Einreichungen).
Martina: Wie geht ihr als Vorjury bei der Auswahl vor?
Angela: Jede Person sieht alle Filme an. Etwa drei Monate lang akzeptieren wir Einreichungen, bis Ende Oktober. Wir treffen uns dann zeitnah zur Programmauswahl. Jede Person kann Filme bis zu einer bestimmten Gesamtlänge nominieren. Wir diskutieren dann über alle Filme, die auf diese Weise im Rennen sind. Wenn die Mehrheit von uns nach der Diskussion über einen Filmes gegen dessen Nominierung ist, fliegt der Film erstmal raus. So reduzieren wir die Zahl der Filme allmählich. Später arbeiten wir mit einem Punktesystem. Das wichtigste ist die Ausgewogenheit des Gesamtprogramms. Experimentalfilme, Animationsfilme, Dokumentarfilme, das alles wollen wir dabei haben.
Martina: Bei den meisten Wettbewerben fällt schon eine große Zahl von Bewerbungen beim ersten Durchsehen aus dem Stapel derjenigen, die überzeugen können. Was macht eigentlich einen schlechten Film aus?
Angela: Ein schlechter Film ist meistens einfallslos; man merkt, dass ein Film ohne Bewusstsein über das Medium gemacht wurde. Ein Beispiel wäre, dass die Kamera einfach nur irgendwo hin gestellt wird und zwei Leute einen Text aufsagen.
Martina: Ich denke gerade an „Coffee & Cigarettes“ von Jim Jarmusch, der Film besteht aus mehreren Kurzfilmen, bei denen fast immer zwei Leute reden. Ich meine mich aber zu erinnern, dass die Kamera nicht still steht. Kommt immer darauf an, wie etwas gemacht ist. Du beschäftigst dich seit etwa sechs Jahren mit dem Kurzfilm. Wie hat sich das Genre in der Zeit verändert?
Angela: Mein Eindruck ist, dass es immer mehr technisch und schauspielerisch perfekte Filme mit gradlinigem Plot gibt, die sich aber nicht so viel trauen. In den vergangenen zwei Jahren gibt es viele politische Filme, die die Flüchtlingslage aufarbeiten.
Martina: Den Eindruck, dass die Filme leichter verständlich und perfekter, aber langweiliger, sogar pädagogischer werden, hatte ich in den vergangenen Jahren auch. Was meinst du, woran liegt es? Hast du darüber mit Filmemachern auf Festivals gesprochen?
Angela: Oft werden Kurzfilme von jungen Filmemachern gedreht, um ein Portfolio für den Einstieg ins Film- oder Fernsehgeschäft aufzubauen. Da möchte man auf Festivals gespielt werden und Preise gewinnen. Sobald etwas aneckt, wird das schwierig. Ich merke das auch bei uns: Fünf Personen, fünf Meinungen. Bis wir ein Programm, mit dem alle einverstanden sind, zusammengestellt haben, fällt einiges heraus. Das ist natürlich eine spannende Aufgabe, der wir uns sehr gerne und mit viel Verantwortungsbewusstsein widmen. So ist auch wieder das Programm für dieses Jahr entstanden, das viele verschiedenen Seiten des Kurzfilms zeigt.
Martina: Danke, Angela, dass du dir die Zeit für unser Gespräch genommen hast.
Angela: Danke ebenso, auch für den Tee.
Martina: Bis Samstag dann.
3. Filmkreis Shorts Kurzfilmwettbewerb, Samstag, 21. Januar 2017, 19.00 Uhr, Audimax Universität Darmstadt
Weitere Informationen: www.filmkreis.de/shorts
Es werden dreizehn Kurzfilme mit einer Gesamtdauer von 120 Minuten gezeigt. Vergeben werden ein Jurypreis und ein Publikumspreis.
Liste der Filme, die am 21.01. vorgeführt werden:
Last Call Lenny
Ein Sommertag
doors of perception
ANNA
Maman und das Meer
Monsterfilm
Blight
All the World is a Stage
Die Blaue Sophia
The Alan Dimension
Hausarrest
Über Druck
Our Wonderful Nature – The Common Chamaeleon