Nun, als allererstes nahm ich den Lungenfunktionstest in Angriff. Das war vor drei Tagen. Zu Beginn der atypischen Lungenentzündung kurz vor Weihnachten hatte ich ja ein Lungenvolumen von 50 Prozent, bekam zwar genug Luft, aber bei so einem Wert musste ich erst mal schlucken. Als es mir wieder deutlich besser ging, kletterte der Wert bei der Nachuntersuchung zu Jahresbeginn zwar auf 73 Prozent, was immer noch sieben Zahlen unter „okay“ bedeutet, aber, so sagte man mir, 5 Prozent könnten sich wohl noch hinzugesellen. Der CRP-Wert für Entzündungen betrug beim Höhepunkt der Erkrankung unlustige 265, was einen ziemlich dramatischen Wert abgibt.
Nun also, vor drei Tagen, gab ich meinen Auftritt als Bläser bei meinem Hausarzt in Dortmund. Als ich auf Anweisung der Assistentin mit aller Macht ausblasen sollte (nachdem ich ganz tief eingeatmet hatte), gab ich alles und krümmte mich unwillkürlich dabei wie ein Trompeter in Exstase. Daran war zwar guter, ja, bester Wille abzulesen, aber das Resultat unleserlich. Ich durfte den Versuch wiederholen, ohne Körperverrenkungen jedweder Art. Ich weiss, diese Zeilen sind nur unwesentlich spannender als das Belauschen eines Gesprächs über Nierensteine beim Arzt Ihres Vertrauens. Aber die Pointen kommen noch.
Mein Lungenvolumen war bei 115 Prozent, und auch wenn man für mein Doping mit Berodual ein bisschen was abziehen kann, ist das Volumen wieder richtig gut. Dermassen fröhlich gestimmt, fuhr ich von einem Randbezirk meiner alten Stadt in die City, und kaufte zwei belegte Brötchen. Ich ging zu Starbucks, in den BVB-Fanshop, und als ich zu meinem Auto zurückkehrte, war es gestohlen.
Man denkt ja erst, man habe einen Blackout und es woanders abgestellt, aber schnell war die Gewissheit da (drei Minuten zum Realisieren trauriger Wahrheiten), dass es, Glück im Unglück, zumindest nur abgeschleppt worden war. Ich hatte schlicht übersehen, dass ich, abgelenkt vom guten Ausgang meiner „Trompetennummer“, auf einem Behindertenparkplatz stand. An der Abholstelle durfte ich 110 Euro hinblättern, um meinen Toyota auszulösen.
Auf dem Weg in meine neue Stadt war ich nicht mehr weit vor der letzten Ausfahrt, als ich ein vor mir schleichendes Auto überholen wollte. Ich setzte den Blinker und fuhr auf die Überholspur. Von weit hinten kam ein schwarzer Kastenwagen angeschossen, mit ungefähr 240 km/h, wie ich im nachhinein vermutete. Das Problem war, er machte keine Anstalten, vom Tempo runterzugehen, was ich realisierte, als er mir bedrohlich nahe kam. Andere reissen da das Steuer herum und produzieren einen Unfall. Dieser Andere hätte auch ich sein können, ich habe ja nie einen Schleuderkurs gemacht.
Mein „Schutzengel“ übernahm, und in seltsamer Ruhe brach ich den Überholvorgang ab, reihte mich hinter dem Schleicher ein, während der schwarze Kasten Sekundenbruchteile „später“ an mir vorüberschoss. Ich hatte ein Flashback an die Geschichte mit dem LKW-Fahrer vor zwei Jahren, ich hatte ihm in Notwehr das Nasenbein gebrochen mit der Seitentür des Toyotas, und setzte sofort, etwas sinnbefreit, zur Verfolgung an. Ich werde in solchen Augenblicken wirklich unlustig. Ich winkte das Auto an den Rand (er fuhr tatsächlich nur noch 120 km/h), und sah, wie eine Frau auf dem Beifahrersitz massiv auf den Fahrer einredete, mit wütender Gestikulation, und sie meinte nicht mich. Der Psycho reagiere nicht auf meine Zeichen, und ich bog ab, war selber überrascht, dass ich hinterher keine Anzeichen eines kleinen Schocks hatte.
Zwei Tage darauf ergab das grosse Blutbild, dass mein vor Wochen so entspannt in die Höhe geschnellter Entzündungswert auf traumhafte 0,06 gefallen war, und der Blick auf das restliche Zahlenbild produzierte pure Heiterkeit, all unseren endlos gezählten Tagen zum Trotz. Alles war gut. Und von da an, nachdem ich die Soloparty für einen Nachmittag mit „Donnie Darko“ als „special guest“ auf der grossen Leinwand für beendet erklärte, ging es erst richtig los.